einen Korb gibt und heimkommt, vergeb ich ihr, dass sie abgehauen ist.«
»Sie ist doch nicht abgehauen, Rolando. Und Giuseppe ist kein Schuft, er ist ein respektabler und gut ausgebildeter junger Mann.«
»Du nennst einen Strafverteidiger respektabel und gut ausgebildet?! Die lassen Verbrecher frei, nachdem die Polizei eine Riesenarbeit damit gehabt hat, sie einzusperren. Du erinnerst dich doch, dass die diesen ›Geschäftsmann‹ in Rom freigesprochen haben, nicht? Er war ein Mafioso, daran bestand kein Zweifel. Es würde mich nicht wundern, wenn Giuseppe sich bestechen lässt; wie kann er sich die teure Wohnung und das Auto sonst auch leisten!«
»Rolando, reg dich ab. Angolo wird schon ganz unruhig. Jeder hat das Recht, Anschuldigungen zu bestreiten. So soll das in einer demokratischen Gesellschaft auch sein. Du hast doch keinerlei Beweise für deine Behauptungen. Kein Wunder, dass Olivia unglücklich ist, wenn du so etwas über ihren Lebensgefährten sagst.«
»Lebensgefährten!« Er schnaubte. Er bräuchte jetzt eine Zigarette. Das Päckchen mit den Nikotinkaugummis steckte in der Jackentasche draußen im Flur. »Wir hätten sie damals nicht den Kurs machen lassen sollen, dann hätte sie ihn nie kennengelernt.«
»Das hat ihr aber eine ausgezeichnete Stelle bei der dänischen Botschaft verschafft. Ihr geht es doch gut in Rom. Du solltest stolz auf deine Tochter sein.«
»Ich bin stolz, an dem Tag, an dem sie diesen Schwindler durchschaut und ihn verlässt.«
»Das wird ganz sicher nicht passieren, Rolando.« Sie legte das Buch weg, seufzte laut und schaute ihn an, als würde er ihr leidtun. »Hast du Lust auf einen Schluck Kaffee und einen Cognac?«
»Ja, das wäre schön.« So kannte er sie. Er holte zwei Tassen und stellte sie auf den Couchtisch, während sie Kaffee kochte. Er nahm auch die Flasche und die Cognacgläser aus dem Barschrank und schlüpfte hinaus zu den Nicotinell-Kaugummis in seiner Jackentasche. Als wüsste er, dass er bald etwas für seine Nerven brauchen würde.
Irene schenkte ein. Der Duft des Kaffees und des Cognacs wirkte beruhigend. Ach ja, wenn es nur das war, was Irene umtrieb. Natürlich war sie bei der Beerdigung an sein angespanntes Verhältnis zu Olivia erinnert worden, aber in diesem Punkt würde er nun mal nie nachgeben. Er wusste, er hatte Recht, was Giuseppe anging. Er konnte jederzeit einen Wolf im Schafspelz erkennen.
»Was meinst du mit Das wird nicht passieren? Kannst du Olivia nicht zur Vernunft bringen, wenn du sie morgen anrufst? Und richte Grüße aus – also, nur an sie.«
Irene schwenkte ihren Cognac nachdenklich im Glas. »Wenn ich morgen anrufe, Rolando, dann um zu gratulieren. Rikke hat mir heute Nachmittag eine gute Neuigkeit erzählt …«
Roland versteifte sich und stellte das Glas zurück auf den Tisch. Er befürchtete, sonst den teuren Cognac zu verschütten, wenn sie fortfuhr. Es sei denn, die gute Nachricht wäre, dass Giuseppe aus dem Leben seiner Tochter verschwunden war – aber irgendetwas in Irenes Blick sagte ihm, dass es etwas anderes war. Sie sah ihn an mit Augen, die vor etwas glänzten, das aussah wie – Stolz.
»Rolando. Wir werden wieder Großeltern.«
Er wurde heiser. »Rikke und Tim, stimmt’s?«
»Nein, Olivia und Giuseppe.«
7
Die Enten schnatterten frühjahrsübermütig im See. Im Winter war er komplett zugefroren gewesen, sodass sie sich im Entenhaus zusammengedrängt hatten, um sich gegenseitig warm zu halten. Es sah aus wie ein kleiner Holzpavillon, mit Pastellfarbe bemalt, die durch den Frost Risse bekommen hatte. Sie hatten das Häuschen für die Enten aus Holz gebaut, das sie vom ortsansässigen Schreiner geschenkt bekommen hatten.
Der Klostergarten hatte sich in den letzten Monaten gewaltig verändert, war kahl und tot gewesen. Nun hatten sich endlich wieder kleine, zarte Blätter entfaltet, und zusammen mit der Sonne verliehen sie der Umgebung einen weichen, hellgrünen Schimmer. Zuvor, in einem Winter, der ewig zu dauern schien, hatte das Ganze so hoffnungslos ausgesehen. Auch die Vögel wurden vom erwachenden neuen Leben beeinflusst und sangen laut oben in den Baumkronen.
