Jakob Wassermann

Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann


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den marmornen Fliesen zwischen Trinkschalen, Amphoren, persischen Emailgefäßen und mit Früchten und Kuchen beladenen Dreifüßen. Unter dem Zederholzgebälk des Daches herrschte schon tiefes Dunkel, und es war, als ob sich der Abend von dort aus herniedersenkte über die wunderlichen Säulenkapitäle aus doppelten, großgehörnten Stierköpfen und herabglitte über die zarten Lotosornamente der Seitenmauern, über das Bild Auramazdas im geflügelten Ring, über die halberhabene Steinfigur eines Königs. Geisterhaft belebt war dies Bildnis; im engen modischen Gewand, die Tiara auf dem Haupt, in der rechten Hand das Zepter, in der linken Hand eine Blüte, schien es sich langsam und traurig aus der Schar der Fremdlinge zu entfernen.

      Die fast traumhafte Ausgelassenheit wurde durch einen tumultartigen Lärm gestört, der von der Terrasse heraufdrang. Fünfzehn bis zwanzig Makedonier drängten sich um einen einzelnen Menschen und zerrten ihn unter Drohungen und Verwünschungen die Treppe empor. Von einer lagernden Gruppe erhob sich der Tetrarch Phason und ging auf den Knäuel zu. Mit schallender Stimme gebot er Ruhe. Ein Söldner berichtete atemlos, sie hätten drüben in den Höfen einen Menschen aufgegriffen, einen Makedonier aus der Schar der Gezeichneten, namens Promachos. Er gebe vor, aus Ekbatana zu kommen, und erzähle, dreißigtausend junge Perser seien unterwegs, in makedonische Rüstung eingekleidet und in allen Übungen der Phalanx geschult.

      »An dieser Lüge sollen seine ungeborenen Kinder krepieren!« schrie Phason wütend. »Zeigt mir den Kerl.«

      Der Ring der Söldner öffnete sich murrend. Phason gewahrte einen jungen Menschen mit unruhigen, verstörten Zügen, dessen Oberkleid von gewalttätigen Händen zerfetzt war. »Nun, Promachos,« höhnte Phason, »hat man dich vielleicht unter die Gezeichneten gegeben, weil du immer die Wahrheit geliebt hast? oder hast du deine Zunge schon früher in den Kot gesteckt?«

      »Es ist, wie ich sage,« stammelte Promachos und erhob beschwörend den Arm. Unter dem glühenden Blick Phasons schlug er trotzig die Augen nieder, wich gegen eine Säule zurück, an die er, um sich zu decken, mit dem Rücken lehnte, und rief laut: »Dreißigtausend Perser, ganz wie ihr und ich gerüstet, haben vor fünf Tagen Ekbatana verlassen! Das ist so wahr, wie dort das Hundsgestirn zu leuchten anfängt.« Er deutete gegen den Himmel hinauf und wandte sich dann zu Phason. »Hüte dich, Pelläer,« sagte er finster. »Auch dir wird man Honig ins Gesicht schmieren und dich in die Sonne legen, wenn man deiner Dienste überdrüssig ist. Jetzt gilt Barbarensitte. Nur wer den Boden geküßt hat, darf aufrecht stehen.«

      Mit der Wohlgelauntheit war es aus. Murmelnd hatten sich die Söldner erhoben. Durften sie glauben, sollten sie mißtrauen? Ungeduld, Angst und Haß übten ihr schweigendes Spiel auf den weinerhitzten Gesichtern. Wollte Alexander sie den Barbaren preisgeben? Vertraute er ihnen nicht oder standen Dinge bevor, bei denen er sie zu fürchten hatte? Manche hingen schon mit drohenden Mienen das Schwert um die Schulter. Sie standen in der schweren, abdunkelnden Röte des Abends wie mit Blut übergossen.

      Phason erkannte die Größe der Gefahr. Er hatte schon manchmal dies dumpfe Grollen des Aufruhrs vernommen. Mit Worten war wenig auszurichten. »Glaubt ihr denn,« rief er mit seiner weittönenden Stimme, die in vielen Schlachten das Zittern der Feinde verursacht hatte, »daß Alexander den Verrat seines schlechtesten Soldaten abgewartet hätte, wenn er selbst Verrat begehen wollte? Eher wird das erythräische Meer nach Susa kommen, als daß Alexander uns verrät.«

      »Und es ist doch Wahrheit,« entgegnete Promachos schreiend, bleich bis in die Augensterne.

      Mit rasender Geschwindigkeit riß Phason das Schwert aus der gebuckelten Scheide und stieß es dem Promachos mit solcher Gewalt durch den Hals, daß die Spitze, neben dem Nackenwirbel herausfahrend, in der Marmorkanellierung der Säule schrill klirrend abbrach. Ein dicker Blutstrahl schoß im Bogen empor und bespritzte die Umstehenden. Promachos fiel um, gurgelnd, als ob sein Mund voll Wasser wäre. Er fuchtelte mit den Armen haltsuchend durch die Luft und wälzte sich röchelnd von einer Seite auf die andere; dann krallte er, wie um Luft zu bekommen, seine Finger in den Linnenpanzer über der Brust, und so entsetzlich war seine Anstrengung, daß er das Gewand zu durchreißen vermochte. Von niemand beachtet, fiel ein schimmernder Gegenstand auf den Stein des Fußbodens, mitten in die Blutlache. Die Hand des Sterbenden tastete danach, bis sie mit dem übrigen Körper erstarrte.

