Paul Oskar Höcker

Das flammende Kätchen


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ob es denn überhaupt einen Sinn hatte, mit der Bewirtschaftung dieses winzigen Fleckchens zu beginnen. Manchmal packte sie der Trotz und sie fasste Mut, dann entwarf sie Pläne, stellte in Gedanken ein paar Gewächshäuser mitten in das Grundstück und richtete einen Betrieb nach Duttonschem Muster ein: mit wertvollen Nelkenspezialitäten, von denen der grossspurige Nachbar noch keine Ahnung hatte. Aber bei den Besprechungen mit dem alten Wentzel, der ihr die ersten flüchtigen Kostenanschläge machte, erstarb ihr wieder alle Unternehmungslust. Es blieb ihr für das erste Jahr ja fast kein Betriebskapital übrig, wenn sie gleich alles bar bezahlte. Und konnte sie von Wentzel Kredit beanspruchen? War überhaupt seiner Ehrlichkeit zu trauen? Er nannte sich ihres Vaters Freund. Aber hatte nicht auch Frau Dora Troilo, als ihr Vater schwerkrank im Sanatorium lag und von Geldsorgen bedrängt wurde, unter dem Schein der Freundschaft Dinge getan, Dinge ... Oh, sie durfte an all die Heuchelei gar nicht zurückdenken!

      Inzwischen gingen die Arbeiten zusehends vorwärts. Sie hatte ein Alleinmädchen aus dem Badischen angenommen, das sie in ihrer kleinen Wirtschaft anleitete, so dass sie mehr und mehr die Hände für ihre Gärtnerei freibekam. Was das „Marieche“ kochte, war keine Meisterleistung, wobei Katarina noch das allergrösste Unheil meistens abzuwenden wusste; aber wenigstens war das junge Ding bescheiden und arbeitswillig und immer guter Laune, denn „hier ischt allweil ebbes los“, meinte sie.

      Das Stallgebäude hatte sich mit geringen Kosten zu Katarinas erstem Treibhaus verwandelt. Nach Süden war die Wand herausgebrochen und ein heizbarer, ziemlich umfangreicher Glasanbau errichtet worden. Ausgediente Gasröhren, Bauglas und anderes Material aus Abbrüchen in Sonnenberg hatten dafür herhalten müssen. Der alte Wentzel hatte über die Pläne der jungen Unternehmerin zuerst immer den Kopf geschüttelt, aber dann überzeugte er sich doch, dass sie für ein Provisorium nicht übel waren. Wenigstens gewann sie so einen Raum, in dem sie ihre aus Iver mitgebrachten Züchtungsversuche und die ersten beiden Sendungen der Firma Dutton sachgemäss unterbringen und pflegen konnte.

      Ein wundervoller Herbst unterstützte die Bauarbeiten. Noch in der ersten Hälfte des November hatte man hier im Sonnenberger Tälchen wahrhaft sommerliche Tage.

      Einmal stand sie in einer Arbeitspause mittags vor dem Treibhaus und liess ihren Blick über ihr kleines Gartenland schweifen. Geradezu und nach rechts traf er auf die vier Meter hohe Ziegelwand, hinter der das Reich von Frau Dora und ihrem Stiefsohn Viktor begann. Nur nach links hin war der alte, niedrige Lattenzaun geblieben. Hier lag das grosse Gemüsefeld des alten Balthasar Troilo, des Vaters von Viktor H. Troilo, dem Begründer des Versandgeschäfts. Natürlich würde über kurz oder lang die Ausdehnungssucht der Frau Dora sich auch dieses letzten Stückchens Bauernland bemächtigen. Dann ragte auch hier die Grenzmauer in die Luft, und darüber sah man dann bald die Glasdächer neuangelegter Treibhäuser blitzen ...

      „Gute Morche, Katrinche!“ rief eine helle Stimme plötzlich, die sie aus ihrem Hinbrüten aufschreckte.

      Verwirrt sah sie sich um. Am Lattenzaun stand ein uralter Mann mit verwittertem Gesicht, einer mächtigen Hakennase und einem struppigen, weissen Ziegenbärtchen. Kohlschwarze, grosse, fast jugendlich blitzende Augen standen in dem Greisenkopf. Der Alte trug eine blaue Gärtnerschürze und einen grossen, gelben Strohhut. In der Hand hielt er eine Rosenschere. Langvergessene Kindheitsbilder tauchten in ihrer Erinnerung auf. Wenn sie mit Viktor drüben auf verbotenem Gelände gespielt hatte und plötzlich irgendwo der gelbe Strohhut mit dem braunen Gesicht und den schwarzen Augen erschien, dann nahmen sie im Bewusstsein ihrer Schuld stets schleunigst Reissaus. Gewiss hatten sie beim Versteckspiel oder beim Haschen eine Rabatte niedergetreten, ein Radieschenbeet zerstampft — oder Viktor hatte sie verführt, sich mit an die Spalierpfirsiche seines Grossvaters zu halten. Ein gutes Gewissen hatten sie ja me. So war der alte Balthasar in ihre Träume als der Kinderschreck übergegangen. Und nachdem der erbitterte Streit zwischen Viktors Vater und dem Grossvater ausgebrochen war, hatte sie jede Begegnung mit dem alten Mann vorsichtig vermieden. Auch nach Viktor H. Troilos Tod. Er sei ganz wunderlich und bösartig geworden, sagte Viktor, der es von seiner Stiefmama wusste.

