Paul Oskar Höcker

Das flammende Kätchen


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Ein hübsches Mädche. Und ein Mädche, wo Geld hat, verstehst.“

      Nun überwand Katarina die letzte innere Weichheit. „Vielleicht — wird er mit der glücklicher.“

      „Ich will’s hoffen, Kätche. Also Du gehst jetzt? Wirklich?“

      „Ja.“ Katarina atmete tief auf. „Nur noch eins, weil Du das Geschäftliche berührt hast. Wie ist es mit dem Grundstück von Papa?“

      „Mit was für einem Grundstück?“

      „Das am Dietenmühler Weg mein’ ich.“

      „Da fangen wir im Mai zu bauen an.“

      „Ja, aber — es ist doch das meinige — das hat der Papa doch nur hergegeben, weil — weil ...“

      Frau Dora lachte kurz auf. „Ja, ja, mein Täubche, Du wirst schon sehn, wie Du Dich in die Nesseln gesetzt hast. Dein Papa hat sich auch nit denken können, dass sein Töchterchen so unvernünftig sein wird.“

      „Ja — ich bitte Dich — aber wenn die Verlobung aufgelöst wird, dann — dann muss ich doch auch das Gartengrundstück zurückbekommen, das brauch’ ich doch, wenn ich mich einmal selbständig machen will ...“

      „Zurückbekommen? Du bist nit bei Trost, mein Täubche. Das war ein richtiger Verkauf. Im Grundbuch steh’ ich als die Besitzerin.“

      „Aber Papa hat Dir’s doch nur abgelassen, weil er sich gesagt hat: es ist für uns, für Viktor und mich? Ich bitte Dich, Du kannst mir doch im Ernst das nicht nehmen wollen?“

      „Nehmen? Was sagst? Ich — nehmen?! Ha, was ist denn in Dich gefahren? Für so ein Wort — da kann ich Dich ja belangen, weisst Du das? Eine Beleidigung ist das. Hat die Welt so etwas gesehn? Kommt das Mädchen daher, hat nix, ist nix, tut nix, und wird das grosse Wort führen.“ Sie schlug auf den Tisch. „Geh’ doch zum Rechtsanwalt und erkundig’ Dich gefälligst. Geschenke und Briefe sind zurückzugeben, wenn eine Verlobung aufgelöst wird. Das weiss ich jetzt besser als Du! Und der Viktor tät’ Dir gewiss gern alle Geschenke zurückgeben — aber er hat von Dir ja keine gekriegt ausser der Schreibmapp’ und dem Sofakissen. Das Grundstück war kein Geschenk, sondern ein Geschäft, und zwar zu einer Zeit, wo Dein Papa das Bargeld arg nötig gebraucht hat. Ich verbitt’ mir jede Anspielung. Ein nettes Früchtche hab’ ich mir da grossgezogen.“

      Je aufgeregter sie wurde, desto mehr erstarrte alles in Katarina. Wachsbleich war sie, als sie endlich zu Worte kam, um Abschied zu nehmen.

      Gewohnheitsgemäss küsste Frau Dora sie noch schallend aus beide Backen. „Also lass Dir’s gut gehn, mein Täubche, ich wünsch Dir das Beste, und es sollt’ mir leid tun, wenn Du’s dahin brächtest, dass man sich schliesslich noch vor dem Gericht herumzanken muss. Komm, Fricka, mein Tierche.“

      Müde hob und senkte Katarina die Achseln.

      Dann ging sie, wortlos, hilflos.

      Zwölf Stunden später lag sie in jämmerlicher Verfassung in der Kajüte zweiter Klasse, mitten unter einem Dutzend anderer Frauen und Mädchen, die ebenso seekrank und heimwehkrank waren wie sie, an Bord des rollenden und stampfenden Kanalbootes, das sie durch die starke Nordwestdünung nach Harwich hinüberbrachte.

      Für Heimwehkranke gab’s in den „Nurseries“ der Firma A. F. Dutton in Iver keinen Platz. Katarina hatte sehr bald heraus, dass es hier galt, tapfer die Ellenbogen zu gebrauchen, um sich durchzusetzen. Viele der Volontäre, die die Firma zuliess, kamen überhaupt nicht dazu, die Gelegenheiten zum Lernen zu begreifen: sie verliessen den Riesenbetrieb nach ein paar Monaten wieder, ohne anderes als grobe Arbeit getan zu haben. Den Obergärtnern machte es grossen Spass, die „Studenten“ gerade bei der Jauchemischung, beim Giessen oder beim Packen zu verwenden. Die neueingestellten Damen — ausser der jungen Deutschen noch zwei Engländerinnen, eine Schottin und eine Schwedin — waren ihnen erst recht ein Dorn im Auge. Sie hiessen natürlich die „Suffragettes“, und Mr. Gabb sagte einmal zu Fräulein Lutz: die Gärtner in den „Flowering Plant Houses“ drüben seien allesamt davon überzeugt, dass die Nelkenspezialitäten dieser Saison hinter denen der Vorjahre Zurückbleiben würden, weil die Firma mit dem Monopol der Männerarbeit gebrochen habe.

