sah den Pater Gropp an; der, mit gesenkten Augen, neigte kaum merklich das Haupt, und um seine wagrechte Mundspalte zuckte ein schlimmes Lächeln.
Inzwischen war der Magister ans Fenster getreten und gewahrte unten im Hof den Junker Ernst. Er war nicht allein gekommen; unterm Hoftor standen einige seiner Trabanten, der Silberhans, der Batsch, dann ein Zwerchpfeifer aus Ochsenfurth, und ein halbes Dutzend Burschen und Mädchen; diese alle sahen ihm neugierig und verwundert nach, ebenso neugierig und verwundert, wie ihn von oben Herr Onno betrachtete und durch seinen halblauten, erstaunten Ruf: »Da ist unser Junker«, auch die Freifrau und den Bischof veranlaßte, zum Fensterbord zu eilen. Der Knabe schien gänzlich verwandelt; er trug ein blaues Pagengewand mit seidenen Strümpfen und Schnallenschuhen und ein flaches Barett mit weißen Federn. Der Anzug war nicht neu, das war wohl zu merken, auch nicht auf seinen Leib geschnitten, er schlotterte über der Brust und an den Beinen, und die Schuhe sahen aus als wären sie lang an keinem Fuß gewesen; dennoch wirkte seine Erscheinung so prinzenhaft, daß Wallork und die Lenette, die vor die Leutetür gestürzt waren und eben noch gewahrten, wie er die moosbewachsene Freitreppe emporstieg, ihm offenen Mundes nachschauten. Gleich darauf trat er in den Saal, und statt die Versammelten zu grüßen, blieb er schüchtern an der Tür stehen. Er hatte sich dem Oheim Bischof mit edelmännischem Gruß nahen gewollt, das war sein Vorsatz gewesen, er hatte sich unterwegs Form und Wort ausgedacht, doch unterließ er es nun, und es schien, als ob ein leichter Schauer über seine Schultern flöge, rätselhaftes Gefühl, das ihm selbst nicht klar wurde, obschon er ihm eine Richtung gab, als er den langsamen Blick nach der Stelle lenkte, wo stumm und lautlos der Pater Gropp stand. »So sprecht doch, Junker, verneigt Euch doch vor Seiner Gnaden«, murmelte Magister Onno bedrückt. Er gehorchte, verneigte sich und trat zögernd näher: »Wer hat ihn denn so ausstaffiert?« fragte, mehr sich selbst als ihn oder den Magister, die Freifrau flüsternd und mit einer Miene, als sei ihr sein Wesen, sein Gesicht, seine Gebärde alles in einem quälend unheimlich, so wie neulich, als er sich anheischig gemacht, ihr was zu erzählen und sie aus dem Zimmer gelaufen war, kaum daß er den ersten Satz begonnen, entsetzt darüber, daß er dastand, daß er sprach, zu ihr sprach, so wirklich, Frau Mutter sagte, so wirklich …
Der Knabe richtete seine leuchtenden Blicke freimütig auf das Gesicht des Bischofs. Das Barett hatte er abgenommen und hielt es zwischen den Händen. »Meine Frau Mutter wundert sich, daß ich in dem schönen Kleid komme, aber ich wollt vor Euch nicht als Betteljunker erscheinen, Herr Oheim«, begann er mit seinem bestrickenden Lächeln, das die schneeweißen Zahnreihen noch heller machte und den Reiz der bräunlichen Gesichtshaut erhöhte, »Betteljunker war ich, Betteljunker werd ich wohl bleiben, aber um Euch Ehrerbietung zu erweisen und weil unsere Lenette so kummervoll über die Dürftigkeit meiner Gewandung war, bin ich nach Heidingsfeld zum Herrn Grafen Ortenstein gegangen und hab ihn gebeten, er soll mir helfen, da er doch reich ist und fünf Söhne hat, deren einer mir vielleicht ein Wams schenken kann. Der Graf hat zuerst gelacht, wie ich mit meinem Anliegen vor ihn kam und wollt mich wieder meiner Wege schicken, da hat sein Ältester, der Junker Bernhard, gemeint: das ist doch der Junker von Ehrenberg, der die närrischen Geschichten weiß, mag er doch was von seinen Geschichten zum besten geben, dann soll er ein Wams haben. Da hat der alte Graf noch mehr gelacht und hat gesagt: gut, Junker, setz dich her und erzähl was, und wenn uns die Geschichte gefällt, sollst du ein Pagenröcklein haben und Schuh und Strumpf noch dazu. Das hab ich getan, und hab mir ein schönes Kleid zusammengeredet.«
Er schien unmäßig stolz auf seine Tat, und seine Züge hatten einen Glücksausdruck, als habe er dem Kaiser eine verlorene Provinz gerettet. Jeder mußte ihm das Vollbrachte ohne weiteres glauben, der ihn sah und hörte; Magister Onno, besorgt den Kopf schüttelnd, konnte sich doch dem Schmelz und der unschuldigen Heiterkeit seiner Rede nicht entziehen; die Freifrau stand da, als zähle sie die Löcher und Risse in der Tapete; ihre Ohren waren blutrot und ihre Lippen bleich; der Pater Gropp, den Junker mit einem düsterforschenden Blick von der Seite, aus flüchtig gehobenen Lidern heraus streifend, rieb die Finger gegeneinander und wandte sich an den Bischof mit der Frage, ob er nicht einen Imbiß nehmen wolle, da man ja alles dazu Erforderliche in der Kalesche habe, eine Mißachtung ihrer Hausfrauschaft und -pflicht, über die die Freifrau hinweghörte; der Bischof erwiderte nichts, er machte ein paar Schritte, bis er vor dem Junker stand, schien eine Weile das rechte Wort nicht zu finden und fragte dann wie zerstreut, beinahe verlegen: »Und was hast du denen also erzählt? Was wars denn für eine Geschichte, die sie dir so großmütig belohnt haben, die Ortensteinischen? Sind sonst nicht von Gebersdorf, die Ortensteinischen.