Carina Burman

Die zehnte Göttin des Gesangs


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wie Kleinkinder auf die Weihnachtsgeschenke, doch in wissenschaftlicher Hinsicht ließ diese Methode recht viel zu wünschen übrig. Sogleich besprachen wir, wie die Sache zu handhaben sei.

      In diesem Moment kam das Hausmädchen und holte uns zum Mittagessen, und wir aßen Frühlingshähnchen und plauderten nahezu zwei Stunden mit den Herren des Hauses. Nach dem Karamelpudding hätte ich mich am liebsten schlafen gelegt, doch erwies sich, daß der junge Baron seit einem Parisaufenthalt in der Jugend Feinschmecker geworden war, und er lud uns zu café noir und Apfelsinenlikör ein.

      Dann kehrten wir in die Bibliothek zurück. Choice wurde mit Stift und Folioblatt an den Schreibtisch gesetzt. Zu Choices schönem Äußeren gehört nämlich auch eine ausgezeichnete Handschrift, was man bei Journalisten vielleicht nicht erwartet. Thea und ich machten uns daran, die Briefe chronologisch zu ordnen, und sobald wir genügend beisammen hatten, ließen wir Choice wissen, was sie zu schreiben habe. Als der Nachmittag zu Ende ging, hatten wir eine Liste über 42 Briefe zusammengestellt, in der die Posten etwa folgendes Bild abgaben:

      1 1680, 7. 8., 4° Deu[tsch]. Bedauern und Glückwunsch zur Hochzeit der Hochhauer.

      2 1680, 18. 9., 4° Deu. Verliebtes Geplapper über E. B. [Elias Brenner]

      3 1680, 27. 10. 8° + Adresse. Deu. Über die Hochzeit mit E. B.

      4 1681, 1. 1., 8° Schw[edisch]. Neujahrsglückwünsche.

      5 [1681], März, Deu. Segenswünsche???

      Wie man erwarten konnte, war die Zahl der Briefe zu Beginn am größten, ehe Haushalt und Mutterschaft Hindernisse in den Weg legten. Wenigstens jedes zweite Jahr gebar die Brenner ein Kind, das erste im Alter von zweiundzwanzig, die nächsten bis weit über die Vierzig, und die Hochhauer stand – den Briefen nach zu urteilen – ihr nicht nach.

      Als nächstes waren die Briefe abzuschreiben, und die Zuverlässigkeit der Abschriften war sorgfältig zu kontrollieren. Doch das mußte auf später verschoben werden, denn jetzt erschien das Hausmädchen erneut und erklärte, in einer Stunde werde das Souper serviert, wenn die Damen sich umkleiden wollten ...

      Wir schauten an uns herunter und verstanden den Wink. Theas und meine Fingerspitzen waren grau vom Hochhauerstaub und Choices Hände bis über die Knöchel mit Tinte bekleckst. Ich fragte mich, ob die Örtlichkeiten womöglich ein Bad zuließen, und mir fiel ein, daß ich eine funkelnagelneue Spitzenbluse eingepackt hatte, die für einen Sommerabend auf dem Lande wie gemacht war. Also legten wir die Briefe zu einem einzigen hübschen Häufchen zusammen und nahmen unsere Aufzeichnungen mit. Der erste Tag mit der Hochhauer war beendet.

      *

      Am selbigen Abend

      Unbestreitbar hat das Leben auf einem Gutshof viele Vorzüge. So hätte man zur Welt kommen sollen, statt dem Bürgertum zu entsprießen! Fabian Gyllensporre lieh mir eine orientalische Reiseschilderung, und ich lernte daraus, wie man sich wahrhaft als Pascha fühlt. Ich werde versuchen, es einem solchen nachzutun.

      Der Hof von Ekesta verfügt über richtige Badezimmer, mit fließendem Wasser und Haremsmuster an den Wänden. Ein respektvolles, leicht verwundertes Mädchen half mir, Wasser einzulassen, und dann lag ich eine halbe Stunde in der Wanne und ließ den gesammelten Brenner- und Hochhauer-Schmutz abweichen. Ab und an seifte ich mich mit Florodolseife ein, die versprach, die Haut, besonders an Hals und Händen, weiß und samtig werden zu lassen. Ich stieg aus dem Schaum und fühlte mich wie Venus, besonders als das Korsett geschnürt, der Busen in der Spitzenbluse enthüllt und in einem hellen Leinenkostüm erneut verborgen war. Ziemlich lange suchte ich nach meinem Eau de Cologne, doch das schien daheim geblieben zu sein. Ich schlüpfte zu Choice hinüber, um ein paar Spritzer zu leihen, und fand Thea dort. Sie saß auf der Bettkante, knöpfte die Strümpfe fest und schwatzte ausgelassener, als ich es bei ihr gewohnt war. Das machte mich ein wenig verlegen, so nahe Freundinnen sind sie und ich schließlich nicht, doch beide baten mich herein und ließen mich an Riechwasser und Haarnadeln teilhaben. Choice rümpfte nur die Nase über meinen einfachen Knoten und übernahm sogleich, etwas Repräsentativeres zurechtzustecken. Das Ergebnis war ein einziges Gekräusel, das sich bei meiner Haarfarbe ausnahm wie Büschel von Fuchshaar im Kuhmagen. Thea sah uns schmunzelnd zu.

