Paul Oskar Höcker

Das flammende Kätchen


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reisen Sie nach Leicester?“

      „Vielleicht morgen. Vielleicht in zehn Jahren. I don’t know. Ich muss noch ein bisschen warten.“

      „Worauf warten?“

      „Bis mein lieber Onkel Tom das Zeitliche gesegnet hat. Aber da kann ich alt und schwach werden, denn er hat gottlob eine ideale Gesundheit, scheint mir.“

      „Könnten Sie sich nicht schon zu seinen Lebzeiten in Leicester nützlich machen?“

      „No, Miss Lutz. Onkel Tom wäre der Gedanke unerträglich, dass ich mit meiner haarsträubenden Talentlosigkeit und Unbildung sein Nachfolger werden soll, — und dann würde er mich sicher enterben. Wenn ich hier in Iver als sein lachender Erbe sitze, dann stört ihn das weniger.“

      „Sein lachender Erbe.“ Katarina wiederholte es nicht wenig amüsiert, denn Mr. Gabb machte dabei ein tief unglückliches Gesicht. „So, so. Also gedenken Sie als Volontär der Herren A. F. Dutton in Iver zu bleiben, bis Sie alt und schwach werden. Und davor graut es Ihnen nicht?“

      „Was soll ich sonst tun? Als Obergärtner stellt mich niemand an. Ich bin zu dumm dafür. Nein, ehrlich, im Ernst, Miss Lutz. Und als Hausverwalter mit Gartenarbeit kann sich der lachende Erbe von Onkel Tom in Leicester doch auch nicht verdingen. Wissen Sie vielleicht, wie ich die Zeit totschlagen kann?“

      „Kommen Sie nach Deutschland.“

      „Wollen Sie mich engagieren, Miss Lutz?“

      Sie lachte. „Ich werde mein eigener Obergärtner sein. — Und ein Haus, das es zu verwalten gäbe, habe ich nicht. Ich bin arm wie eine Kirchenmaus.“

      „Wer wird bei Ihnen die Mistbeete packen? Umtopfen? Und Erde karren? He?“

      „Ich nehme mir einen jungen Arbeitsburschen, den ich allmählich anlerne.“

      „Nehmen Sie mich. Ich bin schon angelernt.“

      „Aber Sie gehorchen mir ja nicht.“

      „Nein.“

      „Nun also.“

      Er ereiferte sich. „Das ist nun wieder so echt deutsch, Miss Lutz. Wozu immer Herr und Diener? Warum nicht ehrliche Arbeitsteilung? Wenn zwei sich freuen, ein junges Anwesen vorwärts zu bringen, dann ist’s doch nicht nötig, zu befehlen und zu gehorchen. Man muss sich bloss verständigen. Sagen Sie, ich soll kommen, dann komme ich, Miss Lutz.“

      „Ist das nun Ihr Ernst? Wie sind Sie auf diese Idee verfallen?“

      „Ei, ich denke mir, hier wird es mörderlich langweilig werden, wenn Sie erst fort sind. Da ist es besser, ich folge Ihnen.“

      „Aber Sie können die Deutschen doch nicht leiden?“

      „Nein. Sie sind die einzige Ausnahme.“

      „Sehr schmeichelhaft.“

      „Und was denken Sie über mich, Miss Lutz?“

      „Als Gärtnergehilfe wären Sie ein Juwel. — Als Mensch sind Sie ein Greuel.“

      Er lachte.

      In den folgenden Wochen kam er noch manchmal auf dieses Gespräch zurück. Katarina begann allmählich ganz ernsthaft mit der Vorstellung zu rechnen. Wenn sie ihren Prozess gewann und das Stück Land zurückbekam, so dass ihr die Einrichtung einer eigenen Gärtnerei ermöglicht ward, so wäre ja solch eine Hilfskraft wie die des Mr. Gabb unbezahlbar gewesen. Er war ‚spleenig‘ genug, seinen Vorsatz auszuführen.

      Wenn sie in der Frühstücks- oder Teepause mit ihm durch die Riesenanlagen schlenderte, baute sie schon Luftschlösser. Natürlich wollte sie sich in Sonnenberg auch auf die Nelkenspezialitäten verlegen: sie konnte allmählich auf diesem Gebiet eine gar nicht zu unterschätzende Konkurrenz des Hauses Viktor H. Troilo werden. Mit dem Duttonschen Riesenbetrieb hielt auch das Troilosche Anwesen keinen Vergleich aus. Die Firma Dutton besass fünfzehn grosse Treibhäuser von je siebzig Meter Länge, in denen zu gleicher Zeit je sechstausend Nelkenpflanzen zur Blüte gebracht wurden; wieder andere, in denen bis zu 25 000 Stück in kleinen und mittleren Töpfen des Auspflanzens harrten. Ganz neu waren für Katarina die besonders angelegten Häuser mit kühlerer Temperatur für die Stecklingsvermehrung. Die Duttons erzielten durchweg starke, widerstandsfähige, für die Ausfuhr gut geeignete Pflanzen. Und eine Pause im Blühen gab es überhaupt nicht mehr. Die Hauptproduktion freilich ward in die Uebergangszeiten verlegt, in denen es im freien Land keine Blüten gab.