« Ernst nickte lächelnd, als begreife er nichts so gut wie diese Wißbegier, und antwortete voll schelmischer Beziehung: »Es war, Herr Oheim, die schöne Geschichte von der Jungfrau Ilse, wie sie bei der großen Wasserflut mit ihrem Verlobten auf den Brocken flieht und wie sich der Felsen spaltet, auf dem sie gerade stehen, und wie sie umschlungen alle zwei in die Fluten stürzen. Noch heute schließt sie alle Morgen den Ilsenstein auf, um sich im Ilsenfluß zu baden. Wenigen ist es vergönnt, sie zu sehen, aber wer sie kennt, preist sie. So ging es auch einem armen Köhler, und wie es ihm erging, das ist die eigentliche Geschichte, Herr Oheim.« Der Bischof drehte sich zu Pater Gropp um und sagte mit einer heiser verschluckten Stimme: »Gut, so wollen wir hier unsern Imbiß nehmen, Gropp, der Junker soll uns dabei Gesellschaft leisten und uns die Geschichte auch erzählen.« Der Pater öffnete groß die Augen und rührte sich nicht vom Platz; erst nach geraumer Zeit schien er die Weisung verstanden zu haben.
X
Zwei Stunden später saß Ernst im bischöflichen Wagen an der Seite seines Oheims auf der Fahrt nach Würzburg. Das war mit sonderbarer Schnelligkeit zugegangen und nicht unter Vorzeichen, wie sie der Pater Gropp gewünscht hätte. Nicht war die Rede von verschärfter Zucht, von Verbringung in eine Kollegienschule oder ein strenges Seminar, oder nur in Kost und Losament bei einem geistlichen Professor in Würzburg oder Bamberg, nichts von dem. Der Bischof hatte erklärt: du kommst mit mir und wohnst in meinem Hause, ich will für alle deine leiblichen und sonstigen Bedürfnisse Sorge tragen. Keinen Tag länger sollte der Junker auf Schloß Ehrenberg bleiben. Was mit dem Magister Molitor zu geschehen habe, werde angeordnet werden; auch im Hinblick auf die Freifrau und ihr ferneres Leben auf dem Schloß werde das Nötige angeordnet werden. Kaum gönnte er dem Junker Zeit, sich von seinem alten Lehrer und der tauben Lenette, die in Tränen zerfloß, zu verabschieden. Der Abschied von seiner Mutter bestand darin, daß er sich stumm vor ihr verneigte und dann anscheinend auf etwas wartete. Worauf, war nicht zu ergründen. Er wartete vergebens, die Freifrau richtete kein Wort, keinen Blick an ihn; sie sah auf ihre Hände nieder, lächelte töricht verstohlen und schwieg und sah aus, als ob ihr das Schweigen kostbar sei.
Die ungestüme Eile des Bischofs glich auf ein Haar der eines Mannes, der einen geraubten Schatz in Sicherheit zu bringen hat. Da sein Gesicht nichts verriet, selbst wenn es innere Regungen hätte kundgeben wollen, weil das Innere zu arm war und durch die Hülle nichts dringen konnte, blieb auch seiner Umgebung verborgen, was ihn antrieb und bewegte. Oder sie erkannten es nur aus demselben Grunde nicht, aus dem ein Rätselrater die simple Einfachheit einer Lösung verwirft, da doch das Einfache das Unbegreifliche ist. Er verwandte keinen Blick von dem Knaben; wenn er beim Reden auf den jugendlichen Mund schaute, formten seine schlaffen Lippen in greisenhafter Albernheit die Worte nach; einmal, im Eifer des Sprechens, legte Ernst mit kindlicher, doch dem Pater Gropp sträflich erscheinender Vertraulichkeit selbstvergessen die rechte Hand auf den Ärmel des Bischofs; da zeigten sich auf den Wangen des alten Mannes zwei rote Flecken, und seine Augen bekamen einen fieberhaften Glanz. Laß nur, murmelte er hastig, als der Junker die Hand erschrocken wegzog, laß nur, mein Sohn. Dies alles beunruhigte den Pater, aber es war nicht seine Gewohnheit und die von seinesgleichen nicht, einer Sorge dadurch ledig zu werden, daß man sie zur Sprache brachte; vieles mußte sich sammeln und dann durch sein Gewicht die Richtung des Entschlusses bestimmen. Wassertropfen lassen sich nicht von einer Stelle zur andern tragen, aber der gefüllte Eimer. »Du sollst ein eigenes Gelaß bei mir haben«, sagte der Bischof zu seinem Neffen; »gegen meinem Schlafzimmer über, in der Ecke vorm Schwibbogen, Ihr wißt, Pater Gropp, da ist eine prächtige Kammer, die soll er haben.« Es war ein großes, dumpfes, dunkles Zimmer, in das der Hausmeier David Rotenhan den Junker nach seiner Ankunft