genossen. Aber: der Tod, den gibt es nicht! stand in den flammenden Augen geschrieben, die die Lüfte und die Erde zum Gehorsam zwingen wollten.
Es war hoffnungslos. Nach fünf Stunden mußten sie umkehren. Ein ausgetrockneter Wasserlauf diente als Richtungszeichen. Die Scharlachröte des Sonnenuntergangs bedeckte den Himmel, als sie wieder ins Lager kamen. Im Norden stand eine lange Wolke ganz in offener Glut. Nur Feuer schien die Erde, schien der Himmel zu atmen.
Langsam ritt Alexander zwischen den hingeworfenen Körpern der Edelscharen hindurch. Als er vom Pferd stieg, sah er einen Söldner, der mit der letzten Gier seiner vergehenden Kräfte an der leeren Brust eines Weibes sog.
Dämonisch glotzende Augen waren auf ihn gerichtet. Nur allmählich erkannten sie ihn durch den Dunst ihres Fiebers hindurch. Sie krochen heran, mühselig krochen sie auf ihn zu, die Überwinder Asiens. Ihre Arme waren steif ausgestreckt, ihre Gewänder zerrissen, ihre Bärte von Blut verklebt; einige hatten Sand im Mund und lachten wirr, einige hatten sich in der Wahnsinnsqual Haut und Fleisch von den Händen gebissen. »Hilf uns, Alexander!« schrien sie mit wutverzerrten Gesichtern und ohnmächtig geballten Fäusten. »Rette uns doch, wenn du Gottes Sohn bist! Zeig’ doch jetzt, daß du Gottes Sohn bist! Hilf uns, rette uns!«
Alexander trat in die Mitte der Schreienden. Sein Haupt war gesenkt, die Augen waren geschlossen. Der Ansturm eines furchtbaren Zweifels war auf dem Gesicht zu lesen. Ein Seufzer entdrängte sich der Brust und die Züge verzogen sich zu lautlosem Weinen. Bestürzt wichen die Makedonier zurück. Vor diesem Anblick schauderte ihnen noch mehr als vor der Wüste.
Als die Nacht kam, erhob sich von der Erde, wer noch Leben in sich fühlte. Strahlenlos, mattlohend, stand Stern bei Stern. Die Seelen der Hingegangenen schwirrten klagend zu ihnen empor und kehrten klagend wieder, zu ewiger Ruhelosigkeit verdammt, denn ihre unbegrabenen Leiber schützte kein Purpurtuch. Alexander vernahm ihre Not, sein Arm streckte sich den Schattengestalten abwehrend entgegen. Seine weitgeöffneten Augen durcheilten den Kreis des Fiebers und der Leiden …
Die rosige Finsternis bauscht auseinander, das Meer wird sichtbar, über das Wasser schreitet eine Frau. Um ihre Kniee wallt ein sternengesticktes Tuch, sie schwingt die Fackel im Arm, sie heult und schluchzt wie das Meer selbst, und wenn sie aufhört zu heulen und zu schluchzen, kommt ein herzzerreißender Gesang, orphisch düster. Es ist die Mutter, ist Olympias, die Fürstin, die Geheimnisvolle, die Priesterin von Samothrake, die Feindin der Menschen. Wohin geht sie? woher kommt sie? Ihrem geöffneten Mund entströmen Flammen, zwischen den Zähnen hält sie blutiges Opferfleisch, die Woge, die ihr Fuß betritt, prallt kreischend zurück wie ein geschlagener Hund, in ihren Augen ist Mord, Blut, Zerstörung, Verachtung des Schicksals. Sie stürmt auf Alexander zu; aufgewühlt von Schreckgesichten flieht sie vielleicht vor dem Tod, an den sie nicht mehr geglaubt hat, seit sie in den Armen des libyschen Gottes gelegen und Alexander mit ihm gezeugt hat.
Ihn hat stets der Schrecken von der Mutter ferngehalten. Er blickt in seine Jugend und Jünglingszeit zurück, als ob dreizehn Jahre nicht gewesen wären, er erlebt sie noch einmal, er sieht befremdet sich selbst, den schwermütigen Knaben am Hof zu Pella, ratlos vor den stürmenden Mächten in der eigenen Brust, stets erstaunt und beklommen in diesem Brodem der Ausschweifungen, der Ränke, des Argwohns, der grausamen Übeltat. Vater und Mutter einander nach dem Leben trachtend, angeberische Schleichhunde hinüber und herüber, boshafte Diener, den Todesaugenblick des Königs erlauernd, Kriegslärm, Parteigezänk, erlogene und erborgte Prunkfeierlichkeiten, friedloses Vorüberhetzen der Tage, die zernagende Ungewißheit der Zukunft. Und Alexander selbst, allen Ehrgeizigen das Hemmnis, willkommene Beute der Verleumder, die Einsamkeit fürchtend, weil sie den Meuchelmörder verbergen konnte, und dann die grauenvollen Stunden bei der Mutter! Wie sie ihn liebkost, wie sie ihn züchtigt! Wie sie ihn nachts aus dem Bett reißt und hinausschleppt in das Unwetter und ihn an den Rand eines feindlichen Lagerfeuers trägt, um zu erproben, ob er sich fürchte, und wie sie triumphierend aufschreit, ihn an die Brust drückt und seinen ganzen Körper mit Küssen bedeckt, als er lächelnd in den Wald der aufgesteckten Lanzen weist! Doch wenn er träumend, mit gesenktem Kopf umhergeht, zerrt sie ihn bei den Haaren über den Palasthof und schlägt ihn unter dem Geschrei und Gelächter der Mägde