      Allmählich war Katarina mit allen Obergärtnern gut Freund geworden. Für eine ‚Suffragette‘ hielt sie im Ernst niemand mehr. Da sie sich nun auch in der Landessprache schon ganz leidlich ausdrücken konnte, so waren die Gespräche mit diesen Fachleuten von grossem Wert für sie. Auch in den Büros suchte sie sich über besonders wichtige Fragen des geschäftlichen Verkehrs zu unterrichten. Mr. Gabb hatte schon verraten, dass sie zum nächsten Herbst sich drüben selbständig machen und ihn als ‚Gärtnergehilfen‘ anstellen wolle. Sie würden auf dem Kontinent für die Duttonschen Züchtungen grosse Reklame machen, wenn man ihnen gute Bedingungen stellte, sagte er. So schwerfällig Mr. Gabb in botanischen Dingen war, so fix war er in der Erfassung geschäftlicher Vorteile. Katarina versicherte ihm hinterher lachend, er sei ein Rechengenie. Der Generalagent des Hauses Dutton hatte nämlich mit ihr gesprochen und ihr auf Grund der Ausführungen von Mr. Gabb ein Anerbieten gemacht. Es ward ihr auch ein nicht unbedeutender Kredit in Aussicht gestellt. Den verdankte sie freilich mehr dem vorzüglichen Eindruck, den ihr fast fanatischer Arbeitseifer und ihre ernste Lebensauffassung während dieses ersten Volontärjahres hervorgerufen hatten. Vom April ab ward ihr sogar ein kleiner Gehalt bewilligt, was viel Staunen hervorrief.

      Aber ihre Zukunft war doch noch mehr als unsicher, solange nicht der Prozess, den sie auf Geheimrat Ercks Anraten gegen Frau Dora Troilo hatte einleiten lassen, entschieden war. In der ersten Instanz war sie mit ihren Ansprüchen abgewiesen worden. „Sie gewinnen schliesslich doch, liebes Kind, verlieren Sie den Mut nicht, Ihre Sache liegt für jeden einsichtigen Richter sonnenklar,“ hatte der Geheimrat geschrieben, „die erste Entscheidung muss umgeworfen werden!“ Auch der Justizrat, an den ihr früherer Brotherr sie verwiesen hatte, war des Erfolges ziemlich sicher.

      Da traf Anfang Oktober — drei Wochen, bevor sie Iver hatte verlassen wollen — die Kabeldepesche für sie ein, nach der ihre persönliche Vernehmung im letzten Termin vor dem Landgericht unerlässlich war. Sie musste Hals über Kopf abreisen, traf morgens in Wiesbaden ein, hatte kaum Zeit, in der billigen Pension sich einzurichten, weil sie um elf Uhr schon geladen war, wartete dann unerträglich lang im Gerichtsgebäude, kam endlich gegen zwei Uhr schachmatt zur Aussage, — und als sie an des Justizrats Seite das feierliche Landgerichtsgebäude verliess, brachte der, so schonend er konnte, ihr bei: dass sie ihren Prozess aller Voraussicht nach endgültig verloren habe.

      So war es denn auch.

      Mit dem Groll darüber mischte sich nun die Scham. Und mit der Scham die schmerzliche Trauer.

      Sie kam auf ihrem ersten Rundgang durch das soeben vom Pächter verlassene Grundstück nicht aus dem Weinen heraus. Während ihrer Abwesenheit war an der Troiloschen Grenze ein hoher, undurchsichtiger Zaun aufgeführt worden, eine dünne Ziegelwand mit rauhem Bewurf, die einem Teil ihres Gartenlandes alle Sonne wegnahm. Es waren ihr kaum zwei Morgen Land geblieben. Das einstöckige Wohnhaus und der Stall waren sehr ausbesserungsbedürftig.

      Zunächst mussten Scheuerfrauen, Erdarbeiter und Zimmerleute kommen. Der Maurerpolier Wentzel, ein alter Freund ihres Vaters, half ihr mit Leuten aus. Aber sie musste von früh bis spät auf den Beinen sein, um die Aufsicht zu führen. Natürlich legte sie überall selbst Hand mit an.

      Sobald die Küche und zwei Wohnzimmer einigermassen „menschlich“ geworden waren, siedelte sie in das väterliche Haus über. Die paar Möbel, die seinerzeit nicht verkauft worden waren, weil der Händler doch nur den Preis für Gerümpel zahlen wollte, wurden vom Speicher heruntergeholt. Nur die allernotwendigsten Anschaffungen leistete sich Katarina für die kleine Wirtschaft. Tagelang galt es, auf Leitern stehend oder auf den Knien herumrutschend, zu hämmern, zu flicken, anzustreichen ... Und