in die Luft, als sich die Studien wichtiger erwiesen als er. Denn er hatte einen Referendarposten in Luleå erhalten – in seiner Studienzeit gab es wohl der Vergnügungen etwas zu viel und der Juristerei zu wenig – und ich war soeben mit Schlippenbach übereingekommen, mein Leben der Wissenschaft zu weihen. Das Resultat war der Explosion des Automobils nicht unähnlich: zunächst Hitze, Rauch und Beben und schließlich der endgültige Knall, der alle Menschen so rasch davonlaufen ließ, wie sie nur vermochten. Helge drohte sogar, alles meinem Vater zu berichten. Ich erwiderte, er könne es gern tun, wenn er dazu imstande sei. Je mehr sich Helge ins Zeug legte, desto kühler wurde ich. Es war fast, als hätte man eine kleine Luke geöffnet, so daß Durchzug entstand, und mit jedem Windstoß in unserem Streit wehte ein wenig Liebe hinaus. Ich suchte Helges Hemden und Gesetzesbücher zusammen und schickte das Paket mit Grüßen vom Professor heim an seine Mutter. Das war zwar nicht nett von mir, doch in jenem Augenblick erschien es mir äußerst angemessen.
Zur Eheschließung kam es, was meine Person betraf, also nicht. Unverheiratet und kinderlos gehe ich hier durch den Eichenhain und grüble. Was macht einen Menschen zur Frau? Die biologische Funktion? Das Leben, das man führt?
Die Eichen, hoch und mächtig, warfen ihre Schatten über den Hain. In Dodona stand eine sprechende Eiche, und in ihrem Rauschen gab Obergott Zeus Orakelantworten für die Zukunft. Im Hain von Ekesta sprachen die Eichen nicht. Sie rauschten eintönig und beruhigend. Ich stand in ihrem Schatten, legte den Kopf in den Nacken und rief zu den Kronen hinauf: »Antwortet, ihr Eichen! Wie kann ich verstehen?«
Die Blätter bewegten sich leise. Eine hockende Gestalt war dort oben zu erkennen, doch war es wohl eher ein Ast als ein Baumgott. In einem Eichenhain am Morgen kann man leicht die Götter sehen, an welche die Antike glaubte, als die Welt noch jung war. In jedem Baum, in jeder Quelle wähnte man eine Gottheit. Ich fragte mich, woran meine Vorväter wohl geglaubt hatten. Erneut rief ich zu den Bäumen hinauf.
»Hmmmm«, flüsterten die Kronen zur Antwort, doch klüger wurde ich daraus nicht.
Was meine Ausbildung, meine Art zu denken, einen großen Teil meines Umgangs anbelangt, bin ich eigentlich ein Kerl. Die Dozenten Huund, Wallin und Bondeson sprechen nicht feiner mit mir als zueinander, und ich schätze es, sie als Kollegen zu haben.
Der See lag vor mir, morgenstill. Ein Sprachforscher hatte mir einst erklärt, der Name Glan rühre eben von dessen heller Wasserfläche her, die oft, wie heute, ganz reglos erscheine. Dennoch behaupteten die Leute der Gegend, der See sei unberechenbar und blitzschnell aufgewühlt. Weiter draußen lagen verstreut ein paar Boote mit Berufsfischern oder Anglern. Der Morgen war still, hier an Land ebenso wie draußen auf dem See.
Langsam wanderte ich zum Wasser hinunter, bis an den Uferrand, von dem die Steine weit hinausreichten. Kein Mensch war in der Nähe. Ich zog die Jacke aus und legte sie auf einen großen Felsbrocken, wo sie sicher schien. Die Angler waren weit weg. Vorsichtig schnürte ich die Schuhe auf, streifte sie ab und stellte sie neben den Stein. Alles war ruhig und das Frühstück noch in weiter Ferne. Ich sah mich gründlich um. Dann löste ich die Strümpfe und rollte sie über den Spann. Den einen Fuß an Land und den anderen im Wasser konnte ich fühlen, daß es recht warm war. Da wurde ich kühn. Zog mich aus und watete ins Wasser. Die Steine wurden kleiner, je weiter man hinauskam, und da sie rund waren, spürte man sie kaum unter den Füßen. Als mir das Wasser bis zu den Schenkeln reichte, begann ich zu schwimmen. Hinter dem Schilf sah ich fast den ganzen See, der sonnenbeschienen und still vor mir lag. Die Schwimmzüge hinterließen kleine Wellen, und von den Fingern breiteten sich Wasserringe aus.
Es war warm und angenehm im Wasser. Ich schwamm ein Stück in Richtung Finspång, machte kehrt und legte eine kurze Strecke gen Norrköping zurück. Ein Boot weit draußen wurde landeinwärts gerudert. Wie eine Diana im Bad schwamm ich an Land, schüttelte das Wasser ab und stand splitternackt und tropfend am Strand. Hätte in den Booten ein Jäger heimlich Ausschau gehalten, ich hätte ihn verwandelt und ihm ein schreckliches Schicksal bereitet. Das Hemd mußte als Handtuch herhalten. Als ich es anzog, war es feucht und unangenehm auf dem Körper, doch als ich zum Herrenhof hinaufging, trocknete es rasch.
