Jakob Wassermann

Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann


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      Einer der persischen Großen trachtete einst seinem König nach dem Leben und zettelte eine Verschwörung an. Da kam ein Einsiedler aus Syrien zu diesem Mann und brachte ihm einen Schädel, einen ganz gewöhnlichen Schädel von einem Totengerippe. Was soll ich damit? fragte der Mann. Wäge ihn und bewahre ihn, erwiderte der Einsiedler. Der Perser ließ eine Wage kommen und legte den Schädel auf die eine und Gewichte auf die andere Schale. Aber sonderbar, der Schädel war schwerer als alle Gewichte, die man auftreiben konnte, es wurde nichts gefunden, was ihn aufgewogen hätte. Als man darüber ganz ratlos geworden war, nahm der Einsiedler eine Handvoll Staub und verstopfte damit die Augenhöhlen des Schädels. Und da erhob sich plötzlich der Schädel, obwohl nur ein kleiner Stein auf der andern Schale lag. Der Perser wurde darüber sehr nachdenklich, und von der Stunde an ließ er ab von seinem schwarzen Vorhaben.

      Die Wirkung der simplen Geschichte war erschütternd. Vielleicht war Hephästions Ruhe schuld, seine Vernunft, seine Klarheit, seine Einfachheit. Die neun Männer gerieten ganz außer sich, sie wehklagten, rauften ihre Haare, weinten, warfen sich auf den Boden und überließen sich ohne Ausnahme dem Schmerz ihrer Scham und Reue. Als sie sich ein wenig beruhigt hatten, da gebot Hephästion, jeder solle den Oberarm entblößen und mit dem Schwert ein blutiges Mal in die Haut ritzen, und jeder solle das gleiche Zeichen eingraben zum Andenken an diese Stunde, damit sie bei künftigen Versuchungen durch einen Talisman gefeit seien. Das geschah, und darauf entließ er die Männer zum Feste.

      Er selbst eilte ins Bad, ließ sich abreiben und salben und mit dem reichen Perserkleid schmücken. Es war spät. Der Zug der Bräute war schon aufgebrochen. Sein Fernbleiben konnte nicht unbemerkt geblieben sein. Mit überstürzter Hast, so daß seine Sklaven weit zurückblieben, verließ er den Palast. In der Hauptgasse des Lagers geriet er in ein so dichtes Menschengewühl, daß er eine Zeitlang weder vor-noch rückwärts konnte. Einige Griechen, die ihn erkannten, halfen ihm heraus. Doch auch die Seitenwege zwischen den Zelten waren voll von Menschen, die freien Plätze voll von Kaufleuten, Sängern, Tänzerinnen und Komödianten. Wie Orkanbrausen war das Getöse der Stimmen, die vielfachen Rufe, das Weibergeschrei, das schmeichlerische Girren der Perser, die düstere Sprache Babylons, die dumpfen Laute Thessaliens. Da war der Libyer im Lederwams, der dunkelfarbige Sohn Gedrosiens, der zierlich-würdevolle Araber, der ernste Meder, der Inselbewohner vom Roten Meer mit Goldstaub in den Haaren, der bewegliche Parther, der wilde Hyrkanier, der bäurisch plumpe Paphlagonier, der Arkader mit der Ledermütze, und wie sehr auch alle in Bildung und Gehaben verschieden waren, ein Zug war ihnen gemein: jedwedes Gesicht zeigte den Ausdruck der zügellosen Lüsternheit, des Rausches um seiner selbst willen, einer seelenlosen Ekstase. Fast alle Augen hatten einen unheimlich starrenden Ausdruck; es war bei all dem frechen Überschwang etwas angstvoll und angespannt Horchendes in den Gesichtern; ihre Rauheit war nicht kriegerisch, sondern glich der von Helfershelfern bei einer Schandtat.

      Hephästion hatte es längst gewußt, aber seine Beobachtung war nie von solcher Furcht begleitet gewesen. Mit heftiger Anstrengung schüttelte er das Nachdenken von sich ab. Seine Sklaven hatten ihn eingeholt, liefen schreiend vor ihm her und bahnten eine Gasse im Gewühl. Vor dem großen Hochzeitszelt ertönte zum drittenmal die Fanfare. Durch ein Spalier von siebenhundert Edelsöldnern in purpurnen Gewändern zogen die persischen Bräute ein, voran die Fürstentöchter mit Kronen im Haar.

