Blusen trugen.
»Meine Ehefrau, verstehen Sie, Dozentin Gran ... Vielleicht haben Sie sich gefragt ...«
Das hatte ich, doch der Anstand verbot mir zu fragen, wieso es hier einen beleibten Baron Gustaf mit Sohn und zwei Töchtern, doch nicht die Spur einer Baronesse gab. Nun senkte er die Stimme, und meine Neugier wurde wieder nicht zufriedengestellt.
»... zu traurig, wie Sie sicher verstehen. Eine wirkliche Tragödie. Erst ein Nervenfieber, und dann das ...« Er beugte die Melone im Stehkragen, so daß ich noch weniger verstand: »... Schweiz ... so bedrückend für uns, seelisch, aber auch pekuniär ...«
»Es tut mir sehr leid.«
Baron Gustaf schien aufgemuntert, er drückte meinen Arm und hob die Stimme ein wenig, so daß ich seine Litanei verstand.
»... und für die Kinder, keine Mutter zu haben ... Oft dachte ich daran, eine Wirtschafterin oder eine kluge Gouvernante zu nehmen, die für sie wie eine Mutter wäre. In dem Zustand, in dem meine Frau ...« Jetzt sprach der Baron wieder leiser, und ich verstand nur noch: »... kaum lange Zeit ...«
Ein Engel rettete mich in diesem Moment. Es war das Hausmädchen, das bei Tisch aufwartete, doch in ihrer weißen Schürze und mit dem weißen Häubchen auf dem Kopf konnte sie gut als himmlischer Sendbote durchgehen. Sie erklärte, der Kaffee sei serviert, und ich machte einen raschen Schritt auf sie zu und begann den Kaffee zu rühmen, der nach dem Lunch serviert worden war. Zugleich erkundigte ich mich, ob die Küche vielleicht ein wenig Kräutertee für die arme Choice auftreiben könnte. Jetzt war ich es, die die Stimme senkte und etwas vom empfindlichen Magen der armen Journalistin murmelte, und das Mädchen schien sehr teilnahmsvoll. Sie war sich nicht sicher, wie man Kräutertee bereitete, und ich schlug unverfroren vor, Blätter der schwarzen Johannisbeere zumindest fünf Minuten im Wasser mitzukochen. Ich wußte aus Zeitschriften, die Choice zu lesen pflegte, daß man Gesundheitsaposteln mit eigenem Gesträuch dergleichen anbefahl.
Beim Kaffee erzählte der alte Baron Fabian Geschichten vom Gut und der Gegend, von alten Gewerben und Originalen und nicht zuletzt den Spukgestalten des Hauses, der weißen Frau und dem spukenden Mops. Ganz plötzlich gähnte der Alte, es fehlte nicht viel, und er wäre mitten im Gespräch eingeschlafen, so wie Kleinkinder noch sprechend in Schlaf sinken können. Da bat er um Entschuldigung und zog sich zurück, und Baron Gustaf attackierte mich sofort aufs neue. Die Melone lächelte, die Pflaumenfinger waren bereit ... ich wußte nicht, was ich tun sollte. Zu meiner Freude mischte Kandidat Månson sich ein.
»Onkel, entschuldige«, sagte er, »aber ich muß die Frau Dozentin wegen der Studien um Rat bitten.« Dann wandte er sich an mich. »Vielleicht im Garten?« Ich nickte und schob meinen Arm unter seinen dargebotenen.
Während des Kaffeetrinkens war es dunkler geworden. Der Himmel über uns war hellgrau, doch gen Finspång spielte er ins Rosa und Violett. Der Kandidat eilte durch den Garten, und ich rannte fast mit kleinen Schritten neben ihm her. Kein Wort über irgendein Ziel, und ich wurde immer erboster: Warum lasse ich mich derart schikanieren? Warum kann ich nicht den Kopf in den Nacken werfen und den ganzen Clan Gyllensporre zum Teufel jagen?
Wir verließen den Obstgarten und folgten einer grasbewachsenen Böschung, die plötzlich in einen ausgetretenen Pfad mündete. Einen Augenblick klapperten unsere Schuhe über eine Steinbrücke, und dann waren wir zurück auf dem Pfad. Die Absätze rutschten über eine Baumwurzel. Hier war ein Eichenhain voller Riesen mit schwarzen Armen. Dann öffnete sich die Landschaft zum See, auf zwei Seiten umgeben von dunklem Kolmårdenwald. Reglos, blauschwarz und rosafarben lag der See vor uns. Es war gar zu schön, geradeso, wie man sich eine Sommernacht wünscht. Die Stille war vollkommen.
Wir blieben stehen und blickten über das Wasser. Keiner sagte ein Wort. Das Licht war noch immer so stark, daß ich Gabriel Månson recht deutlich sah. Wäre ich eine achtzehnjährige Studentin, hätte ich mit ihm hier im Eichenhain romantisch spazierengehen wollen, egal, wie sehr die Absätze rutschten. Doch schließlich bin ich seine Lehrerin und werde im Herbst sechsundzwanzig. Jetzt, genau jetzt, sollte ich kehrtmachen und zum Haus zurückgehen, und der Kandidat würde mir folgen, denn er war ein wohlerzogener junger Mann.