      »Ihr seid wirklich hübsch, Mädels! Ich persönlich ziehe vor, jungen Dingern den Kopf zu verdrehen und sie zu Volksschullehrerinnen zu machen. Ich begreife nicht, vor wem ihr zwei kokettieren wollt, hier gibt’s doch nur Knaben und alte Männer.«

      »Ein wohlgepflegtes Äußeres ist ebenso wichtig wie ein wohlgepflegter Körper«, sagte Choice, und zugleich schlug ich vor, Thea könne ja versuchen, aus dem jungen Månson einen Volksschullehrer zu machen, dann würde sie gewiß ihr blaues Wunder erleben.

      So neckten wir uns und gingen schließlich zum Abendessen hinunter. Die Mahlzeit war gut, ländlich und üppig. Alles wurde in etwa gleicher Weise serviert wie schon zu Mamsell Brenners Zeit – Porzellan mit etruskischen Motiven, eine Fülle von Gläsern und kräftige Fleischgerichte. Arme Choice, die doch beinahe Vegetarierin war! Freilich hatte sich ein wenig Sommergemüse eingeschlichen, in Butter geschwenkte zarte Möhren und köstliche Zuckererbsen, doch nicht einmal sie wurde satt von so wenig. Wir konnten ja auch nicht undankbar erscheinen. Mit keinem Wort hatten die beiden Barone erwähnt, wir sollten unsere Arbeit forcieren, um sie nicht völlig arm zu essen. Im Gegenteil, sie schienen erfreut, daß ihre alten Briefe unser Interesse fanden. Fabian Gyllensporre sah mich mit seinen schwarzen Knopfaugen an und fragte, wie die Sache laufe, und ich berichtete von der Arbeit des Tages. Lebhaft beschrieben wir, wie wir Reinschrift und Zitatenkontrolle gemeinsam zu erledigen gedachten. Der Baron nickte, schnitt sein Fleisch in winzige Häppchen und spülte sie mit Unmengen Soße hinunter. Kandidat Månson schwieg höflich.

      Beim Obst wurde der junge Baron wieder meiner habhaft und fragte mit leiser Stimme, ob die Briefe Unvorteilhaftes über die Familie enthielten. Vorgebeugt über die Melone, die im Gewächshaus des Gutes rund und saftig gewachsen war, glich er selbst ein wenig der Frucht mit seinen runden, ins Gelbliche spielenden Wangen. Ich versicherte, er brauche sich nicht zu sorgen. Kein einziges Skelett war bisher aus dem Archivverschlag gekippt, und die Tatsache, daß der junge Carl Gyllensporre irgendwann vor 1709 dem Wunsch seiner Mutter trotzte und Offizier wurde, konnte meines Erachtens nach zweihundert Jahren kaum als schimpflich gelten.

      Als das Dessert verspeist war, wurden die Türen des Salons geöffnet, und in Erwartung des Kaffees ergingen wir uns im Garten. Der Abend war lau und windstill, und obgleich es bereits nach neun war, gelangten noch immer Sonnenstreifen bis auf den Rasen. Der Garten schien eher aus praktischen Erwägungen als zum Renommieren und Promenieren angelegt. Er war offen und luftig, und Bäume, Büsche und Blumen schienen ihren Platz wohl eher zufällig gefunden zu haben. Wir drei Herausgeberinnen blieben möglichst dicht beieinander. Es schien am sichersten so, und obendrein waren wir wohl auch etwas befangen. Gustaf Gyllensporre schloß zu uns auf, und als ich ein Ausweichmanöver zu den Stachelbeerbüschen unternahm, kurvte er hinterher und bot mir seinen Arm. Obendrein mit einem Lächeln. Man stelle sich vor, Arm in Arm mit einer lachenden Melone zwischen Stachelbeerbüschen und Apfelblüten zu wandeln! Es war, als mache man mir mitten in einer Obstschale die Cour – und wahrhaftig, man tat es. Glaubt mir, ich bemühte mich nach Kräften, gelehrt, kühl und widerwärtig hinter meiner Goldfassung zu wirken. Es half nichts. Gustaf Gyllensporre hob einen Zweig und wies auf die Stachelbeeren, die noch immer recht kümmerlich aussahen.

      »Dozentin Gran ... Sehen Sie, was für schöne Beeren! Sie wissen ja, was der Dichter sagt, ›nur Schweden schwedische Krausbeeren hat‹ ...«

      Ich ignorierte die Literatur und sah ihn mit fünf Pflaumenfingern den Stachelbeerzweig betasten. Dann schaute er mich schmachtend an, wie eine Frucht, die sehnsüchtig wünscht, zum Dessert aufgeschnitten zu werden. Ich fingerte jetzt ein paar Schritte weiter an den stachligen Zweigen herum. Der Baron kam mir nach und bot erneut seinen Beistand an.

      »Meine Kinder lieben Früchte und Beeren. Stachelbeercreme und Stachelbeerkuchen! Eine Instfrau hier bereitet ein Stachelbeergelee, einfach göttlich ... Sie werden in Stockholm nichts dergleichen finden, Frau Dozentin.«

      Ich zeigte mich entzückt von der Tüchtigkeit der Hofleute. Wie war ich da hineingeraten? Durch