Jakob Wassermann

Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann


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entstand jähes Schweigen. Hephästion schüttelte den Kopf und verneinte stolz und entschlossen. Da öffnete Alexander die Augen. Sein Blick flackerte. Er riß mit der Linken das Diadem vom Kopf, beugte sich hinüber und legte den königlichen Schmuck mit einer wildverachtungsvollen Gebärde, ganz außer sich vor Groll und Gram, Hephästion um die Stirn, als wolle er sagen: wenn du mich verraten willst, dann will ich nicht mehr Herr sein, dann sei du es.

      Feierliche Ruhe breitete sich aus. Die Speiseträger blieben stehen, die Musiker unterbrachen ihr Spiel, die Witzlinge stockten in ihren Zoten, die Knaben hörten auf, ihre von Wohlgerüchen dampfenden Schalen zu schwingen, den Tänzerinnen entsanken die Schleier, den Trinkenden die Pokale. Hephästion drückte die Hand auf die Brust, als schmerze es ihn im Innern. Er war wie eine Bildsäule anzusehen, doch schaute er mit einem aufmerksamen und fragenden Blick zu Alexander empor.

      Durch die Eingänge und oberen Lichtöffnungen des Zeltbaues strömte die Glut des Sonnenunterganges. Sie färbte die Gesichter von Männern und Frauen dunkelrot, überzog die ölglänzenden Leiber der Weinmischer, durchleuchtete die Alabasterkannen, daß sie wie mit Flammen gefüllt aussahen, spielte im Geschmeide und im Gold der Gewänder, umlohte die hohen Säulen und verbreitete, als die Sonne in der Falte zwischen Himmel und Ebene versunken war, eine rosige, bewegliche, schwere Dämmerung. Vor dem Hauptausgang entstand eine stauende Bewegung unter den Menschenmassen, ein heftiges Drängen nach einem Punkt. Ein Ruf drang von draußen herein, oft wiederholt und sich steigernd im Ausdruck: »Der Inder! der Inder!« Die blinde und treibende Menge riß einen der mächtigen Wandteppiche des Zeltes ab und wälzte sich gegen die Tische. Die Gäste erhoben sich. Viele, durch die Sonnenröte geblendet, hielten die Hand vor die Augen. Der Himmel erschien jetzt wie geöffnet, er war so mit Purpur übergossen, daß der herabflutende Glanz die Bäume, die Wasser, die Gräser und die Steine färbte; um die Tiefe des Horizonts aber lief ein gläserner, smaragdgrüner Saum, auf den sich die ganze Himmelswölbung wie eine von Blut rauchende Glocke stützte.

      Hephästion blickte hinaus. Dann griff er langsam nach dem Diadem und gab es Alexander lächelnd zurück. Es war ein herrliches Lächeln voll Bittersüße und vermochte mehr als alle Worte der Welt, mehr als Beteuerungen und Beweise, denn es enthielt mehr, es enthielt die Zusage des Vergessens dieser Stunde. Alexander schämte sich, er errötete und schämte sich.

      Die meisten begriffen nicht, was vorgegangen war. Sie hatten gehofft, nun sei es vorbei mit Hephästion; die unerwartete Wendung erweckte Erstaunen und Unwillen. Doch ihre Aufmerksamkeit wurde durch den Tumult abgelenkt, der draußen entstanden war.

      Eine Anzahl Soldaten, Makedonier, Kreter und Epiroten hatte ein Gerüst erbaut und es als eine Art riesigen Wagens von sechzehn Pferden durch das Lager ziehen lassen, während sie oben ruhten, vom grünen Gezweig überschattet, ununterbrochen schmausten und aus zusammengebundenen Schläuchen tranken. Ihre nackten Weiber saßen dabei, jubelten zum Saitenspiel und tanzten um einen gewaltig großen Phallos. Da war ihnen ein langer Zug von Kindern entgegengekommen, an der Spitze der Inder Kondanyo. Er hatte sich der verwahrlosten, hungernden, obdachlosen Geschöpfe angenommen, deren Eltern bei dem Wüstenzug das Leben verloren hatten, und wollte sie zu Alexander führen, damit er sich ihrer erinnere in der Stunde des Glücks. Aber der Wagen der Söldner versperrte den Weg zum großen Zelt; auf der einen Seite war der Fluß, auf der andern lagen in hölzerner Umzäunung die Opfertiere. Die Soldaten schleuderten Verwünschungen und Flüche herab, die wilden Pferde vor dem Schaugerüst drohten die Kinder niederzustoßen, da trat Kondanyo vor den Wagen. Er trug ein härenes Gewand, war bloßfüßig und sein weißes Haar hing unbedeckt bis auf die Schulter. Die Söldner fingen an zu spotten. Aber das Gesicht des Alten zeigte einen so befremdlichen Ausdruck von Güte, eine solche todesüberlegene Kraft, daß ihre Witze zu Boden fielen wie vom Blitz versengte Vögel.