      Und nun stand der Kinderschreck im gelben Strohhut am Zaun und nickte ihr zu.

      Nur flüsternd hatte sie den Gruss zu erwidern gewagt.

      „Ha, kennst mich denn nimmer, Katrinche? Gelt, so tust Du doch heisse? Die kloi’ Lutz bist doch? Oder net?“

      „Kätchen Lutz.“

      Wahrhaftig, sie hatte geknickst. Unwillkürlich, wie als Schulmädel. Und artig war sie zum Zaun gekommen, dem Grossvater die Hand zu geben.

      „Arg gross bist Du geworden, Kätche. Wie alt bist denn jetzt, he?“

      „Ich werd’ zweiundzwanzig.“

      „Hotzblitz. Ich denk als, es ist keine drei Jahr her, dass D’ mit dem Viktor in meine Erdbeere gesesse hast. No, und den Babba hat’s behalte. Jetzt bist Du ein Waisenmädchen. Guck emol her. Aber der Wentzel-Franz hat einem ja nette Sache von Dir erzählt. Da wird eins ja neugierig. Die junge Mädcher von heutzutag. Also auf der Gärtnerinneschul’ bist gewesen. Und in England. Du Krott. Ich seh Dich noch in Deinem rote Röckche und Deine rote Strümpfche, und das ein’ Strümpfche, das war immer übers Stiffelche ’runtergerutscht. Ha, so wachse die Leut heran.“

      Er war zu drollig, der Alte. Sein Auge, sein Blick imponierten, aber seine Art zu reden war sehr gutmütig, trotz des polternden Nebentons. Sie fasste schnell Zutrauen zu ihm. Freundlich sah sie ihn an.

      „Aber Sie haben sich jetzt gar nicht verändert, Herr Troilo. Wirklich. Und wenn ich Sie mir einmal vorgestellt hab’, in der Zeit bisher, da hab’ ich Sie auch immer in dem Hut da gesehen — und mit der Rosenscher’ ...“

      Balthasar Troilo rückte an seinem mächtigen Strohdach. „Der ist aber gar nit so alt. Ein Freund hat ihn mir einmal aus Mexiko mitgebracht. Ha, wann wird denn das gewesen sein? Wo sie den Porfirio Diaz zum zweitenmal zum Präsident gemacht haben.“

      Sie lachte hell auf. „Oh, Herr Troilo, das war doch im Jahr Vierundachtzig!“

      „Ha, woher weisst denn Du das, Du Krott?“

      „Aus der Schul’, Herr Troilo.“

      Nun lachte er mit seiner hellen, dünnen Stimme mit. „E nette Schul’, wo die Mädcher lerne müsse, wie alt dass den andere Leut ihre Hüt’ sind!“ Und über diesen eigenen Witz konnte er sich hernach lange nicht beruhigen.

      So war die Freundschaft zwischen ihnen hergestellt.

      Er traf sich mit ihr nun alle Tage. Der alte Wentzel hatte ihm über all ihre Massnahmen Bericht erstatten müssen. Er interessierte sich ausserordentlich dafür. Für ihr Treibhaus und ihre englischen Errungenschaften in erster Reihe. Auf dem Holzzaun sitzend, schwang er einmal das rechte, dann das linke Bein herüber — kaum dass er sich festhalten musste, denn er war trotz seiner achtzig Jahre erstaunlich gelenkig — und kam in Katarinas Reich.

      Für eine einzige Sekunde fiel dabei ein Schatten über ihre Stimmung. Sie sagte sich: immerhin ist er Viktors Grossvater, und was er hier sieht, weiss morgen Frau Dora. Und sie wusste nicht, ob sie einen Vorwand suchen und ihm das Betreten des Häuschens verwehren sollte. Aber derlei lag ihr nicht. Und er hatte für sie, die so ganz allein im Leben stand, doch so viel Patriarchalisches, dass sie sich unmöglich feindselig gegen ihn stellen konnte.

      So sah er sich also Katarinas Nelkenzüchtungen eingehend an — und sie erklärte sie ihm.

      Er war von der Schönheit der Farben ganz benommen. Auch die Blütenfülle der verschiedenen neuen weissen Nelken erklärte er für ganz unwahrscheinlich. Er hätte solche Riesenexemplare überhaupt noch nicht gesehen, versicherte er. Sie musste dann ihr Pflanzenbüchlein holen, worin sie sich schon in England Eintragungen über die Kreuzungsversuche gemacht hatte. „Aha, das Pedigree!“ sagte er. Dass ihr zwei wirkliche Neuheiten gelungen waren, stand fest, die eine schneeweisse und die orangerote Nelke bildeten wertvolle Spezialitäten, die im Duttonschen Verzeichnis nicht vorkamen. Es fragte sich aber, ob sie genug Stecklinge abgaben, um sie auch geschäftlich ausnutzen zu können. Katarina hatte von den neugewonnenen Urpflanzen die erste Nachkommenschaft in reinen Sand gepflanzt gehabt und erst kürzlich in winzigen