kommen.
„Schliesslich habe ich ja ebensoviel Schuld.“
„Weshalb du?“
„Weil ich wohl empfand, wie der arme Deibel mit seinen Jammeraugen immer zu mir hinüberschielte, gleich als hoffte er, ich würde ihm zu Hilfe kommen, mich seiner Sache irgendwie annehmen.“
„Unsinn!“ erwidert Friedrich Vandekamp. Und dann ganz langsam und zögernd, als brächte er die Worte schwer über die Lippen:
„Wenn hier von einer Schuld die Rede sein kann, dann trage ich sie ... ich ganz allein. Und ich bin willens, sie auf mich zu nehmen. Aber ich denke, wir lassen die Sache jetzt ruhen.“
„Da bin ich anderer Meinung. Ich glaube, wir müssen etwas für ihn tun. Dass er in Konkurs gerät, kannst du auf keinen Fall zulassen. Da wir mit ihm in geschäftlicher Verbindung stehen, wäre es unser eigener Schade.“
„Er wird nicht in Konkurs geraten.“
Timm atmet auf.
„Hast du ihn gehalten?“
„Ich wollte es. Aber es war nicht mehr nötig. Er hat das Geld von anderer Seite erhalten.“
„Von wem?“ fragt Timm nebenhin.
„Von seiner Tochter.“
Timm lässt den Stift, mit dem er einige Zahlen hingekritzelt, auf die Platte des Schreibtisches sinken.
„Was sagst du? Von seiner Tochter? Das ist ja gar nicht möglich!“
„Ja, das könnt ihr nicht fassen. Doch warum sollte nicht einmal ein Kind seinem Vater beistehen? Besonders wenn er in Not geraten ist.“
„Aber sie ist eine Lehrerin auf dem Lande, die sicher auch nichts hat.“
„Eine Lehrerin? Woher weisst du das?“
Timm erzählt sonst nichts so gern als seine sportlichen Erlebnisse und Abenteuer. Von seiner gestrigen Fahrt wird er nie sprechen. Das weiss er. Am wenigsten dem Vater gegenüber.
„Du kennst sie?“
Timm fühlt den forschenden Blick zu sich hinübergleiten.
„Flüchtig“, weicht er aus. „Deshalb setzte mich deine Mitteilung in einige Verwunderung.“
„Die Brackmanns gehörten einmal zu den reichsten und angesehensten Kaufmannsfamilien Danzigs“, fährt Friedrich Vandekamp fort, sichtbar bestrebt, dem Gespräch eine mehr sachliche Wendung zu geben. „Es war noch vor deiner Zeit. Die Frau war eine geborene Henkels. Sie brachte ihrem Manne ein bedeutendes Vermögen in die Ehe, das er wohl irgendwie sichergestellt haben muss. Wenigstens einen Teil von ihm, der dann auf die Tochter überging.“
„Und mit diesem Erbteil — —“
„Hat sie den Vater gerettet.“
„Alle Achtung!“ sagt Timm, erhebt sich, tritt an das Fenster, bleibt eine Weile dort stehen, kehrt dann an den Schreibtisch zurück.
Schweigend sitzen sich Sohn und Vater gegenüber, ein jeder in seine Arbeit vertieft.
Von draussen dringt die helle Sonne des letzten Maitages in das Zimmer.
Als Friedrich Vandekamp um die gewohnte Mittagsstunde nach Hause zurückkehrt, findet er in einer Dielennische Ina mit Pfarrer Wendland in einem Gespräch, dessen lebhafter Eifer ihm zeigt, dass ihre Meinungen wieder einmal aufeinandergestossen.
Er hat das schon des öfteren beobachtet. Er weiss, dass der junge Geistliche mit Ina gern über Dinge spricht, die ihn beschäftigen oder bewegen, dass er vielleicht den stillen Wunsch hegt, ihre Teilnahme für die Angelegenheiten seiner Gemeinde zu erwecken, sie womöglich zu einer Art von Mitarbeit zu erziehen, weiss aber auch, dass seine zurückhaltende Tochter schwer zu gewinnen ist und dass auch Jürgen Wendland nicht viel bei ihr erreichen wird.
Oder irrt er?
Welcher Vater dringt in das Innere seines Kindes?
Von einem Fleisch und Blut, in der Gemeinschaft und Gewohnheit des Lebens täglich aufeinander angewiesen, bleiben sie sich im Grunde ihres Seins vollkommen fremd, und es bedarf schon besonderer Ereignisse oder aufrüttelnden Geschehens, dass einer von dem anderen Kunde empfängt.
