Jakob Wassermann

Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann


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       Inhaltsverzeichnis

      Es mußte dem Pater Gropp erwünscht sein, daß der Bischof umfassende Belehrung erhielt, denn er selbst war hinlänglich belehrt; er hatte sich in seiner Weise um die Führung des Knaben gekümmert, indem er sich Gerüchte zutragen ließ, den Magister ins Verhör nahm, den er zu diesem Ende in den letzten Monaten öfters vor sich beschieden hatte, einmal auch durch einen Besuch, den er unerkannt auf Ehrenberg gemacht, bei welcher Gelegenheit er den Junker genau beobachtet und die geheimnisvolle Abneigung, die ihm der Knabe eingeflößt, seit er von ihm wußte, befestigt und verstärkt hatte.

      Den Magister machte das herrische Verlangen betroffen, da er doch dem Pater Gropp unter vier Augen schon mehr eingestanden und zugegeben hatte, als seine Absicht gewesen war und er in seiner engen Geradheit die Schachzüge des Jesuiten nicht zu durchschauen vermochte. Er begann zu stottern, brachte etwas von diffiziler Komplexion vor, legte die Hand auf die Brust und beteuerte, die Grundlage sei gut, obschon gewisse Eigenschaften der natürlichen Verfassung zuwiderliefen und wie das Unkraut auf gepflegtem Acker das edle Saatgut überwucherten. Pater Gropp runzelte finster die Brauen und schnitt den rhetorischen Schwall ungnädig ab. Der Magister möge zur Sache kommen; was für Eigenschaften habe er im Sinn? Dem Herrn Bischof sei nicht zuzumuten, daß er sich durch irreführende Beschönigungen erst den wesentlichen Kern suche. Der Vorwurf gegen den Junker, worin gipfelt er? Heraus mit der Sprache, Magister Molitor, Seine Gnaden wird die betrüblichste Kunde zu ertragen wissen und prüfen, was zur Heilung eingerissenen Übels zu geschehen hat. Welcher Vorwurf also? Die Unwahrhaftigkeit, über die bereits so viel Klage ergangen? Der nicht zu dämmende Hang zu allerlei Fabeleien, zur Verdrehung und böslichen Erfindung, zum leichtfertigen Schabernack? Die Neigung zu Libertinage und Landstörtzerei? Die Sucht, sich mit allerlei anrüchigem Volk gemein zu machen, niedrigen Belustigungen beizuwohnen, in Schenken und auf Jahrmärkten zu lungern? Oder noch anderes? Der Widerwille gegen alle Art von geistlicher Unterweisung, oft bis zum Spott sich erfrechend? Heimliche Beschäftigung mit gottlosen Druckschriften, Aventüren und Versbüchern? Trägheit in der Ausübung alles Förderlichen? Unziemlicher Trotz bei jedem Aufruf zu Ordnung, Pflicht und Sitte? Dies oder noch Verwerflicheres gar, Gefahrdrohenderes? Bei jeder der in Frageform gekleideten Schuldfestsetzungen, durch die der Pater vor den Ohren des mürrisch dreinschauenden Bischofs den Umfang seines bis dahin verhehlten Wissens plötzlich entschleierte, als käme es auf Plötzlichkeit und Überrumpelung eben an, knickte der Magister um ein Stückchen mehr zusammen. Die Vergehungen des Junkers in Bausch und Bogen zuzugeben hatte er nicht den Mut, erstens nicht im Hinblick auf seine jahrelangen erzieherischen Mühen, die damit als vergeblich gekennzeichnet waren, zweitens aus Furcht vor dem Verlust von Brot und Amt, drittens aus geheimer Zuneigung für seinen Zögling. Auch verdroß ihn die schneidende Härte des Jesuiten nicht wenig. Andrerseits konnte er nicht leugnen, was man im ganzen Bistum über den Junker von Ehrenberg wußte und was er in seiner Bedrängnis oder bloß aus schwatzhafter Wichtigtuerei dem Ankläger selbst hinterbracht hatte. Da aber zwei strenge Augenpaare auf seine Antwort warteten, mußte Antwort erfolgen. Die Finger gegeneinandergespreizt, den Rücken gekrümmt, äußerte er, es seien möglicherweise Zustände krankhafter Natur, aussetzende und ansteigende Tribulationen, gleichsam Erhitzungen des Gehirns; ohne Zweifel sei eine verhängnisvolle Gewöhnung vorhanden; diese aber mit dem Titel Lügenhaftigkeit zu belegen, müsse er nach reiflicher Erwägung Anstand nehmen. Noch viel weniger könne er es über sich bringen, es als Laster zu brandmarken, da er zu keiner Zeit die Hoffnung auf Besserung fahren gelassen, während das Laster nach der Meinung aller kompetenten Seelenforscher quasi etwas Unverrückbares sei. Halte er sich die Reihe der Indizien vor Augen, die wider den Junker vorlägen, so könne eigentlich nicht sowohl von einer lügnerischen Verderbnis gesprochen werden als vielmehr von einer unbegreiflich rätselhaften Geistesversponnenheit, um nicht zu sagen Ungegenwärtigkeit des Geistes, Verschlossenheit der Anima wie bei Mondwandlern und Aufhebung ihrer gemeinen Gesetze. Ein Blick in das Gesicht des Jesuiten erschreckte den Magister und ließ ihn ahnen, daß er zuviel gesagt habe, zuviel für den Frieden und die Freiheit seines Zöglings, zuviel auch für seine eigene Sicherheit; er hätte die unbedachten Worte gern wieder zurückgeschluckt, aber es war zu spät. Ihn dünkte, die Gestalt des Paters werde höher und starrer, auf der kegelförmigen Stirn schien ein gelbes Licht zu lodern, und die Augen, wie zwei schwarze Löcher, die sich mit schillernder Flüssigkeit füllen, zeigten den Ausdruck düsterer Genugtuung. »Ihr habt es gehört, Herr Bischof«, sagte er kalt, weiter nichts. Der Bischof fixierte den unglücklichen Molitor erbost und rief mit schrillem Stimmchen: »Das heiß ich gefaselt, Mann, und toll gefaselt, denn Ihr könnt gewiß sein, daß man Euch beim Wort nimmt und das Sündennest dahier nach Kräften ausräuchert.« Während er Magister in seiner Bestürzung stumm vor den beiden stand, knarrte eine Tür in der Tiefe des Saals, und die Freifrau trat ein, mit einem halb süßen, halb huldvollen Lächeln ins Leere und seltsam geschmückt. Sie trug ein papageiengrünes spanisches Fransentuch über einem mattblauen Samtkleid mit Halskrause und Spitzenärmeln. Über die noch jugendliche engverschnürte Büste liefen fünf Perlenbänder mit fünf goldnen Agraffen in der Mitte; auf dem Kopf trug sie eine Perlenhaube, unter der das flachsgelbe Haar bis auf die Schulter wallte.

