der okzidentalen Völker, d.h. an eine rein viehzüchtende ackerbaulose Vorzeit bei ihnen. Die Rolle, welche das Vieh überall als Hauptbestandteil des beweglichen Besitzes, deshalb wichtigstes Tribut- und Tauschobjekt, und der Viehbesitz als Hauptgrundlage sozialer Differenzierung und (neben Metallschmuck und kostspieligen Waffen) Hauptbestandteil des Häuptlingsvermögens, Viehwartung als spezifisch männliche (daher auch eines Adligen nicht unwürdige) Arbeit, erweislich gespielt hat, darf zu jener Annahme nicht verleiten. Auch die plausible Hypothese, daß wenigstens die Herrengeschlechter aus Einfällen von reinen Hirtenstämmen und Unterwerfung der seßhaften Ackerbauer durch jene entstanden seien, ist – wo sie nicht im Einzelfall wahrscheinlich zu machen ist – nicht generell annehmbar, da der antike Adelsstaat gerade an den Küstenplätzen besonders früh und stark entwickelt ist, und andere Quellen der Vormachtstellung der Könige und Adligen bekannt sind. Wie aber der Ackerbau, der in alle prähistorisch erschließbaren Zeiten der uns beschäftigenden Völker zurückreicht, in deren bäuerlicher »Urzeit« sozial organisiert war, davon ist nichts Zuverlässiges zu erfahren. Was wesentlich deutlicher erkennbar bleibt, sind gewisse Organisationsstadien, die sich, bis zu einem gewissen Maße, bei allen denjenigen »antiken« Völkern, von der Seine bis zum Euphrat, welche überhaupt städtische Entwicklung gekannt haben, wiederholt zu haben scheinen.
1. Zunächst ein Zustand, in welchem, als ferne Vorläufer der späteren Stadt, nur Schutzwälle gegen feindlichen Ueberfall existieren, Hausgemeinschaft und Dorf die ökonomische, Blutrache-, Kult- und Wehrverbände die polizeiliche, sakrale und politische Garantie der Existenz des Einzelnen tragen, – ohne daß jedoch über Struktur, die Koinzidenz oder umgekehrt die Funktionsteilung dieser Verbände untereinander für die Vorzeit der Antike etwas ganz Sicheres auszumachen wäre. Die als »frei« geltenden Volksgenossen sind alle am Grundbesitz beteiligt, und nehmen, bei mäßigem Sklavenbesitz, an den Feldarbeiten teil. Die Stellung des politischen Häuptlings und seine – meist transitorischen – Funktionen können nicht wohl andere gewesen sein als z.B. bei den Germanen auch. Er ist nur vorhanden, wo kriegerische Bedrohung möglich ist. Er hat als »Richter«, wie bei den meisten »Naturvölkern«, nur gütliche Mittel zur Verfügung und er kann ferner nie ungefährdet die Tradition verletzen, über welche die ältesten Männer seine berufenen Berater sind. Es hängt von der politischen Lage ab, ob überhaupt gemeinsame politische Angelegenheiten bestehen. Die Bedeutung des Zusammenhangs des »Geschlechts« durch »Blut« (statt durch die ursprünglich allein entscheidende Nahrungsgemeinschaft) entwickelt sich bei den Häuptlingssippen zuerst stärker, indem die Erinnerung an kriegerische Leistungen oder wertvolle Schiedssprüche sie als von den Göttern bevorzugt legitimiert. Oekonomisch erhalten sie freiwillige Geschenke. Vorzug im Beuteanteil und, eventuell, ein speziell ausgewiesenes Landlos.
2. Sodann ein anderer Zustand, in welchem eine nähere Vorstufe der Stadt: die Burg, auftritt, und als deren Inhaber ein »König«, der, durch Boden-, Sklaven- Vieh- und Edelmetallbesitz ausgezeichnet, eine persönliche Gefolgschaft zunächst direkt an seiner Tafel speist, weiterhin, mit Land, Sklaven, Vieh und Schätzen beschenkt oder belehnt, an ihrer Spitze Kriegs- und Beutezüge unternimmt, dem übrigen »Volk« gegenüber aber eine sehr verschiedenartige, zwischen bloßem Anspruch auf gelegentliche Geschenke und ganz willkürlicher Belastung mit Robot, Tribut und Zwangsaufgeboten (als Troß oder Fußtruppe) zum Kriege schwankende, Stellung einnimmt, je nachdem er friedlich lebt oder sich erobernd ein »Reich« von »Untertanen« schafft. Die Lage des platten Landes in diesem Stadium ist uns äußerst dunkel. Die Entstehung des Burgenkönigtums pflegt an 1. fruchtbarem Boden (Grundrentenfähigkeit), 2. Handelsgewinn gebunden zu sein. Regel ist, daß die Gefolgschaft des Königs als etwas Neues, deshalb Fremdes in die bäuerliche Volksgemeinschaft hineintritt. Königs- und Lehenrecht scheidet sich überall vom »Volksrecht«. Die Gefolgsleute galten oft überhaupt nicht als Volksgenossen, selbst da wo sie dies waren. Wie bei vielen »Naturvölkern«, so gilt z.B. für die Gefolgschaft Davids (»Krethi und Plethi«) und des legendaren Gründers von Rom die Tradition, daß ihre Gefolgschaft aus »banditi« bestanden habe, und es ist möglich, daß noch in der mesopotamischen Stellung der königlichen Lehenträger (s.u.) sich Spuren davon erhalten haben. Sobald der König erobernd auftritt, entspricht diese Indifferenz gegenüber der Nationalität seiner persönlichen Kriegsgenossen naturgemäß oft auch den Tatsachen: die Leibgarde wird, der Sache nach, Soldtruppe. Das Entstehen größerer Herrschaften ist dabei durch Differenzierung des Reichtums der Burgherren möglich: die »Könige« mit dem größten »Hort« machen andere Burgherren zu ihren Vasallen: der Anfang fast aller antiken »Staaten«. –