Und vollends bei einem Mädchen, das von ihren Kinderjahren an allen Werbungsversuchen ein nie unfreundliches, aber streng in sich verschlossenes Wesen entgegensetzte.
Dabei kennt er das im Grunde lebhafte Temperament seiner Tochter, weiss auch, dass sie einer tieferen, ja, einer leidenschaftlichen Empfindung ganz und gar fähig wäre. Aber beides lebt in ihr, ohne sich je nach aussen zu betätigen oder in irgendeiner Form sich zu offenbaren. Oft ist es ihm, als habe sie geradezu Furcht, dass man in ihr Inneres eindringen, das, was sie denkt oder fühlt, irgendwie enträtseln oder gar blosslegen könnte.
Aber gerade ihm ist diese knospenhafte Zuschliessung an seinem Mädchen nie unangenehm, ja, sie ist ihm lieb gewesen. Vielleicht weil sie einen Teil von ihm selber, ein Erbe seiner eigenen Veranlagung ist, für das er eine gewisse Verantwortung trägt. Und er weiss, dass auch in ihr, so streng sie es verschliesst, ein Etwas ist, das ihm zustrebt.
„Da ist der Vater!“ hört er sie bei seinem Eintritt sagen. „Wir wollen ihn fragen. Aber er wird Ihnen nicht anders antworten, als ich es tat.“
„Worum handelt es sich?“ fragt Friedrich Vandekamp, indem er sich zu den beiden setzt.
„Um die Grossmutter“, schneidet Ina dem Geistlichen das Wort ab. „Denke: sie hat es sich in den Kopf gesetzt, die Mutter auf ihrer Krankenstube zu besuchen.“
„Frau Wallburg-Werra“, sagt dieser in seiner ruhigen Bestimmtheit, „hat das Verlangen, ihre Tochter, deren neulicher Anfall ihr schwere Sorge bereitet, nach langer Zeit wiederzusehen. Das hat sie mich wissen lassen und mich um meine Vermittelung gebeten. Sie hat den aufrichtigen Wunsch, den Zwist und Hader, die zu ihrem Schmerz nun bereits seit Jahren zwischen ihr und ihrer Tochter bestehen, endlich beigelegt zu sehen. Sie leidet unter dieser Entfremdung und will die versöhnende Hand reichen, auch tun, was in ihren Kräften steht, dass wieder Friede und Eintracht herrschen.“
Er sieht das halb mitleidige, halb ironische Lächeln, das um Inas Lippen schwebt.
„Sie sind ein Idealist, Herr Pfarrer“, sagt Ina, „der grösste vielleicht, der mir in meinem Leben begegnet ist. Ich weiss nicht, ob ich Sie bewundern oder beneiden soll.“
„Ich bin ein Mann, der seine ihm übertragene Sendung darin sieht, den Mühseligen und Beladenen beizustehen.“
Ein tiefes Durchdrungensein von seiner Aufgabe spricht aus den wenigen Worten.
„Und Sie meinen wirklich, dass eine so eingewurzelte Abneigung, eine durch lange Zeit hindurchgeschleppte, nie verstummende Feindschaft zwischen zwei Menschen durch eine einzige Begegnung, eine Auseinandersetzung, die selten klärt, meist aber zu schweren Missverständnissen führt, aus der Welt geschafft werden kann?“
„Sie sind Mutter und Tochter.“
„Das verschärft den Gegensatz.“
„Die Bande des Blutes lassen sich nicht lösen.“
„Aber wenn sie gelöst sind, kommen sie schwer wieder zusammen.“
„Auch Ihre Mutter ist eine kranke Frau —“
„Ein so tief eingefressener Zwiespalt macht selbst vor dem Tode nicht halt.“
„Ich aber glaube an die Macht des Guten. Denn ich liebe die Menschen.“
„Ja, Sie lieben die Menschen. Da haben Sie recht gesagt“, erwidert Ina, und ein wärmerer Ton ist in ihren Worten. „Aber Sie kennen sie nicht.“
„Wir werden uns hierin nicht verstehen, wie wir uns so manches Mal nicht verstanden haben“, bricht Pfarrer Wendland mit jener fast schroffen Härte das Gespräch ab, die ihm zu eigen ist, wenn das, was ihm Überzeugung und Glaube ist,