an der andern ein bis zur Schwärze verräuchertes Bildnis des Bischofs Julius Echter von Mespelbrunn, des großen Vorgängers von Philipp Adolph. Das Lager war ein Strohsack in einem Gestell mit ein paar Decken drauf; den schweren Tisch zierten ein silberner Leuchter, ein mächtiges Tintenfaß und ein in Pergament gebundenes lateinisches Brevier. Wenn man sich ans Fenster stellte, sah man eine enge Gasse mit schmalen traurigen Häusern, an deren geschlossenen Fenstern bisweilen traurige, argwöhnische Gesichter erschienen. Dem Junker wollte das Gelaß nicht gefallen, die Straße mit ihren Häusern auch nicht; nachdem er sich alles halb neugierig, halb ängstlich angeschaut hatte, ging er auf den finstern Flur hinaus und weiter, an Türen vorbei, auf deren Klinken er drückte und die zugesperrt waren. Er erklomm eine Treppe, da war abermals ein Flur, wieder mit zugesperrten Türen. Oben war es jedoch ein wenig heller, er gewahrte verstaubte Bilder an den Wänden, Bilder von Heiligen und der Passion Christi, geschnitzte Figuren und allerlei Kirchengerät, Betstühle, Weihkessel, Monstranzen, verblichene Teppiche. Er wanderte, ohne einer Menschenseele zu begegnen, ab und auf durch den alten Palast, bis er müder wurde als sonst, wenn er stundenlang durch den Schwarzforst marschiert war, und als vor einer Treppe der Pater Gropp vor ihm stand wie aus dem Boden gewachsen, stieß er vor Schreck einen leisen Schrei aus, und der nämliche Schauder überflog ihn wie vor Stunden, als er bloß seine Gegenwart daheim im Ehrenberger Saal gespürt hatte. Der Pater, der gut seine sechs Fuß maß, sah stumm auf ihn herab, in böser Weise stumm, Ernst blickte zu ihm empor, an dem schwarzen Kleid bis hinauf zu dem viereckigen Flachhut, so standen sie eine Weile schweigend einander gegenüber, und Ernst dünkte es, daß eine Ewigkeit verflossen sei, als er die Worte hörte: »Der Herr Bischof verlangt nach dir. Geh hin. Ich aber will dir sagen: wenn du ihm mit deinem hexischen Geplapper Geist und Herz verwirrst, so gnad dir Gott in deinem Sündenjammer.« Der Junker dachte, der Pater wolle scherzen, doch ein Blick in die granitenen Züge belehrte ihn, daß in dem Mann so wenig Neigung zu Spaß und Spiel wohnte, wie in dem finstern Bischofshause Licht und Sonne Einlaß fanden; warum aber, war sein Gedanke, läßt er mich so drohend an und steht vor mir da wie der Riese Einheer vor den Winden und Haunen, was kann ich ihm angetan haben? Ich will doch den Herrn Oheim drum fragen. Was kann ich ihm angetan haben: uraltes Staunen der Arglosen vor den Argen. Schwerlich hätte der Bischof die Antwort geben können, auch wenn Ernst zuletzt nicht den Mut verloren hätte, denn der Pater ging ihm unsichtbar nach und verbot ihm die Frage. Zum erstenmal spürte er Menschenfurcht, die unbesieglichste aller Ängste und die unheilbarste; sie langte mit einer Tatze in seine Seele hinein, da war etwas, das er meiden mußte, einer, der still im Dämmer der Stube stand, wenn er einschlief und aufwachte, und in dessen Augen eine Welt war, vor der man die eigenen Augen schließen mußte, sonst war alles trüber und verworrener, als man es bisher gewußt. Der Bischof ahnte davon nichts; er hatte vorerst keine Lust, nach Verborgenem im Gemüt des Knaben zu forschen, da er vollauf mit dem beschäftigt war, was zutage lag; die Leute bemerkten eine große Veränderung in seinem Wesen, die sich am deutlichsten in Gegenwart des Junkers zeigte, so daß es schon nach kurzer Zeit gewiß war, daß er die Gesellschaft seines Neffen nicht mehr missen konnte. Gleich nach der Frühmesse verlangte er nach ihm, ließ ihn aufwecken, konnte es nicht erwarten, bis er kam. »Setz dich her zu mir«, sagte er, »hast du schon deine Grütze gegessen, da setz dich her auf den Schemel, damit wir uns unterhalten können, und hab keine Scheu vor mir, sprich nur alles, was dir in den Sinn kommt, das hör ich gern, brauchst gar nicht acht zu haben auf deine Worte.« Geschah es dann nach seinem Wunsch, so beugte er sein Haupt gegen den Knaben nieder, lauschte nicht bloß mit den Ohren, sondern mit Augen und Händen, und wenn einer ihn dabei störte, der Sekretarius, der Stadtprofoß, ein Mönch, ein Domherr oder ein Hausbediensteter, fuhr er auf, stierte den Betreffenden grimmig an und winkte ihm, wieder zu gehen. Alle Mahlzeiten mußte der Junker mit ihm teilen; zehnmal hintereinander fragte er ihn, ob er das nicht möge oder das, was er am liebsten esse, ob er ihm ein Hühnchen zubereiten lassen solle oder Wildpret oder Mehlgebackenes mit süßem Schaum. So etwas war nie vorgekommen, niemand hatte es für möglich gehalten; aber er ging noch weiter in der Überwindung verhärteten Geizes; er ließ den vornehmsten Schneider der Stadt kommen und bestellte für den Junker ein Staatskleid aus dunkelviolettem Samt mit Zobelbesatz und dazu einen kostbaren Mantel. Während der Schneider Maß nahm, stand der Bischof aufpassend dabei, ermahnte ihn in seiner scheltenden Weise zu genauer Arbeit und daß er mit Stoff und Futter nicht sparen solle. Als nach wenigen Tagen der neue Anzug kam und der Junker sich ungemein stattlich darin präsentierte, ging der Bischof etliche Male im Kreis um ihn herum und ließ mit der Zunge fortwährend ein entzücktes Tz-tz hören wie ein Handeljud, der ein gutes Geschäft abgeschlossen hat. »Sollst auch eine goldne Kette haben«, flüsterte er ihm ins Ohr, »wenn du brav bist und mir in allem folgst, schenk ich dir eine schöne goldne Kette.