      Alexander wandte sich dem Ausgang des Zeltes zu. Hephästion trat an seine Seite. Jetzt beschloß er zu reden, und er hoffte von der günstigen Stimmung, daß Alexander das Geschehene leicht nehmen würde, denn er schien ganz von Tat entlastet, vom treibenden Feuer des Willens gelöst, schien im tiefsten Genuß seiner selbst völlig dem Augenblick ergeben. Bezaubernd war die Milde seiner Miene und das feuchtaufblickende, schmachtende Auge. Hephästion begann also seine Erzählung, aber er kam nicht bis zum dritten Wort. Alexander nahm den Ring vom Finger und drückte das Siegel zum Gebot des Schweigens auf Hephästions Mund, und beide empfanden es, wie sich am Mißverständnis das Leben entzündet.

      Indessen waren sie hinausgetreten. Die Menge machte Platz. Kondanyo gewahrte Alexander und löste sich aus der Schar der ihn ängstlich umdrängenden Kinder. »Verkünde mir Gutes, du Seher!« rief ihm Alexander lebhaft entgegen.

      Kondanyo neigte sich und erwiderte sanft. »Selig sind, die nicht hassen, Alexander. Selig sind die Armen, süß ist die Einsamkeit. Besseres kann ich nicht verkünden.«

      Alexander blickte sinnend in die halbverglommenen Abendgluten. Er suchte nach einer Antwort für den Inder, aber es zeigte sich, daß alles, was er hätte sagen können, leer und haltlos war. Er hatte die eigentümliche Empfindung, als ob ein gewaltiges Wesen vor ihn hinträte, um ihn nach dem Ziel seiner Handlungen zu fragen, jedoch in einer Sprache, die er nicht verstand.

      Die Nacht sank herab.

      Vor den Zelten glühten die Hornlaternen, in den Becken brannten Flammen, Fackeln flackerten und allmählich wurde es stiller im Lager. Von der Ebene her waren drei dürftig aussehende Reiter vor die königliche Halle gekommen und verlangten Alexander zu sprechen. Man wies sie schroff ab, erst nach langen Unterhandlungen mit dem Obersten der Wache ließ dieser Hephästion herbeiholen.

      Hephästion kam, und einer der Boten überreichte ihm einen doppelt versiegelten Brief, worin Arrhidäos, der Sohn Philipps und Halbbruder Alexanders in ziemlich erhabenen Wendungen den glücklichen Verlauf seiner Reise von Pella bis Sardes mitteilte und um Übersendung von zwölf Silbertalenten zur Weiterreise ins Lager ersuchte.

      Hephästion zuckte die Achseln und blickte die drei Leute, die inzwischen vom Pferd gestiegen waren, der Reihe nach forschend an. Sie waren sichtlich müde. Ihre Mützen waren zerschabt, die Riemen ihrer Schuhe zerrissen. Plötzlich erinnerte sich Hephästion an diesen Arrhidäos, er sah ihn: einen dunkelhaarigen dürren Träumer, einen ängstlichen Beiseitesteher und grüblerischen Phantasten. Es floß wie ein Tropfen Unheil aus der sonderbaren Botschaft.

       Liblitu

       Inhaltsverzeichnis

      Arrhidäos war der Sohn des Königs Philipp und einer thessalischen Tänzerin. Er hatte eine armselige, unter Soldaten, Dirnen und Sophisten verbrachte Jugend gelebt. Von seinem Vater nicht anerkannt, oder wenigstens nicht beachtet, von seiner Mutter nicht geliebt, war er stets von Schwelle zu Schwelle gestoßen worden. Was er, eingedenk seiner Herkunft, an Ehren, an Würde, an Entgegenkommen beanspruchte, war ihm niemals auch nur im mindesten gewährt worden. Er hatte oft nicht Geld genug für die dringendsten Bedürfnisse, er hatte nie einen Freund besessen, nie einen Fürsprecher, nie einen Bildner seines nicht unbegabten, aber verworrenen Geistes. In seiner Brust wechselte die tiefste Betrübnis mit einer verstiegenen Meinung von sich selbst. Er lernte wie Alexander die Sprachen des Orients; er hatte die Schriften aller Philosophen und die Gedichte aller Dichter gelesen und verschmolz die fremden Gefühle und Meinungen in nicht ganz glücklicher Weise mit seinen eigenen. Über das schwerste Ungemach hob ihn das Spiel mit sich selbst hinweg, und er vermochte den Druck der Gegenwart durch die Erwartung einer Zukunft zu erleichtern, die sein inneres Auge mit märchenhaftem Glanz blendete. Er war zwei Jahre jünger als Alexander, und während dieser von Sieg zu Sieg stürmte und sich zum Herrn über die ganze Welt des Ostens erhob, verzehrte sich Arrhidäos in ungestillter Tatengier, schenkte dem Geschwätz der Wahrsager und den Deutereien der Zauberer sein Ohr, fuhr auf einem elenden Schiff an den Küsten des Pontus entlang und warb endlich mit mühsam aufgetriebenem Geld dreihundert berittene Lanzenträger, um nach Asien zu ziehen und irgendeinen Thron zu erobern, irgendein Reich zu gründen, irgendeine Tat zu vollbringen, selbst gegen den Willen und zum Trotz Alexanders, wenn es sein mußte.

      Zu