daß wir sie als die gott-und ehrvergessene Person prästieren, die sie ist. Daß ihr Wandel unserm christlichen Ansehen zur Schande gereicht und wider Pflicht und Sitte geht. Wir wollen ihr die Prätensionen und Arroganzen an der Wurzel kürzen. Wir sind kein Leihamt. Wir halten keinen Dukatenscheißer im Spind. Wir haben genug getan, indem wir den Neveu, den sie uns aufgehalst, und seinen verschlafenen Mentor seit Jahr und Tag von unsern Ersparnissen gefüttert haben. Habt Ihr Euch das gemerkt?«
Der Mönch ließ ein devotes Knurren hören.
Aber als der Bischof fortfahren wollte, kam eine lehmige Stimme aus dem Hintergrund des Raumes. »So nicht, Herr Bischof. Ihr könnt es nicht tun. In der Weise nicht«, sagte die Stimme.
Ein großer hagerer Mann war leise durch eine Tapetentür eingetreten, der Jesuitenpater Gropp, Beichtiger und Vertrauter des Bischofs, seine rechte Hand, Exekutor seines Willens und eigentlicher Richter in allen Prozessen wider die Hexen und Magier, durch das Collegium an ihn delegiert.
Der Bischof, eingeschüchtert wie stets, wenn er sich dem Pater gegenüber befand, fragte stockend: »Wie denn sonst, Gropp? Wie sonst soll man sich solchen anverwandten Weibes entledigen? Was sonst ist Euer Rat?«
Ein verächtliches Zucken spielte um die Lippen des Paters, die aussahen als sei die Haut mit einem Messer entzweigeschnitten worden und eben im Begriff, wieder zusammenzuwachsen. Er hatte eine kegelförmig sich verjüngende Stirn, in die steife schwarze Haare hereinhingen, und ein fahlgelbes Gesicht.
»Ihr könnt die Frau nicht in expressis verbis verschimpfieren, Herr Bischof«, erwiderte er nach gemessenem Schweigen, ohne die Lider zu heben. »Ihr müßt ihr im Gegenteil dem Scheine nach die schuldige Reverenz erweisen; sie war die angetraute Gattin Eures leiblichen Bruders. Ich sage nicht, daß Ihr so weit gehen sollt, ihr das Geld zu schicken, damit hat es gute Weile, wird sie doch morgen oder übermorgen mit einem neuen Anliegen kommen, stillt man die Begehrlichkeit, so ermuntert man sie. Mich dünkt, wenn ich mich solchen Rates unterfangen darf, Ihr müßt ihr auf Ehrenberg einen Besuch abstatten. Es empfiehlt sich, dort nach dem Rechten zu schauen. Es wäre nicht unangebracht, bei der Gelegenheit einmal den Junker in Augenschein zu nehmen, über den mir allerlei verdrießliche Dinge zu Ohren gelangt sind. Vielleicht könnt Ihr dadurch eine Seele retten, die schon am Abgrund hängt. Ich gebe es nur zu bedenken, nichts anderes. Ihr könnt es nach Euerm Bessermeinen halten.«
Er verbeugte sich kalt. Er kannte die Macht seines Wortes. Er hatte Erfahrung darin, die flackernden Willensausbrüche des Bischofs erst abzukühlen und sie dann so zu unterschüren, daß sie zu folgerechtem Wirken führten.
Der Bischof strich mit den Fingerspitzen über die von Speiseresten befleckte Soutane. »Wenn Ihr glaubt, es ist vernünftig, daß ich hinüberfahre, gut, so wollen wir hinüberfahren«, murmelte er verwundert; »so wollen wir am Walpurgistag hinüberfahren. Aber bisher hat es Euch nicht von Vorteil geschienen, daß ich meinen Neveu zu mir kommen lasse oder gar ihn aufsuche …« Die Bemerkung klang schüchtern, der Bischof zerbrach sich den Kopf über die heimlichen Beweggründe des Paters. Doch der gab sich die Miene, als nehme er die Bemühung nicht wahr, und erwiderte trocken: »Bislang nicht, aber nunmehr dünkt es mich an der Zeit. Wollt nicht vergessen, daß der Junker Ernst fünfzehn Jahre alt wird und daß Ihr anfangen müßt, für seine Zukunft christliche Sorge zu tragen.«
Ein schrilles hohes Klingeln unterbrach das Gespräch zwischen dem Kirchenfürsten und dem Jesuiten. Michel Baumgarten erhob sich, schlug das Kreuz und ließ sich auf die Knie nieder, in welcher Haltung er verblieb, solang das unheimliche Glockenzirpen währte. Auch der Bischof und der Pater schlugen das Kreuz, und als vom Domplatz herauf der leiernde Gesang des Misereres in das Gelaß drang, neigten sie ihre Häupter, der Bischof in erschrockener Andacht, Pater Gropp in gewohnheitsmäßiger Düsterkeit.
Es war die Armesünderglocke, die Sänger waren Dominikanermönche, die unter Führung des Paters Gassner drei verurteilte Frauen auf den Hexenschuß vors Tor geleiteten, um ihrem Brand beizuwohnen und ihnen den geistlichen Zuspruch zu spenden.