3. Eine fernere Annäherung an den »klassischen« Zustand der Mittelmeerländer in der Antike stellt die »Polis« in den Fällen dar, wo sie zugleich dem Typus des »Adelsstaates« entspricht. Eine für den Waffenberuf trainierte, durch den Umfang ihres Grund- und Schuldknechte- (oder Hörigen-)Besitzes ökonomisch zur Selbstausrüstung (in der kostspieligen Form der »Panhoplie«) befähigte und für das ritterliche Leben des Adels disponible Schicht von »Geschlechtern« beherrscht eine »Akropolis« und von ihr aus das Land. Auch sie kann sich nur entwickeln, wo 1. die Bodenqualität die Grundrentebildung gestattet: in den Flußebenen, – 2. Geldgewinn möglich ist: nahe der Küste. Der Lehenadel des alten Burgkönigs emanzipiert sich von seiner Herrschaft, und – das ist das Charakteristische gegenüber der analogen feudal-grundherrlichen Entwicklung im kontinentalen frühen Mittelalter (während dagegen die Entwicklung im frühmittelalterlichen Italien gewisse Aehnlichkeiten bietet) – konstituiert sich als eine sich selbst verwaltende, militärisch gegliederte städtische Gemeinde, vom König als primus inter pares oder (fast immer im weiteren Verlauf) von Wahlbeamten, aber, – das ist das Entscheidende – ohne Bureaukratie, geleitet. Wer nicht ritterlich zu leben, an den militärischen Institutionen der Stadt nicht teilzunehmen vermag, gehört nicht in den Verband der »Geschlechter« hinein. Der Glaube an den Wert des »Blutes«, der Abstammung, ist jetzt generalisiert. Die typische (nicht: die einzige) Arbeitskraft dieser Sozialverfassung ist der Schuldsklave. Der »Adel« ist zunächst eine Gläubigerschicht und wird zu einer Grundrentnerschicht. Der Bauer ist zunächst Schuldner und wird dadurch »erbuntertänig«. Das platte Land ist daher, neben den nicht zu den »Geschlechtern« gehörigen Bauern, regelmäßig von einer breiten Schicht von Schuldversklavten besetzt. Zuweilen sind diese auch rechtlich als »Stand« von den Freien gesondert. Indes meist genügt das Schuld- und Prozeßrecht der Frühzeit, in Verbindung mit der Beherrschung der Gerichte durch die Herrenklasse, und das daraus erwachsende Institut der Klientel, um den gleichen Effekt zu erzielen.
4. Allein von dem Zustand des primitiven Heerkönigtums (oben Nr. 2 am Schluß) ist eine Entwicklung nach anderer Richtung hin möglich: der König kann, ökonomisch an Macht steigend, Herr seiner Gefolgschaft und der militärischen Machtmittel werden, dergestalt, daß das Heer geradezu eine Art von Leibeigenenheer wird, und kann nun – die Hauptsache – einen ganz in seiner Hand befindlichen, hierarchisch gegliederten Beamtenstand schaffen, durch den er die »Untertanen« regiert. Die »Stadt« wird dann seine und seiner Hofbeamten Residenz, entweder ganz ohne Autonomie (so namentlich im »städtelosen« Aegypten) oder mit wesentlich sakraler Autonomie (Assur) oder mit nur unpolitischer, vom König kontrollierter Lokalverwaltung und bestimmten Privilegien (so die urkundlich bezeugten Immunitätsprivilegien Babylons). Die Lage des platten Landes in den älteren Stadien dieses autoritativen Stadtkönigtums ist meist ziemlich dunkel. Abgabe- und Robotpflichten der Untertanen können bis zum fast vollständigen Staatssozialismus (Aegypten) führen, oder es kann ein ziemlich großes Maß freier Bewegung im Privatverkehr bestehen bleiben, je nach der Struktur der Bedarfsdeckung des königlichen Haushalts: durch Fronden einerseits, durch »Steuern« andererseits, je nachdem also das Königtum mehr Fronkönigtum oder mehr Tributkönigtum ist. Ersteres geht meist aus letzterem hervor und bildet sich seinerseits zu der gleich zu besprechenden Form (Steuer- und Leiturgiestaat) weiter: ein »Rationalisierungs«-Prozeß.
Schon in den beiden zuletzt genannten (selbstredend in den mannigfachsten Abstufungen von »Reinheit« vertretenen) Typen kann der Einfluß der Verkehrswirtschaft sich geltend machen. Ganz regelmäßig beruht die Entwicklung des zweiten