Max Weber

Gesammelte Beiträge von Max Weber


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disziplinierte, zu Pionierarbeiten und gewaltigen Marschleistungen befähigte Heeresmacht beschafft und sustentiert wurde, ist noch nicht ganz deutlich. Die grundsätzliche Wehrpflicht aller Untertanen – mit Ausnahme des Tempelpersonals, des königlichen Hofhalts, der Hirten und, wie es scheint, der königlichen Kolonen, – ergibt sich aus Hammurabis Briefen. Allein dieses Aufgebot war sicherlich nur als Landsturm in den äußersten Fällen zur Verteidigung praktikabel. Die Wagenkampf-Technik, auf welcher die militärische Expansion der Euphratstaaten beruht, erforderte sicherlich den Berufskrieger, und auch die Reiterei und das bei größeren Kriegen immerhin wohl nach mehreren Zehntausenden zählende Fußvolk – Salmanassar II. will in Syrien einem Heer von rund 70000 Mann (bei rund 4000 Wagen), dessen Bestandteile er aufzählt, gegenübergestanden haben – sind bei den Generationen hindurch jährlich geführten Kämpfen natürlich nicht mehr durch Aushebung selbstwirtschaftender Bauern nach Art des (recht bald fiktiv gewordenen) germanischen Heerbanns beschafft worden. Ein militärisch geübtes und dabei nationales Heer wäre der Königsmacht gefährlich gewesen, und die gartenartige Kultur machte seine Schaffung ökonomisch unmöglich: eine sich selbst equipierende Hoplitenschaft fehlt diesem von Anfang an theokratisch-bureaukratischen Städtestaat. Die später üblich werdende Werbung gehört der Frühzeit schwerlich an. Sondern: die Wagen, Speere und Rüstungen stellt der König aus seinen Zeughäusern. Die Pferde wird er demgemäß vielleicht ebenfalls aus seinen Herden oder durch Requisition beschafft haben. Was die Menschen anlangt, so finden wir für die Zeit Hammurabis die »Soldaten« des Königs als Inhaber von Dienstlehen, auf denen der Berufskriegsdienst als Leiturgie ruht. Die Lehensinhaber bilden dabei offenbar keine den übrigen Untertanen gegenüber ständisch bevorzugte Schicht. Daß ihnen ein Mal eingebrannt worden sei (Daiches), kann allerdings vielleicht auf terminologischer Identifikation mit privaten Schuldknechten beruhen. Doch ist die Identität der Bezeichnung in jedem Falle auffallend. Sollte die betreffende Urkunde tatsächlich auf einen königlichen Heerespflichtigen (der einem Großen zur Verfügung gestellt war) zu beziehen sein, so wäre sie zugleich ein Beleg dafür, daß die – fränkisch gesprochen – »in truste« oder »in hoste« des Königs Befindlichen aus ihren Familienrechten (Erbrecht) damit ebenso ausscheiden, wie ein Stammfremder oder Versklavter. (Die Familie gibt dem Eingezogenen nur Beisitz, kein Erbrecht, als er, entlassen, zurückkommt). Die Kriegerlehen werden von Hammurabi in einem Satz mit den, ebenfalls mit Land belehnten, Fischern des Königs genannt. Das »Lehen« ist eben, wie überall im Orient – bis zu den Kleruchen der Lagiden – plebejisch klein, da die Equipierung sicher sehr einfach, überdies wahrscheinlich gänzlich Sache des Königs ist. – Sie müssen bei Todesstrafe den Dienst persönlich leisten und ihre Bedrückung und widerrechtliche Besitzentsetzung wird an den Statthaltern schwer geahndet. Sie werden auch zu Schanzarbeiten – zum Bau einer Stadt z.B. – aufgeboten. (Die bei Einverleibung fremden Gebiets dorthin im Austausch »verpflanzte« Bevölkerung setzte sich wahrscheinlich auch aus solchen Lehensmannen zusammen.) Mit dem Hof überträgt ihnen der König Vieh zur Nutzung. Alles natürlich unter Ausschluß der Veräußerung, aber der Regel nach erblich (falls der Sohn tauglich ist) und mit Witwen- und Waisenversorgung. Bei dreijähriger Nichtleistung der Dienstpflicht fällt es an den, der es unter Erfüllung der Obliegenheiten übernimmt. Obwohl der Lehnsmann hiernach dem König persönlich auf Grund speziellen Entgeltes dient, gilt er doch auch als Funktionär der Gesamtheit: wer einen gefangenen Soldaten ausgelöst hat, darf sich, wenn das Vermögen desselben nicht reicht, an den Tempelschatz seiner Stadt wegen Erstattung des Lösegeldes halten; subsidiär haftet auch der königliche Schatz. – Neben diesen mit Land beliehenen Soldaten stehen die nicht »vollfreien«, daher im Wehrgeld den Freien nicht gleichgestellten, aber in ihrem Sklavenbesitz – offenbar im Interesse ihrer »Abkömmlichkeit« – besonders geschützten »Ministerialen« (wie Peiser übersetzt) des Königs, welche offenbar am Hofe zu seiner ständigen Verfügung leben. In Assyrien finden sich »Reiter und Eunuchen« des Königs als Besatzungstruppen in eroberten Städten, – also wohl königliche Gefolgsleute neben Leibeigenen, – und Gefangene verleibt der König zu Tausenden einfach seinem Heere ein. Andererseits werden bei Neubesiedelung von Städten in diesen eine bestimmte Anzahl von Truppen »ausgehoben«, – was nur die Auferlegung der Gestellung durch die Ansiedler oder aber die Ausweisung einer entsprechenden Anzahl von Soldatenlehen bedeuten kann. – Das Heerwesen wandelt sich bald in der Richtung zum Soldheere. Das Dienstlehenheer war ersichtlich nur Reservetruppe; denn die assyrischen Soldaten waren schon in Sargons Zeit verheiratete Leute, deren Versorgung in Zeiten des Friedens dem König, der in Kriegszeiten sein Heer verstärkt hatte, Sorge machte, weil sie (s.o.) durch die Aushebung aus ihren Familienbeziehungen ausschieden und nun versorgt sein mußten. Noch in den Zeiten des Artaxerxes wird bei den Steuern z.B. »Bogenland« von »Zehntland« unterschieden. Es war die Entwicklung also wohl die: die Gestellung von Wehrpflichtigen – ursprünglich (s.o.) eine strikt persönlich geschuldete Lehnspflicht – war später als Leiturgie an den Besitz bestimmter Grundstücke geknüpft, schließlich aber von diesen durch Abgaben, aus denen der König nunmehr fremde Söldner zahlte, abgelöst worden. Wie früh und wie vollständig dies geschehen war, können wir zunächst wohl nicht wissen. – Jedenfalls ist das Heer der letzten Assyrerkönige ein gänzlich unnationales und ist auch das babylonische Bogenschützenkorps der Perserzeit aus den königlichen Magazinen gekleidet und gespeist worden, also keine »nationale« Truppe im ökonomischen Sinn. –