      Die Röte des Abendhimmels begann unter dem Andringen großer Wolken zu ersticken. Aus der Tiefe der Halle, dem Verbindungsgang zum Palast, kamen Sklaven mit Fackeln; sie steckten die ehernen Schäfte in die Halter an den Säulen. Ein Söldner, der an der Leiche des Promachos stand, hob das blitzende und blutbesudelte Ding auf, das dem Getöteten entfallen war. Überrascht wollte er es den anderen zeigen, als der Mager Osthanes, der hier in der Halle Alexander erwartete, neben ihn trat und ihm mit großer Erregung den Gegenstand entriß. »Das Diadem!« rief er aus.

      Verstört drängten sich die Söldner heran.

      »Der Schuldige hat seine Schuld gebüßt,« sagte der Priester, auf die Leiche weisend. »Aber nichts vermag den Achämenidenkönig zu versöhnen; todbringend muß sein Diadem von Haupt zu Haupt wandern.«

      Die Söldner erschienen sich den rachsüchtigen Göttern der Barbaren rettungslos preisgegeben. Furchtsam betrachteten sie den Mager. Osthanes genoß den Triumph, der in dem Schweigen um ihn her lag. In seinem langen Gesicht hing ein Bart schwarz wie Pech und glänzend wie Seide. Durchbohrende Augen leuchteten durch die struppigen Brauen wie glühende Kohlen durch die Stangen eines Feuerrostes. Seine Gesichtsfarbe war das dunkelste Braun, seine Zähne waren weiß wie das Fleisch der Mandel. Nie hat er gelächelt, niemals kann er lachen, kein grauenhafteres Wesen war zu denken, wie er so im Fackellicht stand, die Baresmastäbe in der Hand, die heilige Schnur um den Nacken, die hohe Tiara auf dem Kopf. Die Söldner waren so betäubt, daß sie nicht einmal Alexander bemerkten, der mit Hephästion und Eumenes in die Halle getreten war. Ihre Blicke waren ganz von dem Diadem gefesselt, das der Mager vor sich hielt und mit düsterem Ausdruck besah.

      Auf goldenem, eirundem Grund zwischen zwei goldenen Bändern waren vierundzwanzig Diamanten von blendendem Feuer befestigt. Diese waren umgeben von einem dichten, dreifach geschlungenen Kranz aus Smaragden und Rubinen, und um diese wieder lief ein Saum von Kornalin, auf dem zwölf Stiere in schreitender Stellung eingraviert waren, in ihrer Mitte das Symbol des Lebens. Den oberen Rand krönte ein kunstvoller Strauß birnenförmiger Perlen, jede so groß wie ein Fingernagel. Es hieß, diese Perlen seien die erstarrten Tränen der Göttin Anahita, die sie um den Helden Rustem geweint.

      Der Mager schritt vor Alexander hin, warf sich nieder und berührte mit der Stirn den Boden. Alexander und Hephästion trugen beide das unscheinbare makedonische Gewand; Hephästion war viel größer von Gestalt, aber Alexanders Gesicht und Kopf waren von so mächtigen Formen, daß er dadurch alle zu überragen schien. Seine Augen schweiften über die versammelten Edelscharen, als wollten sie den allertiefsten Grund jeder Brust kennen lernen. Die Söldner zitterten vor diesem Blick, die Glieder zitterten ihnen, wenn er sie so anschaute, trotzdem seine Züge ruhig, ja sogar freundlich waren.

      »Nie möge dein Schatten sich mindern, Herr,« sagte der Mager, indem er aufstand. »Haoma schütze dich, das schönste Wesen vor den Augen Zarathustras. Der Räuber des geweihten Grabes ist entdeckt.« Er hielt das Diadem empor. Alexander nahm es aus seiner Hand und betrachtete es in tiefem Staunen.

      »Wirf es weg, Alexander!« rief auf einmal eine Stimme, »der Mager weissagt den Tod aus seinem Besitz.«

      »Es ist wahr,« sagte der Mager ernst, »ehe siebenmal der Mond sich erneut, muß der sterben, der das Diadem trägt.«

      Von neuem betrachtete Alexander das strahlende Kunstwerk in seiner Hand. Ein flüchtiges Lächeln bewegte seine Lippen, sein großer Blick verlor sich langsam in den Raum. Sterben müssen? … Fremd und fern war ihm der Begriff des Todes. Schien ihm doch die Welt nur um seinetwillen auferbaut und dazustehen, um seinetwillen wimmelte die Menschheit. Schien es doch, als ob ungezählte Tausende nur deswegen den Tod empfangen hatten, damit er stärker und voller leben könne; was sie verloren, nahm er in Besitz. Hatte er an das Sterben gedacht, als es in den Schluchten Baktriens Felsblöcke von den Höhen regnete und rings um ihn die besten Männer zerschmettert wurden? als vor Tyros die Schiffe zu brennen anfingen und das Meer mit verkohlten Leichnamen bedeckt war, zwischen