flüsterte der Wirt schließlich zu sich selbst, wobei er auf das wurmstrichige Holz der Theke starrte, als hätte er dort ein lästiges Insekt erblickt. Ein unmerkliches Zittern hatte sich des massigen Leibes des Mannes bemächtigt.
»Man sollte diesen Ort besser vergessen.«
»Was ist damit?«, setzte Mike nach und griff das Glas, um seine aufsteigende Nervosität zu verbergen. Das Gefühl, sich in einer fremden, kaum vorstellbaren Welt zu befinden, überkam ihn stärker als je zuvor, seit er diesen merkwürdigen Ort betreten hatte.
Der Wirt schüttelte den Kopf und starrte gedankenverloren auf einen Punkt der Theke. Es mochte an der diffusen Beleuchtung der Taverne liegen, doch glaubte Mike zu erkennen, wie das feiste Gesicht des Mannes jeglicher Farbe beraubt wurde.
Der lächerliche Hut warf tiefe Schatten bis zur schiefen, von roten Äderchen verunstalteten Nase.
»Ich hätte nie gedacht, dass Ward den Baumkreis gefunden hat.« Er hob seinen Blick und betrachtete Mike mit einem gehetzten und furchtsamen Ausdruck in den Augen. »Er hat diesen schrecklichen Ort tatsächlich in seinem Tagebuch erwähnt?«
Mike nickte, beschloss jedoch, seinem Gegenüber nichts davon zu offenbaren, auf welche Art und Weise Charles Ward von diesem Ort erfahren hatte.
»Sie sollten das, was Sie gelesen haben, ganz schnell wieder vergessen, Mister«, fuhr der Mann schließlich mit flüsternder Stimme fort, als befürchtete er, jemand könnte ungewollt dieser unheiligen Unterhaltung beiwohnen. »Der Ort ist nicht gut.«
Mike deutete mit einem Nicken auf sein Glas, und der Wirt füllte es augenblicklich nach, wobei die Hand, welche die Flasche hielt, merklich zitterte. Er verschüttete einige Tropfen Whiskey auf der Theke, doch schien er dies nicht zu bemerken.
»Was wissen Sie darüber«, fragte Mike und legte einige Geldscheine auf die Holzplatte. In der heutigen Zeit, so dachte er sich, immer noch die beste Art, jemanden zum Reden zu bewegen, der sich dagegen zu wehren versucht.
Der Schankwirt betrachtete das Geld, ohne es anzufassen. Dann bohrte sich sein Blick in Mikes Augen, dass dieser das unbehagliche Gefühl bekam, der Mann versuchte geradewegs den Grund seiner verzweifelten Seele zu erforschen.
»Der Steinerne Baumkreis liegt auf einem hoch gelegenen Felsplateau in den Bergen«, begann er schließlich mit heiserer Stimme zu erzählen. Dabei schob er mit einer unbedachten Bewegung die Geldscheine zu Mike zurück. Dieser beachtete das Geld ebenso wenig wie es der Schankwirt zuvor getan hatte.
»Ich war noch nie dort oben gewesen. Niemand aus dem Ort war das.«
Er griff nach einem Glas und schenkte sich nun seinerseits einen Whiskey ein. Mike konnte die innere Zerrissenheit des Mannes förmlich mit Händen greifen.
»Man erzählt sich, dieser unheilige Ort sei älter als alles Lebendige auf diesem Planeten. Manche der Legenden im Ort erwähnen Hexen, die sich in dunklen Gewitternächten im Kreis uralter, versteinerter Bäume treffen, um über ihre abscheulichen Taten in der Menschenwelt zu palavern und zu lachen. Andere wiederum erzählen sich, dass der Teufel selbst in den steinernen Eingeweiden des Kreises seine Heimstatt besitzt.«
Er schüttelte den Kopf, als versuchte er dadurch das Gesagte zu widerlegen, und leerte sein Glas mit einem kräftigen Schluck. Ein bitteres Stöhnen brach zwischen seinen Lippen hervor. Der Geruch von Whiskey, Speck und Knoblauch wehte Mike entgegen.
»Ich weiß nicht, welchen Geschichten man Glauben schenken darf. Mit Sicherheit sind all diese Legenden nichts weiter als Ausgeburten purer Ammenmärchen, mit denen man in früheren Jahren die Kinder zu erschrecken versuchte.«
Ein nervöses Lachen entrann der Kehle des Mannes. Seine Augen jedoch blickten nach wie vor voller Furcht und Kleinmut, was den Sinn seiner eigenen Beschwichtigungsversuche widerlegte.