»Dozentin Gran?«
»Ja, Gabriel Månson?«
Ich war gezwungen, den Kopf in den Nacken zu legen, um sein Gesicht zu sehen, er war so groß. Weshalb mein Gehirn mit Grillen füllen? Wenn ich so dastand, konnte er mich leicht küssen, wenn er wollte. Wenn er es wagte. Er nahm meine Hand. Alles drehte sich mir. Tatsächlich hätte ich ihn küssen können, wenn ich es wollte. Oder mich getraute.
»Ich bewundere Sie so sehr. Dozentin Gran, Sie können sich nicht vorstellen, was es für mich bedeutet, hier unter meinen schrulligen Verwandten einer akademischen Person zu begegnen ...«
»Ich bin auch sehr froh, Sie hier getroffen zu haben, Herr Kandidat.«
Ich entzog ihm meine Hand und machte mich auf den Rückweg. Er folgte mir, genau wie ich erwartet hatte. Mein Kopf wurde wieder klarer. Hier war der Eichenhain zu Ende, dort die Brücke, noch ein Stück auf dem Pfad, jetzt müßte die Böschung bald kommen ...
Sie war plötzlicher da, als ich erwartet hatte, und ich stolperte über einen Grashöcker. Elegant brachte dieser die Last zu Fall, die Elisabet Gran genannt wurde, und sandte mich direkt in die Arme des Kandidaten. Er half mir auf die Beine und ließ mich respektvoll wieder los. Ich holte tief Luft. Der Fuß schmerzte.
»Ist alles gut gegangen?«
»Danke, ausgezeichnet.«
Den Rest des Weges lotste er mich an seinem Arm, und ich verzichtete auf Proteste. Mir sind Hunderte von Kandidaten begegnet, einer fescher als der andere. Keiner von ihnen war eine Verlockung, mich zu vergehen. Warum dann dieser? Wegen seines schönen Gesichts? Wegen des Spaziergangs und der Harmonie der Sphären im letzten Winter?
Vor den Salontüren sagte er gute Nacht, gab mir sehr höflich die Hand und sah mich mit schwarzen Augen an. Ich kehrte ihm den Rücken, lief durch den dunklen Salon und die Treppe zu meinem Zimmer hinauf. Wenigstens erinnerte er nicht an eine Melone wie sein Onkel.
Man kann viel über Gefühle spekulieren, und während man es tut, hält man sich für unendlich philosophisch. Wie eine Primadonna der schlechteren Art, eine Hand an der Stirn, wobei Ach’s und Oh’s ohne Ende dem Mund entströmen. Jedenfalls setzte ich mich stracks aufs Bett und spürte etwas wie Genuß nach der Begegnung. Auch im Sehnen liegt Befriedigung. Hätte ich es gewollt – nun ja, oder gewagt –, Gabriel Månson Avancen zu machen, hätte ich ihn dann erschreckt? Was Mädchen anging, hatten es Studenten nicht eben leicht, und schließlich hatte er selbst erklärt, er könne sich die Siebenundvierziger nicht leisten. Studentinnen gab es bisher nur wenige, und viele versteckten sich hinter der Maske der Geschlechtslosigkeit, um nicht leichtfertig zu erscheinen und ihren Ruf als Intellektuelle zu ruinieren. Einige hatten feste Liebhaber oder Freunde, und oft legte die Studentenzeit den Grund für recht unglückliche Akademikerehen, in denen beide verbitterten, da sie den Aufgaben, die ihr Talent erforderte, nicht nachgehen konnten. Ich selbst hatte das erste Stadium einer solchen Verbindung durchlaufen, doch Helge wollte lieber eine Frau als einen Bücherwurm und fand eine Perle an meiner Stelle.
Die Perlen, Mädchen der Hauswirtschaftsschule, waren Freiwild für die Studenten und genossen den Ruf personifizierter weiblicher Schönheit. Ich weiß noch aus meiner Studienzeit, wie Choice eines Tages in den Verein für Studentinnen stürzte und freudestrahlend rief: »Man hat mich für eine Perle gehalten! Man hat mich für eine Perle gehalten!« Einen Haken hatte die Sache jedoch für einen abenteuerlustigen jungen Mann: Einen Gatten finden wollten die Mädchen sehr gern, doch weniger gern Frikadellen auf Primuskochern braten und die Chaiselongue des Studentenzimmers zerwühlen. Kandidat Månson war als Ehekandidat zudem gewiß zu jung. Was blieb ihm noch? Poussieren mit Dienstmädchen und Ladenfräuleins und danach immer verrufeneren Mädchen. Eine zudringliche Dozentin würde ihn vermutlich erschrecken, ihm schlimmstenfalls sogar lästig fallen.
Ich ging an den Tisch, um die Petroleumlampe anzuzünden. Die Augen hatten sich an das Dunkel gewöhnt, und ich konnte das Fenster erkennen, die Sommernacht in den sechs helleren Vierecken.