Vom Hof waren laute Rufe und Lärm zu hören. Pferde wieherten, das Klappern von Wagen ertönte, die man offenbar herbeigeschafft hatte. Die Schafe lauschten mit erhobenen Köpfen, und die Lämmer sprangen um sie herum. Kinderstimmen waren stärker oder schwächer zu vernehmen, je nachdem, wie ihr Spiel über den Stallplatz wogte. Ein kleines Mädchen winkte eifrig in meine Richtung, mein kleiner Schützling vom Brandtag. Sie hatte beschlossen, mir auf ewig dankbar zu sein. Am nächsten Tag war sie mit einem großen Strauß weißen Labkrauts erschienen, mit viel Liebe und mit sehr kurzen Stengeln gepflückt.
Der Morgen war vorüber und der Vormittag angebrochen. Meine Seele wandte sich Tee und Toast zu, und ich beschleunigte die Schritte. Na was! Es kann ja wohl nicht stimmen, daß ich mich für diese Tätigkeit nicht eigne. Ich bereute fast den Brief an Balle Bondeson. Mehr Frau als Schlippenbach war ich schließlich auf jeden Fall!
*
7.6.1910
Ich habe Ekesta hinter mir gelassen und schreibe jetzt in einem Linköpinger Hotelzimmer. Es ist immer schwierig für einen Norrköpinger, in diese Stadt zu kommen, und ich vermisse die ländliche Gegend der Barone. Sie war so schön, so einfach. Fabian Gyllensporre zeigte sich beunruhigt, wie wir nach Finspång gelangen sollten, jetzt wo das Automobil »unbrauchbar« war. Genau so drückte er sich aus, und es fiel mir schwer, respektvoll zu bleiben. Gabriel Månson hatte erzählt, der Blechhaufen sei an die Hütte von Lotorp verkauft worden, um Hämmer daraus zu schmieden. Nun wollten wir weiter südwärts, nach Linköping, also ging es erst mit dem Boot Richtung Skärblacka und dann mit dem Zug über Kimstad.
Nach dem Frühstück rollte die Kutsche zum See hinunter, nicht durch den Eichenhain natürlich, sondern auf besser gebahntem Weg. Ein paar Töpfe Farbe hatten dem Schwarz abgeholfen, das vom Feuer zurückgeblieben war, und Kandidat Månson handhabte die Zügel auf vernünftigere Weise als das Steuer des Automobils.
Der Tag war genauso schön wie all die bisherigen auf Ekesta – der Brandtag ausgenommen –, und die Sonne und das Leben überhaupt vermittelten mir ein Gefühl von Wohlbehagen und Wehmut zugleich. Der Wald um uns herum warf Schatten, doch ab und an brachen kleine Sonnenflecken durch das Geäst. Mein breitkrempiger Hut beschattete Gesicht und Nacken, und obgleich einige hartnäckige Bienen glaubten, die Verzierungen seien echte Blumen, so hielt die Krempe sie auf gehörigen Abstand von meinem Gesicht. Choice und Thea saßen in unserem Rücken und plauderten, und ich thronte neben dem Kandidaten auf dem Kutschbock. Er trug dünne weiche Lederhandschuhe, und die Zügel waren geflochten, damit sie nicht aus den Händen rutschten. Die braunen Lenden des Pferdes bewegten sich auf und ab vor unseren Augen, und weiter vorn spitzte das Tier ein Paar folgsame Ohren. Der Kandidat und ich sprachen nicht, fühlten uns gewiß aber dennoch wohl. Ich hätte ihn mir gern als jüngeren Bruder gewünscht, zumindest beinahe.
Kandidat Månson brachte den Wagen am Landesteg zum Stehen, half uns heraus und schickte den Mann zurück, der die Reisekoffer gefahren hatte. Wir kamen gerade zur rechten Zeit. Aus Richtung Finspång glitt ein weißes Dampfboot heran, und Musik begleitete es. Blechblasinstrumente schmetterten, ein fröhlicher Männerchor sang aus voller Kehle »Sehnsucht nach dem Lande«. Thea steckte sich eine Zigarette an und betrachtete das Boot mit einem Blick, den ein Groschenheftverfasser spöttisch nennen würde, den ich aber eher als höhnisch beschreiben möchte. Sie redete nicht so viel wie Choice oder ich, ihr Gesicht aber gab recht klaren Bescheid über das, was sie empfand. Was Blicke nicht auszudrücken vermochten, teilte sie durch ein Wedeln der Zigarettenspitze mit.
Ich fühlte, wie die Musik mich mitriß und frohgemut stimmte, zumindest oberflächlich. Das Dampfboot legte am Steg an, und eine ganze Gesellschaft stieg aus. Die Sänger und die Blechbläser gehörten dazu. Sie stellten sich dicht am Rand des Landestegs auf und schmetterten weiter in sommertypischem vaterländischem Geist. Männer und Frauen in Sommerkleidern, mit flachen Strohhüten und Sonnenschirmen entstiegen dem Boot. Alle waren jung, Kinder waren nicht dabei. Sogleich begann meine Phantasie ein Gewebe um sie zu spinnen, doch der Anblick einer Standarte brachte mich rasch wieder zur Erde zurück: »Fingspongs Guttemplerloge« stand darauf. Mit jenen fühlte ich keine Verwandtschaft.