»Man erzählt sich, dass in den alten Zeiten, als die ersten Menschen in dieses Tal kamen und ihre Hütten errichteten, einige hinauf zum Baumkreis gestiegen seien, um die Götter anzurufen und um deren Beistand zu beten. Sie baten um Schutz und gute Ernten, denn die Erde war zu dieser Zeit hart und unwirtlich gewesen. Scheinbar hielten diese einfältigen Menschen den Baumkreis für einen heiligen Ort. Aber nur wenige von ihnen waren aus den Bergen zurückgekehrt. Und diejenigen, die den beschwerlichen Weg zurück in die Siedlung gefunden hatten, waren dem Wahnsinn verfallen und weggesperrt worden, glaubt man den alten Überlieferungen.«
Wieder schüttelte der Mann energisch den Kopf und starrte auf sein leeres Glas. Sein Atem ging schwer, und Mike sah ihm an, dass er sich nach einem weiteren Schluck Whiskey sehnte.
»Doch dies ist alles lange her. Aufgrund dieser Begebenheit taufte man die erste Siedlung auf den Namen Hill´s Grave. Niemand hatte sich fortan mehr dem verfluchten Ort in den Bergen genähert. Man lernte die Berge zu meiden und begann, finstere Geschichten um die Felsen und jenes, was sie beherbergten, zu spinnen.« Wieder schüttelte der Schankwirt den Kopf, als fiele es ihm schwer, seinen eigenen Worten zu glauben. »Wissen Sie, Mister …« Er beugte sich nach vorn und bannte Mike mit seinem Blick. »Auch wenn dies alles nur Legenden und Märchen von bescheiden denkenden und abergläubischen Bauern sind, so glaubt man an Orten wie Arc´s Hill dennoch an diese Geschichten. Und man befolgt ihre Botschaft, sich von der Brutstätte des Teufels fernzuhalten.«
Es gelang Mike nur schwerlich, sich von den Augen des Mannes abzuwenden.
»Was ist mit Ihnen«, fragte er mit brüchiger Stimme und leerte nun seinerseits sein Glas.
Der Wirt setzte ein verbittertes, fast resignierend zu nennendes Lächeln auf.
Sein Anblick ließ Mike frösteln. »Ich war nie dort oben, falls Sie das meinen«, antwortete er nach einer ganzen Weile. »Aber ich habe Ward in jener Nacht gesehen. Und das, was er getan hat. Ich glaube, dass dieser Ort in den Bergen, der Steinerne Baumkreis, ein gotteslästerlicher Ort ist, der den Mann verdorben und ihn zu seinen abscheulichen Taten verführt hat.« Sein Blick wurde finster. Sein teigiges Gesicht näherte sich dem seines Gastes. Plötzlich schien sich eine tiefe, lauernde Stille über das Haus gesenkt zu haben, die sie beide belauschte.
»Wenn Sie mich fragen, ich glaube, dass dort oben der Teufel tanzt.«
Als Mike das ›Knights Head‹ weit nach Mitternacht verließ, drehte er sich an der Türe noch einmal zu dem Schankwirt der Taverne um. Dieser wirkte im Schein der altertümlichen Lampen über der Theke seltsam bleich und von einer tiefen Furcht berührt.
»Gibt es im Ort ein kleines Mädchen namens Emma?«
Die Gestalt des Wirtes straffte sich augenblicklich. Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf und starrte Mike mit großen Augen an. Seine Lippen formten Worte, doch es dauerte eine Weile, bis er diese aussprechen konnte. Dabei klang seine Stimme leise und schien aus weiter Entfernung zu kommen.
»Es gibt nur sehr wenige Kinder in Arc´s Hill. Aber keines davon heißt Emma.«
Der Mann blickte sich um, als lauschte er auf ein plötzliches Geräusch. Dann flüsterte er, während er sich im matten Schein der Lampen zu ducken schien: »Charles Wards Töchter hingegen hießen Carla … und Emma.«
In dieser Nacht saß Mike noch lange in seiner Schlafkammer, die er sich im oberen Bereich des Hauses eingerichtet hatte, in einem alten, ledernen Lehnsessel und blickte auf das starre Gemälde der Nacht hinaus.
Dort, wo die Sonne schon vor langem hinter düsteren Wolken untergegangen war, glühte der Himmel noch immer in einer dünnen Linie aus verwaschenem Rot über den Felsen. Fast erschien es Mike, als würden die Berge selbst von einer pulsierenden Glut tief in ihrem steinernen Schoß in diesen widernatürlichen Schein getaucht. Die Kämme des Gebirges glichen den grotesken Schatten versteinerter Ungeheuer, die sich allmählich aus der Glut einer lodernden Hölle herausschälten.
Nichts bewegte sich. Kein Wind zerstörte die erstarrte Nacht. Eine bleierne Stille hatte sich über den Ort und das alte Haus gesenkt und verbarg den vergessenen Landstrich in einem schweigenden