III
Einfach in Gewohnheiten und einfältig von Sinn und Art, ähnelte der Bischof Philipp Adolph in nichts den großen geistlichen Herren seiner Zeit. Er lebte frugal, kleidete sich ärmlich, bewohnte in dem uralten Palast hinterm Dom bloß zwei finstere Räume und nahm die Besuche vornehmer Reisender, die in seine Residenz kamen, nur an, wenn ihnen der Ruf der Frömmigkeit vorausging und sie sich frommen Trostes für bedürftig erklärten. Allem Luxus und Schaugepränge war er abhold, die kristallnen Lüster und venezianischen Spiegel in den Empfangs-Sälen hatte er bei seinem Amtsantritt mit schwarzen Tüchern verhängen lassen; das silberne und goldene Tafelgeschirr seiner Vorgänger wurde in Truhen versperrt; den meisten Dienern und Beamten des Hauses gab er den Abschied, und die Gelder für die Wirtschaft wurden auf das Unerläßliche eingeschränkt. Er haßte die öffentlichen Festlichkeiten, Volksbelustigungen, Umzüge, Fackelzüge, Musik, Tanz und Maskeraden, und da der unterfränkische Menschenschlag immer schon lebhaft und den sinnlichen Vergnügungen ergeben war, glich bereits der Anfang seiner Herrschaft einem Frosteinbruch in einen blühenden Garten.
Er war ein grundeinsamer Mann. Aber die Ursache der Einsamkeit lag nicht in philosophischer Versenkung, ebensowenig in der Weltentsagung eines von den irdischen Dingen enttäuschten und den himmlischen zugewendeten Gemüts. Furcht hatte sie erzeugt. Beschränkten Geistes und dumpfen Herzens, hatte er sich gänzlich in den Wahn verloren, daß der Mensch rundum von Dämonen umstellt sei. Früh war das gewachsen, genährt von der Zeit, begünstigt von allem, was in ihr schrecklich und verworren war, und schlug seine Wurzeln in Denken und Traum hinein. Wenn solcher Hang in ihm gebändigt geblieben war, solang er das behagliche Dasein eines Kloster-Prälaten geführt hatte, jetzt, als Beherrscher eines Landes, Gebieter über viele Tausend Seelen, war ihm keine Grenze gesetzt und kannte er keine Schonung in dem Kampf.
Er war von Dämonenangst und Dämonenglauben so umfangen, daß er bei jedem Schritt, den er tat, vor dem nächsten zitterte. Der Stein unter seinem Fuß, der Balken über seinem Kopf hatten das Aussehen der Bezauberung. Die Luft, die er atmete, konnte magisch vergiftet sein, das Buch, in dem er las, das Kissen, auf dem er schlief. Weder Gebet noch Kasteiung boten Schutz. Das wollte aber noch nichts bedeuten gegen die von Menschen drohende Gefahr, von denen, die sich zur Vernichtung des Reiches Gottes verschworen hatten, die das Vieh behexten, verderbliche Sprüche wußten, zum Opfermahl der Baalim flogen, die ihre unmündigen Kinder unter die Botmäßigkeit des geschwänzten Teufels zwangen, rasend machende Tränke in den Wein mischten, die heilige Hostie mißbrauchten, die Herden des Sabbats hüteten, mit Scheingold zahlten und mit dem Incubus grausige Fratzen zeugten.
Erwog er das Treiben der Menschen, so festete sich nur die Gewißheit von der um sich greifenden Macht Luzifers. Das Volk vom Unheil zu erretten, darauf allein stand sein Sinn. Mißernte, Hagelschlag, Dürre, Überschwemmung, Aufruhr, Hungersnot, Krieg, Pestilenz: alles hatte nur Eine Quelle, alles Übel und Verbrechen, aller Hader, alle Krankheit und zugefügte Kränkung, häuslicher Verdruß, eheliche Untreue, Ketzerei und Häresie, Trunkenheit, Wollust, Diebstahl und Wucher. Es kam immer nur darauf an, den Schuldigen zu finden, den, der mit den Dämonen im Bunde war, der das Mal an sich trug, den Gezeichneten, den Vermaledeiten, Mann oder Weib oder Kind oder Greis oder Jud oder Christ.
Konnte es schwer sein, ihn zu finden, da doch allenthalben Finger auf ihn wiesen? Auf wen? Nun auf den, der sich gerade hervortat. Auf den besten Schützen zum Exempel. Auf den geschicktesten Uhrmacher zum andern. Auf einen Bücherwurm oder friedlichen Herumstreicher. Auf einen, der bösen Gewissens schien, einen, dem Hoffart zu Kopf gestiegen war. Auf den armen Häusler, der den reichen Nachbar haßte, den Reichen, der dem Bettler das Almosen weigerte, die Jungfrau, die zudringliche Bewerber ausschlug, den Studenten, der im Geruch der Freigeisterei stand, das alte Weib, das Mann, Sohn und Enkel überlebte, den Gelehrten, der nach griechischer Weisheit forschte, die Dirne, die den Ehefrauen ihre Männer abspenstig machte, die züchtige Gattin, die einem frechen Galan die Tür gewiesen, den Bauern, der in der Scheune geflucht hatte.
Das Holz im Ofen