      Sie sah sich unsicher um und trippelte dann auf den Bischof zu, der sie finster erstaunt betrachtete. Nach ehrfürchtiger Verneigung küßte sie dem Kirchenfürsten die lässig dargereichte Hand; danach trat sie einen Schritt zurück, der zeremonielle Ausdruck schwand aus ihrem Gesicht, und verächtlich sah sie sich in dem öden Saal um, den sie zuvor nie betreten hatte. Mit einer vornehmen Handbewegung, die Bedauern und stumme Anklage enthielt, als sei es unter ihrer Würde, sich wegen solcher Umgebung zu rechtfertigen, bat sie um Entschuldigung für ihr verspätetes Erscheinen, aber sie habe eine schlechte Nacht gehabt; sie könne überhaupt auf Ehrenberg nicht schlafen, das Lager sei zu hart, die Kissen seien zu hart, durch die Fenster blase der Wind, und unheimliche Geräusche durchbrächen die Stille. Niemals und nirgends habe sie Mangel gelitten wie hier, unter einem geborstenen Dach bei Rüben, Ziegenkäse und saurem Krätzer; was für prächtige Gelage habe man ihr veranstaltet, wieviel glänzende Jagden und höfische Schaugepränge, wieviel Gold sei durch ihre Finger geflossen, wieviel Kleinodien habe man ihr verehrt, wieviel große und berühmte Herren hätten ihr Artigkeiten erwiesen. »Ei, die Welt ist was Herrliches, wenn man sie nur recht kennt, Herr Schwager und Bischof«, rief sie mit ekstatisch nach oben gedrehten Augen aus, während ihr kleines altes Kindergesicht totenblaß war, so daß hinter dem Eitlen und Ruhmredigen etwas Verzweifeltes durchschimmerte. Der Bischof und der Pater blickten einander bedeutsam an, und jener ließ sich widerwillig vernehmen: »Da erstaunt es mich nur, daß Ihr nicht geblieben seid, wo Ihr es so prächtig getroffen habt.« Worauf die Freifrau, ihn fest ansehend, erwiderte: »Alles hat seine Zeit, die Wonne ihre und der Jammer seine.« Wieder veränderte sich ihr Gesicht, und sie sagte lebhaft, der Herr Bischof möge ihrs nicht nachtragen, daß sie ihn durch ihren Boten um ein Darlehen angegangen, sie sei indessen der Ungebührlichkeit ihres Verlangens inne geworden, der Fülle der Verpflichtungen, die ohnedem schon bestehe; hätte sie einen Tag bloß gewartet, so hätte sie ihn nicht molestieren müssen, da sich in ihrer Bagage ein ganzer Beutel mit Gold gefunden, den ihr der Landgraf Ludwig beim Abschied eigenhändig überreicht. Die Lenette habe den Beutel entdeckt, sie selber habe nicht mehr dran gedacht, kein Wunder, habe man ihr doch dorten so viel Liebe und Sorgfalt bezeigt, daß sie des Einzelnen gar nicht recht geachtet. Immer wieder mußte sie davon sprechen, daß man sie da draußen, bei den Großen der Welt, verwöhnt und gehätschelt habe, und immer wieder klang die heimliche Trostlosigkeit durch die Lobpreisung. Wenn dem so sei, murrte der Bischof, und sie wirklich mit Reichtümern beladen auf Ehrenberg gelandet sei, könne sie ja von nun ab die Hausstandslasten auf ihre eigenen Schultern nehmen, ihm obliege dann nur, den Neveu unter strengere Zucht zu stellen. Er warf einen vernichtenden Blick auf den Magister, der sich in einen Mauerwinkel gedrückt hatte und gern unsichtbar gewesen wäre. »Mit Eurem Neveu könnt Ihr es nach Belieben halten«, rief die Freifrau fast mit Hohn; »das ist vielleicht sein Schicksal, daß er erst herausfinden muß, wo er hingehört, zu Euch oder zu mir oder zu keinem von uns beiden. Wie aber soll ich wirtschaften dahier, wenn bei der Tafel das Ungeziefer in meine Schüsseln fällt, und womit, wenn von allem Geld nicht mehr so viel da ist, daß ich mir einen Laich kaufen kann?« Der Bischof fragte finster: »Was