« Ernst küßte dem Oheim lächelnd die knochige, behaarte Hand und verbarg seine Gedanken, welche er auch haben mochte; niemals äußerte er etwas über sich selbst, niemals sagte er, wie ihm zumute war, noch was er gesonnen war zu tun, niemals ließ er sich Traurigkeit oder Sorge anmerken, über seiner ganzen Person lag die strahlende Verträumtheit seines Gemüts wie ein glitzerndes Gewebe, durch das nichts von seinem Innern zu erkennen war. Indes der Schneidermeister noch an ihm herumnestelte, eine Falte vor der Brust glättete, ein Band am Knie fester zog, lachte der Junker hellauf, weil ihm der spindeldürre und vor dem Bischof verängstigte Mensch recht komisch vorkam, und fing an, die Geschichte eines Schneidergesellen zu erzählen, der geprahlt hatte, er getraue sich zur Mitternachtszeit über den Kirchhof zu gehn; das führte er auch aus, es war eine eiskalte Dezembernacht, die Gespenster umringten ihn und zwangen ihn unter fürchterlichen Drohungen, daß er jedem an seinem klappernden Gebein das Maß zu einem Kleid nahm; den Stoff wollten sie ihm in die Werkstatt legen, wenn er heimkam, würde alles Tuch schon da sein, und er mußte geloben, die vierundzwanzig Kleider, so viel Gespenster waren da, in der Neujahrsnacht auf den Kirchhof zu bringen. Um Gotteswillen, jammerte der Gesell, wie soll ich in so kurzer Frist, es sind ja nur noch neun Tage, vierundzwanzig Gewänder verfertigen, habt doch Mitleid, ihr Knochenleute; aber da nützte kein Bitten, die gespensternden Herrschaften bestanden auf ihrem Willen. Wie nun der Schneider nach Hause kam, sah er in seiner Einbildung große Ballen Zeug in der Werkstatt und machte sich unverzüglich mit Elle, Nadel und Schere an die Arbeit. Aber niemand konnte den Stoff sehen als er allein, und da er nun, auf seinem Tisch hockend, in die Luft hinein schnitt und maß und nähte, entsetzten sich alle, die es sahen und hielten ihn für übergeschnappt. Er ließ sich jedoch bei seinem Tun nicht stören, sondern nähte und schneiderte Tag und Nacht, aber bei aller Mühe konnte er bloß dreiundzwanzig Gespensterkleider fertig bringen. Die türmte er in der Neujahrsnacht übereinander, huckte sie auf den Rücken, es war nichts, es war wiederum lauter Luft, gleichwohl schleppte er sich stöhnend unter der Last zu den Gräbern. Beim zwölften Glockenschlag, wie es sich gebührt, stellten sich die Gerippe ein. Der Schneider, den die Angst pfiffig gemacht hatte, packte die eingebildeten Kleider mit großer Langsamkeit aus, forderte, daß jedes Gespenst seinen Anzug besonders probiere, besah sich jedes mit Kennerblicken, hatte an jedem etwas zu glätten und zu bessern und zu sticheln (obgleich da nichts zu sehen war als das blanke Gebein, und wer weiß, ob sogar das) und zögerte seine Geschäftigkeit so lange hin, daß die Turmuhr gerade eins schlug, als er zum vierundzwanzigsten seiner Kunden kam. Da mußten sie aber natürlich alle verschwinden, und es sei nicht ausgemacht, so schloß der Junker schalkhaft, ob sich nicht alle vierundzwanzig für gefoppt hielten, da sie doch nach wie vor mit nackten Knochen tanzen mußten, oder ob der Schneider allein der Narr war, da er so viel Müh und Zeit darauf verwendet hatte, den unwirklichen Schatten unwirkliche Schattenkleider zu liefern.
Nicht bloß der Schneidermeister und der Bischof waren bei dieser Erzählung die Zuhörer; es hatte sich noch eine ganze Anzahl anderer Personen eingefunden, der Sekretarius Baumgarten, der Hausmeier Rotenhan, der seinem Herrn einen Bericht abzustatten kam, ein junger Dominikaner aus dem Kloster Himmelpfort, der im Vorzimmer gewartet hatte und zwei Alumnen aus der im Anbau des Schlosses untergebrachten Schule; sie sollten in Begleitung eines Diakons dem Bischof als Novizen vorgestellt werden. Einen der beiden kannte Ernst zufällig; es war ein Lehrerssohn aus Kitzingen, er hatte ihn oft unter seinem Gefolge gesehen, wußte auch, daß er Peter Mayer hieß; der unterdrückte mit Mühe einen Freudenschrei, als er des Junkers ansichtig wurde; von der Stimme angelockt, war er der erste gewesen, der sich auf die Türschwelle gewagt hatte, nachher folgten ihm die andern, auch ein Chorherr gesellte sich schließlich dazu, und der Bischof selbst war so benommen von der Art und Rede seines Neffen,