scharf ab, fuhren einen kleinen Hügel hinunter und sahen plötzlich fruchtbare Äcker zu beiden Seiten. Dann ging es in das Dunkel einer Eichenallee und einen Hang hinauf, den das Auto mühselig hustend und ächzend hinter sich brachte.
Dort lag nun der Hof von Ekesta, weiß und leuchtend im Sonnenschein. Das Wohnhaus war für einen Herrensitz außerordentlich klein, auch wenn man es im Volksmund so nannte. Dennoch hatte es eine prächtige Fassade, mit großen Fenstern, Pfeilern und Balkon. Am Giebel befanden sich mehrere Blendfenster. Hinter dem Haus konnte man einen Garten im englischen Stil erkennen.
Es war ein Haus, das jemand als Herrensitz erbaut hatte, der nicht ganz über die Ressourcen für ein solches verfügte. Aus der Zeit der Brenner konnte es schwerlich stammen, vielleicht hatte ein Nachkomme ihrer Freundin und des hochgeachteten Ahnen dieses Geschlechts, Gustaf Gyllensporre, das Haus unter dem Regime der Hüte errichten lassen oder in den ersten Jahren unter König Gustaf. Ich stellte mir vor, daß im Geschlecht der Gyllensporres Besitztümer teils gewonnen, teils verloren wurden. Im Augenblick schien ihre Lage ganz erträglich – zumindest sprachen Automobil und die Wohnungen in Paris und Konstantinopel dafür. Die Nebengebäude schienen ebenfalls in gutem Zustand. Ställe, Wagenremise, Scheune und die Häuser der Instleute lagen an kleinen Wegen im Umkreis, alle Gebäude tiefrot, mit Ecken so weiß wie das Haupthaus. Ganz oben auf dem Stalldach hing eine Glocke, die die Instleute zur Arbeit rief. Ein blaßgrüner Speicherbau stach von dem einheitlichen Bild ab. Er schien aufbegehren, sich für etwas Besseres halten zu wollen als die anderen Gebäude. Man konnte fast glauben, er trachte danach, eine Art Industriespeicher zu sein. Einige Männer luden soeben große Säcke von einem Wagen und zogen sie durch die Luke hinauf. Ich vermutete, daß es Mehl aus der Mühle war.
Kandidat Månson stoppte das Automobil vor dem großen Haustor und half uns samt den Handkoffern beim Aussteigen. Auf dem Hof unter einem dichtbelaubten Baum saß ein alter Mann mit Strohhut und musterte uns interessiert. Jetzt erhob er sich, zog den Hut, kam heran und nahm meine Hand.
»Dozentin Gran? Gabriel hat soviel von Ihnen und der Akademie gesprochen. Ohne sein Zutun hätte ich niemals auf die Annonce geantwortet.« Dann küßte er mir rasch die Hand, sehr flüchtig, nur ein Kitzeln des Schnurrbarts auf dem Handrücken, doch ritterlicher als der Handschlag des Kandidaten auf dem Bahnhof. Es war ein dummes Gefühl, auf diese Weise hervorgehoben zu werden. Thea, die soeben eine Zigarette aus der Tasche gezogen hatte, wies mit der Zigarettenspitze vielsagend auf mich. Kandidat Månson errötete bis über beide Ohren.
An einem der letzten Märztage hatte Kandidat Månson bei seinem Zeitungsstudium im Korporationshaus die Nya Dagligt Allehanda gewählt und saß träumend über den Reiseannoncen. Direkt daneben stand unsere Anfrage. Ich weiß nicht, ob es mein Name war oder jener der Universität, der seine Blicke anzog, jedenfalls riß er rasch die Zeitung entzwei und schickte die Annonce an Baron Gyllensporre, da er von der Existenz des großen Familienarchivs wußte. Später sagte Thea, sie hätte Kandidat Månson küssen mögen wegen seines Vergehens gegen die Korporation, und das zu unseren Gunsten. Ich zögerte nicht, ihr beizustimmen.
Es war bereits Nachmittag. Der Baron lud uns zu Tee und Konversation ein, die in erster Linie Ekesta und das Geschlecht der Gyllensporres betraf.
»Wie Sie, meine lieben Dozentinnen, ja wissen, sind die Gyllensporres eine alte Familie, wohlbekannt in Schwedens Annalen, Ahnen seit dem 15. Jahrhundert! Und obgleich wir immer eng mit der ostgötischen Provinz verknüpft waren – entre nous, die Gyllensporres haben wohl nie zu den reichen Adelsfamilien gehört –, so haben dennoch unzählige Könige hier auf Ekesta logiert, sowohl in diesem Haus als auch in dem alten Holzhaus, das zuvor hier gestanden hat. 1774 war es wohl, als Fredrik Gyllensporre das jetzige Haus errichten ließ. Der alte Fredrik, mein Urgroßvater, er soll noch in den zwanziger Jahren eine gepuderte Perücke getragen haben, war offenbar ein fröhlicher Geselle, in Linköping verkehrte er mit dem späteren Propst Wallenberg und hatte häufig Kontakt zu den gebildeten Damen der Norrköpinger Gesellschaft, wie auch zum Gelehrten Johan Hinric Lidén und einer Anzahl Leuten aus Stockholm, wie den Autoren Kexél und Halldin. Als ich Kind war, weilte Mamsell Bremer hier – eine so reizende alte Dame, Sie können es sich kaum vorstellen! Sie fertigte kleine Zeichnungen von uns an, meiner Schwester aber verdrehte sie den Kopf, die wurde daraufhin Volksschullehrerin. Das war die Großmutter des jungen Gabriel!«
Wir begriffen, der Kandidat war nicht nur das Resultat einer Mesalliance, sondern obendrein einer Meuterei, nicht unähnlich der auf der Bounty – und all das verursacht von einer kleinen reizenden Mamsell! Thea fischte nach ihrer Zigarettenspitze und begann etwas vom Roman »Hertha« und dessen unbestreitbarem politischem Wert zu murmeln. Choice stellte ihr den Absatz auf den Zeh, und danach durften wir das Haus besichtigen.