Sie hatte die Gewohnheit, sich nach den Laudes einen ruhigen Ort zu suchen, an dem sie den Bibeltext des jeweiligen Tages durchgehen und sich dabei in eine meditationsähnliche Stimmung versetzen konnte. Sie hatte gerade noch genug Zeit, bevor sie sich im Refektorium zum Frühstück einstellen musste. Jetzt, da der Frühling Einzug hielt, war hierfür der Garten ihre bevorzugte Stelle. Hier, vor dem großen geschnitzten Holzkreuz. Der Gärtner hatte bereits wieder damit zu kämpfen, es von Schlingpflanzen und Unkraut freizuhalten.
Sie hatte nicht lange gesessen, als der Frieden gestört wurde. Jemand folgte ihr wie ein Schatten. Die junge Frau war längst hinter ihre Gewohnheit gekommen, vor dem Holzkreuz im Garten zu meditieren. Das Morgenlicht blendete ein bisschen und so kniff sie die Augen zusammen, als sie nun die Postulantin in ihrem schwarzen Rock, dem weißen Hemd und dem kleinen schwarzen Schleier vor sich sah. Diesen Schleier sollte die Postulantin mindestens ein halbes Jahr lang tragen – bis sie herausgefunden hatte, ob sie denn wirklich willens war, ihr Leben Gott zu weihen. Bis dahin war sie noch kein Mitglied des Konvents und konnte es sich anders überlegen und das Kloster verlassen, wann immer sie wollte.
Sie selbst war mit der weißen Tracht der Novizinnen bekleidet, die Unschuld und Reinheit symbolisierte. Sie trug sie schon seit zwei Jahren; davor war auch sie lange Zeit eine Postulantin gewesen. Der Tag ihrer endgültigen Vermählung mit Gott und dem Kloster näherte sich nun. Zugleich wuchsen Unsicherheit und Zweifel – aber war das vor einer Hochzeit nicht immer so? Das sagte jedenfalls Mutter Helene. Alle Jünger Jesu hätten irgendwann einmal gezweifelt, meinte sie, aber der Teufel dürfe nicht gewinnen; er sei es nämlich, der versuche, ihr Zweifel an ihrer Berufung einzuflüstern, doch sie solle ihrem Heiligennamen gerecht werden und stark bleiben. Aber die Postulantin stellte immer so viele Fragen, die zu beantworten ihr schwerfiel und die ihren eigenen Frieden störten. Schwester Laura war ein hübsches junges Mädchen, gerade zwanzig geworden. Zu hübsch, um in ein Kloster eingeschlossen zu werden, hatte sie gedacht, als sie sie das erste Mal gesehen hatte, und sich sogleich für ihren Gedanken geschämt. Gott urteilt nicht nach dem Aussehen, alle sollen ihm dienen, die Schönen wie die Hässlichen. Sie selbst war Mittelmaß, so ihre Einschätzung, wenn sie sich, selten genug, im Spiegel ansah. Doch hätte sie nie einen Mann finden können, so still und zurückgezogen, wie sie war. Das lag bei ihr in der Familie. Schon deshalb war Gott ihre Rettung. Auch er war fern und schwer zu erreichen; nur Gebete, siebenmal am Tag, ewige Treue und ein Leben im Zölibat brachten sie ihm näher. Sie hatte diese Stufe der Nähe noch nicht ganz erreicht, aber sie wusste, das würde kommen, sobald sie ihre endgültigen Gelübde ablegte.
»Störe ich, Schwester Margaretha?«
»Wir müssen gleich frühstücken, deshalb …«
Schwester Laura setzte sich neben sie ins Gras und sah sie mit ihren hellblauen Engelsaugen an. »Bin ich denn wirklich berufen, Schwester? Kannst du mich nicht irgendwie davon überzeugen? Einmal habe ich das fest in mir gespürt, aber jetzt ist es so, als ob es dabei wäre zu … Ich weiß nicht so recht …«
»Du solltest mit unserer Äbtissin reden, du weißt genau, dass sie es ist, die uns unterweist und uns Gottes Wort verkündet.«
»Ich habe mit Mutter Helene gesprochen, aber das hilft nicht. Ich glaube nicht, dass es der Teufel ist, der … Es ist eher … ich vermisse meinen Freund … und meine Familie. Wie kannst du nur auf deine verzichten?«
Schwester Margaretha zupfte vorsichtig einen Grashalm ab und drehte ihn zwischen den Fingern. Ein Marienkäfer saß darauf. Der erste, den sie dieses Jahr sah. Ein wunderbares Frühlingszeichen.
»Du darfst deine Familie ja doch gerne besuchen – aber deinen Freund? Er versucht wohl, dich unter Druck zu setzen? Ihr habt doch wohl nicht …?«
»Nein, nein!« Schwester Laura schüttelte heftig den Kopf. »Er hat es versucht, aber ich habe ihm gesagt, dass ich bis zur Ehe warten will. Davon war er natürlich nicht besonders begeistert. Er will nicht, dass ich ins Kloster gehe. Er sagt, das sei lächerlich. Mutter Helene meint, es wäre