      Ueber die drollige Selbstverständlichkeit, mit der er seine Unverschämtheiten vorbrachte, musste Katarina nun aber doch lachen. Ihre Kolleginnen hier in den Gärtnereien waren sämtlich gutgezogene, stille, freundliche junge Dinger. „Wem von uns trauen Sie den ‚bösen Blick‘ zu, Mr. Gabb?“ fragte sie den jungen Menschen.

      Er betrachtete sie lächelnd, drohte ihr mit den Augen und fragte: ob sie noch nichts von der deutschen Gefahr gehört habe?

      Immer wollte er mit ihr über Politik reden, besonders über ‚the kaiser‘, die deutsche Flotte, die deutschen Kolonien. Die Vorstellung eines Ueberfalles des Kanalreiches durch hunderttausend deutsche Soldaten spukte in diesen Köpfen noch immer. Nächtens hatte man eine deutsche Luftschiffflotte über den englischen Küsten kreuzen sehen, so berichtete das Wurstblättchen von Iver. Aber auch die grossen Londoner Zeitungen tischten ab und zu ihren Lesern solch haarsträubenden Unsinn auf, der gern geglaubt wurde. Sechzigtausend Kellner aus Deutschland bildeten eine geheime Waffenmacht auf dem Inselreich, um beim Ausbruch eines Krieges sofort über die Einwohnerschaft herzufallen.

      „Ja, Mr. Gabb, ich weiss wohl, und ausserdem halten sich hier in England auch noch sechzigtausend junge Sprachlehrerinnen unter dem spitzbübischen Vorwand auf, Englisch zu lernen. Und die bilden ein nicht minder gefährliches Amazonenkorps, denke ich.“

      Es war nie festzustellen, wie weit zwischen ihnen Scherz und Ernst reichten. Da sie sich erst bemühte, die englische Konversation zu beherrschen, und er noch in den Uranfängen des deutschen Sprachunterrichts stand, so gab es zudem viel heitere, aber niemals völlig aufzuklärende Missverständnisse.

      „Ich glaube, die Gärtnerinnen sind noch viel gefährlicher als die Lehrerinnen,“ sagte er und klopfte seine Maserholzpfeife an seinem Stiefelabsatz aus. „Im vorigen Jahr hatten wir elf Neuheiten: Bonfire, Bright Spot, Gloriosa, Prinzess Charming, Washington, White — —“

      „White Wonder,“ fiel sie lachend ein, „o, ich kenne sie alle: Lady Alington, La Mode, Regina, Rese, R. F. Felton.“

      „Yes. You know. I see. Aber in dieser Season wir haben noch nicht drei.“

      „Und daran ist der mal’ occhio der Suffragetten schuld?“

      „Beim Lord Spencer haben sie die Orchideenhäuser demoliert.“

      „Neulich sagten Sie, das wären deutsche Stewardessen gewesen.“

      „Sagte ich? Indeed? Dann wird es seine Richtigkeit haben. Aber Miss Walker ist ganz sicherlich eine heimliche Suffragette. You know, the lady with the snub nose.“

      „Sie ist das gutmütigste Geschöpf unter der Sonne. Was für ein Hasenfuss Sie sind, Mr. Gabb. Ueberall wittern Sie Gefahren.“

      „Und Sie sind die allerdringlichste Gefahr von ganz Iver. Mr. Brutt drüben vom Carnation-house Nr. 18 sagt das auch.“

      „Sagt Mr. Brutt? Und gerade der ist immer besonders nett zu mir gewesen —“

      „Ja, er meint, Sie schmeicheln einem alles ab. Und das ist eben das Bedenkliche. Man ahnt nichts Böses und weiht Sie hier in alle Geheimnisse ein, und dann kehren Sie nach Deutschland zurück und machen uns dort alles nach, und dann hört bald der Export der Firma nach dem Kontinent gänzlich auf —“

      „Und eine kleine Spanne Zeit noch, und Mr. Gabb muss selber nach Deutschland ziehen, wenn er seine Talente noch irgendwo will leuchten lassen.“

      „Davor wird ihn der Himmel — I hope — bewahren.“

      Mr. Gabb war gleichaltrig mit ihr, man konnte ihn aber ebensogut für sechzehn oder sechsundzwanzig halten. Lang aufgeschossen, bartlos, semmelblond, vom Sport und von der Arbeit im Freien braungebrannt, zudem in seinem Wollanzug mit dem Wollhemd und der Wollmütze unterschied er sich äusserlich kaum von einem der Gartenarbeiter. Er war aber Student in Oxford