Das Haupthaus von Ekesta war keinesfalls von besonderer Art: Im Erdgeschoß lagen Bibliothek und Kontor beiderseits einer großen Diele, und auf der Rückseite des Hauses Küche, Eßzimmer und ein Salon, in dem französische Fenster zum Garten führten. Eine Treppe höher lagen die Schlafräume und auf dem Dachboden die Wohnungen des Gesindes sowie ein Schulzimmer für die Kinder. Im Inneren des Schulzimmers befand sich der Verschlag, der als Archiv bezeichnet wurde. Wir durften nur einen Blick hineinwerfen, denn dort drin war es dunkel und staubig, dennoch aber packte uns bereits die Erwartung: Das hier war »unser Dachboden«, hier wurden die Briefe der Brenner aufbewahrt. Aber der Baron erklärte, die Briefe könnten bis morgen warten, und wir waren gezwungen, uns mit der Aussicht zu begnügen.
In Erwartung des Soupers zogen wir uns zurück und installierten uns in unseren Zimmern. Die Koffer waren bereits heraufgetragen, also konnte ich auspacken und mich ein wenig zurechtmachen. Die Briefe aus dem Archiv riefen nach mir, doch wußte ich sehr wohl, daß man die Dinge auf dem Land langsam angeht und eins nach dem anderen tut. Ich atmete also ein paarmal tief durch, legte die Haarbürste auf die Kommode und machte mich mit dem Zimmer vertraut. Es war wohl ein Jungen- oder Hauslehrerzimmer, und die Sache war rasch erledigt. Bett, Stuhl, Kommode und Waschtisch, alles auf kleinstem Raum. Durch das Fenster konnte ich bis weit hinter die Eichen am Feldrand und sogar bis zum anderen Seeufer blicken. Ich löste die Haken und drückte das Fenster auf. Mit einem leichten Krachen schlug es gegen die Wand. Laue Luft strömte ins Zimmer. Ein wenig Putz hatte sich unter dem Fenster gelöst, und ich bosselte ein weiteres Stückchen ab. Unter dem Putz befand sich eine Schilfmatte, und darunter konnte man Holz erkennen. Nicht einmal Steine hatte sich der Urahn geleistet, sondern seinen Hof aus Holz erbaut, wie die Bauern der Gegend. Das war wohl das billigste Material hier, wo die Bergkette von Kolmården die Ausläufer ihrer Wälder bis vor die Tür schickte, und Schilf gab es gewiß reichlich im See. Das Holz konnte man schließlich durch Verkleiden verbergen – ich vermutete, es war nie gestrichen, sondern von Anfang an unter Putz verborgen.
Unten im Garten promenierte der Baron in Gesellschaft eines rundlichen Herrn, der vielleicht sein Sohn war, und des Kandidaten. Sie sahen sehr lustig aus: der hochgewachsene, hagere Baron, der in gewisser Weise an den König erinnerte, wenn auch etwas mehr in die Jahre gekommen, der kleinere Dickliche in der Mitte und dann Kandidat Månson, ebenso lang und schlank wie der Großonkel und mit knallroter Krawatte. Alle drei waren dunkel wie Zigeuner. Noch immer trugen sie ihre hellen Sommeranzüge, also war wohl bis zum Abendessen noch recht viel Zeit. Ich ließ das Fenster offen und legte mich aufs Bett, um nach der Reise ein wenig zu ruhen. Schon bald war ich eingeschlafen. Ein respektvolles Klopfen an der Tür und der Ruf »Abendessen in einer halben Stunde, gnädige Frau!« weckten mich aus einem wirren Traum, in dem die anmutig frisierte Frau Brenner, umgeben von fünfzehn Kindern (sonderbarerweise wenigstens drei oder vier im Säuglingsalter), eine unnatürlich große Beata Hochhauer besuchte, die sehr stark an Gustaf V. erinnerte. Ich hatte Eile, mich zu kämmen und das Festkleid anzuziehen, jenes, das die Promotionsfeier am selben Morgen nicht hatte erleben dürfen und deshalb recht zufrieden war, an die Luft zu kommen. Nun also begebe ich mich zum Abendessen hinunter.
1.6.1910
Von diesem Souper gibt es nicht viel zu berichten, wurde es doch unter respektvollem Schweigen und respektvollem Reden eingenommen. Das Kleid war fehl am Platz, und das einzige förmliche Kleidungsstück bei Tisch. Ich ging früh zu Bett und erwachte frisch und munter. Das Frühstück war bereits serviert.
Im Geschlecht der Gyllensporres gab es für die Kinder