      Die Bewegungsfreiheit des privaten Verkehrs wird durch den königlichen, wesentlich naturalwirtschaftlichen, Oikos in der Frühzeit wohl ähnlich eingeschnürt gewesen sein wie in Aegypten (s.u.). Aber dies lag in der Periode, aus welcher keilinschriftliche Privaturkunden vorliegen, ziemlich weit zurück. Schon vor und gleich nach der Zeit Hammurabis ist die Verkehrsentwicklung eine relativ außerordentlich (und ersichtlich zunehmend) freie. Die theokratische Monarchie reguliert zwar den inneren Verkehr, speziell auch die Arbeitslöhne, durch Tarife, wie wir sie in Hammurabis Gesetz finden. Aber praktisch ist der Güterverkehr im Prinzip frei. Er ist begreiflicherweise in Babylon, welches in weit stärkerem Maße aus dem Zwischenhandel emporgewachsen war, reicher gestaltet als in dem Militärstaat Assur. Der Versuch einer Scheidung beider und ebenso einer Scheidung von einzelnen Perioden einer Entwicklung, welche von der »ersten« Dynastie Babylons bis zum Aufgehen in den Islam uns ein in den meisten wesentlichen Zügen wohl sich selbst höchst ähnlich bleibendes, im Grunde nur in dem Grade des Durchdringens (und gelegentlichen Wieder-Abebbens) der Verkehrswirtschaft (denn der Ausdruck »Geldwirtschaft« paßt nur bedingt) schwankendes Bild bietet, kann hier des Raumes sowohl als des vorerst dazu noch ungenügenden Quellenmaterials wegen nicht unternommen werden. –

      Ziemlich dunkel und hier nicht zu erörtern ist die Frage der Gliederung der Bevölkerung in älterer Zeit: wieweit gentilizisch nach hellenisch-römischer Art und wieweit beruflich nach ägyptischer Art? Beides findet sich auch im Okzident häufig in Kombination (s.u.), und demgemäß kommen auch hier beide Arten von »Tribus« vor. Von »Kasten« im eigentlichen Sinne kann dabei in Babylon natürlich noch weniger als in Aegypten die Rede sein. Vielmehr sind sehr wahrscheinlich hier ebenso wie im älteren Aegypten die ursprünglichen Leiturgien der Gewerbe Grundlage einer Gliederung gewesen, welche den (vielleicht solidarisch haftenden) Berufsgenossen möglicherweise auch gewisse Rechte an den Besitz der Mitbelasteten gab. Wenigstens kommen anscheinend Retraktrechte einer Webergenossenschaft bei Landverkäufen vor. Doch scheint dies alles noch unsicher.

      Das Recht am Lande galt in der Zeit voller Entwicklung des alten Fronkönigtums offenbar allgemein, nicht nur beim Soldatenlande, als Entgelt der damit verknüpften öffentlichen Pflichten: die Leistung der Gespannfronden von einem Grundstück wird im altbabylonischen Recht als Eigentumsbeweis erwähnt. Die »Amtslehen« sind offenbar nur deshalb in ihrer Gebundenheit länger verblieben, weil bei ihnen die persönliche Qualifikation des Besitzers für den König besonders wichtig war. Von einer öffentlichen oder priesterlichen Konzession und Bestätigung des sonstigen Bodenbesitzes in Uebertragungsfällen (wie zeitweise in Aegypten) ist aber urkundlich nichts mehr zu finden, außer etwa, daß die Erbteilung sehr oft durch Priester vollzogen wird. Nachbarrechte von »Markgenossen« sind nicht sicher erkennbar. Die Haftung der Gemeinden besteht zwar in der Form der Friedensbürgschaft bei Verbrechen. Ob aber Samthaft für Steuern und Fronden (wie im »Alten Reich«) bestand, ist nicht sicher. Ob die Andeutungen