      Das riesige Zelt, in dem sich mehr als zehntausend Menschen befanden, ruhte auf achtzig vergoldeten und versilberten, mit Edelsteinen ausgelegten Säulen. Von blinkenden Elektronstäben hingen kostbare Teppiche herab. Die Ruhelager hatten goldene Polster und goldgestickte Purpurdecken. Als Hephästion eintrat, wurden von den Makedonien an der Hochzeitstafel schon die Brote mit dem Schwert zerteilt, das Ende der Vermählungshandlung, und die Perserinnen entschleierten sich. Fremd und wunderbar tauchte manches schmale Gesicht auf, die Augen von mineralischer Schwärze, ein Traumlächeln auf unbeweglichen Scharlachlippen. In Gebärden und Worten schienen sie willig, der befohlenen Liebe geneigt, doch manche der kleinen glatten Elfenbeinstirnen bebte von düsterer Erinnerung. Die eine hatte durch den selben Mann, den sie jetzt umarmen sollte, ihre Brüder verloren, die andere gedachte der Mutter, die auf den Trümmern des heimatlichen Hauses geschändet und erschlagen worden, die dritte sah die Stadt, in der sie geboren, in Flammen stehen, die Schätze geraubt, die Tempel erbrochen, die heiligen Bücher fortgeschleppt. In ihrer Phantasie lebten noch die Bilder zertretener Saaten, verwüsteter Dörfer, verwesender Leichname von Kindern und Greisen. Ihr Mund lachte und regte sich dem Kuß entgegen, doch ihre Blicke flohen den Schauplatz aberwitziger Freuden. Neben Alexander saß Stateira, die Tochter des unglücklichen Dareios. Sie war in herrliche babylonische Gewebe gekleidet, über ihre Schläfen liefen Perlenschnüre, um den Hals trug sie an silberner Kette ein Amulett, das vor üblen Träumen schützte. Ihr Gesicht war von einer merkwürdigen bösen Regungslosigkeit. Vielleicht dachte sie an ihre Nebenbuhlerin Roxane, die im Königspalast zu Babylon auf Alexander wartete. Bisweilen tauschte sie einen schnellen Blick mit Drypetis, ihrer Schwester, die für Hephästion bestimmt war und die wie eine scheue Sklavin sinnlich beunruhigt vor sich hinlächelte.

      Hephästion kam. Alexander, er saß gegenüber, schaute empor. Ein einziger Blick zwischen beiden, und Hephästion wurde bis in die Lippen bleich. Er weiß alles, dachte er erstarrend. Ja, Alexander wußte von dem Anschlag und wußte auch, daß Hephästion davon unterrichtet war. Im Gedräng der Vorhalle, nach dem Frühstück, war ihm ein Zettel in die Hand gespielt worden. Wahrscheinlich war es einer der Übeltäter selbst gewesen, hatte den Genossen und dem Verratenen zugleich dienen wollen; kein Auge hatte ja noch ein festes Ziel, noch weniger irgend ein Herz einen Mittelpunkt, zu jeder Stunde geschah gerade das Unerwartete, ein Luftbild, ein Nichts zerstörte die feste Abrede zwischen Freunden, und wer die letzte Sproße auf der Leiter seiner Wünsche erklimmen wollte, verlor lieber sich selbst als die gute Gelegenheit. Bleiern und lähmend spürte Hephästion, wie das Mißtrauen in Alexander tobte, so daß er nur mit Anwendung aller Kraft an sich halten, den Zutrinkenden danken, den Fragern antworten konnte. Manchmal flog sein Blick fragend zu Hephästion hinüber, aber Hephästion war zu stolz, diesen vermessenen Argwohn zu stillen. Er schwieg und tat, als bemerke er nichts. Aber er mußte es immer deutlicher gewahren, wie Alexander litt, wie er die Zähne aufeinander rieb und an den Lippen nagte, wie er mit beiden Händen die dichten Haare gleich einem geduckt Lauschenden gegen die Ohren hielt, wie sein Auge dahin und dorthin flog, wie seine Faust krampfhaft und immer krampfhafter den Becher umklammerte, wie durch jedes Wort, das er sprach, die knirschende Wehklage tönte: Seht, auch Hephästion hat mich verraten, Hephästion ist im Einverständnis mit denen, die mir nach dem Leben trachten …

      Nackte Knaben liefen hin und her; sie schöpften Wein aus den großen Behältern in die kleineren Amphoren. Sie kletterten wie Zwerge an ehernen, auf kolossalen Statuen ruhenden Kratern herum, die mit dunklem chalydonischen Wein gefüllt waren. Sie trugen die auf Würfeln ruhenden Eimer, die mit Inselweinen gefüllt waren, zu den Tischen. Wie beflügelt eilten sie dahin mit ihren Trinkhörnern, Schöpfgefäßen, Doppelbechern und Schalen aus Onyx, Achat, Alabaster und Porphyr. Seltsam wie das Rascheln vieler kleiner Tiere im Gras klangen ihre Schritte auf dem mit Blüten und Laubwerk bedeckten Boden. Lange Züge von Sklaven reichten die Speisen: das gebratene Fleisch kappadokischer Schafe, Rinderkeulen am Spieß gebraten, Vögel auf phönikische Art zubereitet, seltene Fische aus dem schwarzen Meer, flache Gerstenkuchen aus Babylon, euböisches Obst, bernsteinfarbene Riesendatteln aus den karäischen Dörfern, ägyptischen Käse und sizilische Leckereien.

      Alle, die in Alexanders Nähe waren, wurden jetzt aufmerksam und verfolgten mit wachsender Unruhe das aufregende Spiel seiner Mienen. Da suchte auch der Unschuldige in seinem Innern nach einer Schuld und der nicht ganz Reine gedachte seines Makels. Sie peitschten deshalb ihre Laune an, warfen mit prahlerischen Worten um sich, schlangen die Arme um die Frauen; der graubärtige Krateros richtete sich vom Lager empor, wie ein Satyr tauchte er auf mit weinschmatzendem Mund, pries lallend Alexander, riß ein Stück der Rosenguirlanden von der Säule nebenan und warf es Alexander zu. Der einzige Perdikkas bewahrte seine Besonnenheit. Seine Augen sahen aus wie gefroren, ihn gelüstete es unaufhörlich nach blutiger Abrechnung, und über diesem Verlangen trug er die Maske der Gerechtigkeit; stets zu Anklagen fertig, war ihm der Ton friedlich scherzenden Genusses lästig, und nur eine Stunde wie diese spannte seine Erwartung höher.

      Plötzlich erhob sich Alexander. Er schloß die Augen,