so lange, bis er sinnlos liegen bleibt. Der Vater ist all diesem abgewandt, zwischen Krieg und Wollust teilt sich sein Leben, er haßt das verschlossene und beobachterische Wesen Alexanders, er fürchtet die Jugend, je mehr ihm vor dem Altwerden graut. Er ist so gottlos wie klug, so unmäßig wie tapfer; Blutschande und Knabenliebe, Verrat und Mord machen sein Lager und sein Haus zu einem verruchten Aufenthalt, mit den ekelsten Dirnen und den widerlichsten Schmarotzern entwirft er zwischen zwei Schlachten Anschläge auf das Leben seines Weibes und seines Sohnes. Alexander muß fliehen. Die winterliche Unwirtlichkeit der Gebirge lehrt ihn die bitterste Not kennen, er verzweifelt an sich und der Welt, der leidenschaftliche Brief der Mutter, worin sie ihn an seine göttliche Abkunft mahnt, läßt ihn gleichgültig, bitter ist ihm die Gegenwart, trostlos die Zukunft, der Vergangenheit will er nicht gedenken. Die Tage vergehen am Strand des illyrischen Meeres; die weitgeschwungene Linie zu sehen, in der sich Himmel und Meer vereinigen, kann ihn allein noch beruhigen, der Anblick der Dinge und Menschen ist ihm ein Greuel, sein Gang, sein Blick, seine Miene sind die eines Verstörten, Verstoßenen, eines Wahnsinnigen. Seine fünfzehn Jahre enthalten die Erfahrung von hundert …
Da kommt Hephästion. Schüchtern und unbemerkt hat er sich schon am königlichen Hof in Alexanders Nähe gehalten. Alexander hat ihn nie gesehen, seine meist gesenkten Augen wichen den begegnenden Blicken aus. Hephästion ist in Athen gewesen; die Lehren und das Beispiel wahrhafter Philosophie haben seinen Geist gereinigt und geschärft. Er sieht das Vaterland, wenn auch ruhmvoll nach außen, im Innern von Schmach und Unrat erfüllt. Auf Alexander richtet sich seine Hoffnung. Und so tritt er zu dem Flüchtling am Meer. Unvergeßliche Stunde! Unvergeßlich die erste innige Frage Hephästions und seine tiefe, schwere Stimme, die ein wenig gebrochen klingt durch die Fülle des Herzens. Dann Alexanders Schweigen, sein Trotz, sein konvulsivisches Wühlen im Sand, das Aufbäumen seines Körpers, sein Weinen, seine endlosen Klagen, und Hephästion stumm, stumm sich niederbeugend; der sanfte brüderliche Kuß! Da erwacht Alexander, und der Himmel zeigt ein anderes Antlitz. Er erzittert, bis zum Abend zittert sein Leib, er wirft die Gewänder ab und stürzt sich ins Meer, seine Glieder verlangen nach Kampf, er tobt den schäumenden Wellen entgegen.
Im Gespräch teilen sich die Seelen einander mit. Die Zukunft gewinnt Gestalt. Hat Alexander sich bis jetzt wie ein Tier verkrochen, wie ein Tier, wie ein Sklave stumpf das Unvermeidliche ertragen, so drängt er jetzt den Göttern entgegen, zu Göttlichem scheint er sich auserlesen, und er glaubt an die göttliche Umarmung der Mutter.
Und es kommen Tage und Nächte, in denen Zweifel und Zuversicht wechseln, Beklommenheit und Raserei der überfließenden Kräfte, Gottestum und Menschenangst. Hephästion ist der Wärter der kranken, aufbrüllenden Seele. Alle andern fürchten Alexander; es geht die Sage, sein zorniger Geifer wirke wie Gift; er ist gemieden, seine Gegenwart verbreitet Entsetzen. Die Freunde gehen nach Athen. Die lasterhafteste aller Städte flößt Alexander einen Abscheu ein, der ihm den Schlaf raubt. Auf ihn wirken die geringfügigsten Eindrücke mit erschreckender Maßlosigkeit. Maßlos ist sein Tun, sein Denken, sind seine Träume, seine Befürchtungen, seine Pläne. Seine Körperkraft ist unerschöpflich, Übungen ermüden ihn nicht, die wildesten Pferde bändigt er leicht, wer ihm zum Ringkampf gegenübertritt, den besiegt er fast schon durch seinen glänzenden Blick, in den Schulen der Philosophen erregt sein Geist Aufsehen, er verachtet das Herkommen und verficht alles Neue; wahrhafte Größe und Schönheit kann ihn so erschüttern, daß er tagelang wie besinnungslos bleibt, und selten sind die Stunden, in denen sein Gemüt zur Ruhe gelangt. Dann aber geht etwas Bezauberndes von ihm aus, und die ihn so sehen, sind ihm für immer verfallen, wer sein himmlisches Lächeln einmal gesehen hat, kann es nicht mehr vergessen, dann wohnt aller Stolz der Erde auf seiner Stirn und alle Lieblichkeit auf seinen Lippen.
Ohne Hephästion hätte alles einen andern Weg genommen. Jetzt erst, in der Finsternis der Wüste, wo das Lebendige vor seinem letzten Ende stand, jetzt fühlt Alexander, an welchen Abgründen der Natur er vorübergegangen ist. So ganz zurückdenkend, zurückschauend, zurücklebend, erkennt er in Hephästion den Retter, der an der Schwelle eines jeden Morgens der Sonne das Licht voranträgt. Und welch ein Tag war das, als die Nachricht vom