Wie ich das sagte, kam mir ein guter Gedanke. Am Ende gelang es doch, mich und Jim von den Gaunern loszumachen und sie hier ins Gefängnis zu bringen. Doch da ich das Floß nicht bei Tage treiben lassen wollte, so durfte mein Plan nicht vor Abend in Ausführung kommen. Ich sagte:
»Fräulein Mary Jane, ich will Ihnen sagen, was wir thun – dann werden Sie auch bei Lothrops nicht so lange zu bleiben brauchen. Wie weit ist's?«
»Nicht ganz vier Meilen – landeinwärts.«
»Das genügt. Gehen Sie jetzt hin, bleiben Sie ruhig dort bis neun oder halb zehn Uhr abends, und dann lassen Sie sich wieder heimbringen – Sie können ja sagen, Sie hätten was vergessen. Wenn Sie vor elf hier sind, stellen Sie ein Licht in dies Fenster und wenn ich nicht da bin, warten Sie bis elf Uhr; sollte ich bis dahin nicht erscheinen, so denken Sie, daß ich fort bin und in Sicherheit. Dann kommen Sie heraus, enthüllen alles und lassen die Gauner ins Gefängnis stecken.«
»Gut,« sprach sie, »das will ich thun.«
»Und sollte es sich ereignen, daß ich nicht fortkomme, sondern mit den beiden ergriffen werde, dann müssen Sie den Leuten sagen, daß Sie alles durch mich erfahren haben, und müssen mir beistehen, so viel Sie können.«
»Dir beistehen? gewiß will ich das. Sie sollen kein Haar auf deinem Haupte krümmen.«
»Wenn ich entwische, so kann ich freilich nicht beweisen, daß diese Schurken nicht Ihre Onkel sind; doch könnt' ich das auch nicht, selbst wenn ich hier wäre. Ich könnte nur beschwören, daß sie Landstreicher und Gauner sind, doch wär' das auch schon von Bedeutung. Aber es giebt noch andere, die das besser können als ich, und denen man leichter Glauben schenken wird, als mir. Ich will Ihnen sagen, wo sie zu finden sind. Geben Sie mir einen Bleistift und ein Stück Papier. So – ›Königliches non plus ultra zu Bricksville‹. Stecken Sie das ein und verlieren Sie's nicht. Wenn das Gericht sich Auskunft verschaffen will über die zwei, so soll man nur nach Bricksville schicken und sagen lassen, sie hätten die Leute, die das ›Königliche non plus ultra‹ gespielt haben, und suchten nach Zeugen. Dann wird das ganze Städtchen im Nu hier sein, Fräulein Mary – alle werden kommen – und siedend heiß dazu!«
Ich dachte, es wäre nun alles wohlgeordnet und sagte noch:
»Lassen Sie die Versteigerung ruhig vor sich gehen. Niemand hat für die gekauften Sachen zu bezahlen bis am nächsten Tage; und die beiden werden nicht von hier fortgehen wollen, bis sie das Geld haben. So wie wir's jetzt eingefädelt haben, wird der Verkauf ungültig sein, und die beiden werden das Geld nicht bekommen. Es geht ebenso wie mit den Negern – es ist kein gültiger Verkauf, und die Neger werden bald wieder heimkehren. Die Gauner können nicht einmal das Geld für die Neger erhalten. Warten Sie nur, das Pärchen soll seine Wunder erleben!«
»Ich will nur noch zum Frühstück hinunter,« rief sie, »und dann gehe ich gleich zu Lothrops.«
»Nein, nein, Fräulein Mary Jane,« entgegnete ich, »das geht nicht – geht unmöglich; Sie müssen vor dem Frühstück gehen. Stellen Sie sich vor, Sie könnten ihren Onkeln begegnen! Sie können jeden Augenblick erscheinen, um Ihnen guten Morgen zu wünschen und Sie zu küssen –«
»Genug, genug davon! Da will ich lieber vor dem Frühstück gehen. Sollen die Schwestern hier bleiben?«
»Ja, härmen Sie sich nicht um die. Die müssen's noch etwas aushalten. Es würde Verdacht erregen, wenn sie alle gingen. Sie dürfen jetzt weder den Gaunern, noch den Schwestern, noch irgend jemand in der Stadt zu Gesicht kommen. Wenn ein Nachbar Sie heute früh nach dem Befinden Ihrer Onkel fragte, würde Ihr Gesicht Sie verraten. Nein, gehn Sie nur gleich fort, Fräulein Mary Jane, und lassen Sie mich alles besorgen. Ich werde Fräulein Susan auftragen, daß Sie den Onkeln einen freundlichen Gruß senden; Sie seien auf einige Stunden fortgegangen, um eine Freundin zu besuchen und würden am Abend oder früh morgens heimkehren.«
Fräulein Mary Jane stutzte einen Augenblick, dann bemerkte sie ein wenig spitz: »Sage meinetwegen, ich sei zum Besuch meiner Freundinnen gegangen, aber einen Gruß darfst du dem sauberen Paare von mir nicht ausrichten.«
»Gut, also keinen Gruß.« – Warum sollt' ich ihr gegenüber darauf bestehen?! »Aber noch eins, Fräulein, – der Geldsack!«
»Nun, den haben die leider; und ich schäme mich ganz, wenn ich daran denke, wie sie ihn bekamen.«
»Nein, da irren Sie sich. Die haben ihn nicht.«
»Die nicht? – wer sonst?«
»Ich wollte, ich wüßt' es; doch weiß ich es nicht. Ich hatte ihn, denn ich stahl ihn von den Kerls; stahl ihn für Sie: weiß auch, wo ich ihn versteckte, fürchte aber, er ist nicht mehr da. Es thut mir sehr leid, Fräulein Mary Jane, nie hat mir etwas mehr leid gethan; aber ich that alles, was ich thun konnte; so wahr ich lebe, ich meinte es ehrlich. Ich wurde beinah' erwischt und ich mußte ihn am ersten besten Platz verstecken und mich aus dem Staube machen – und es war kein guter Platz.«
»O, hör' doch auf, dich anzuklagen – es ist nicht recht von dir, und ich leid' es nicht; du hast nicht anders können – es war nicht deine Schuld. Wo hast du ihn versteckt?«
Ich wollte sie nicht wieder an ihren großen Kummer erinnern, so schwieg ich eine Minute und sagte dann:
»Ich sag' es Ihnen jetzt lieber nicht, wo ich ihn hinthat, Fräulein Mary Jane, wenn Sie's mir nicht übelnehmen; doch will ich es Ihnen auf ein Stück Papier schreiben, und Sie können es auf dem Wege zu Lothrops lesen, wenn Sie wollen. Sind Sie damit zufrieden?«
»O ja.«
So schrieb ich denn: »Ich verbarg ihn im Sarg. Er steckte drin, als Sie dort weinten – damals in der Nacht. Ich stand hinter der Thür und hatte viel Mitleid mit Ihnen, Fräulein Mary Jane.«
Mir wurden die Augen feucht, bei dem Gedanken, wie sie dort einsam in der Nacht weinte, während diese Teufel, unter ihrem eigenen Dach beherbergt, sie betrogen und beraubten; und als ich das Papier zusammenfaltete und ihr gab, sah ich auch in ihren Augen Thränen; und sie schüttelte mir kräftig die Hand und sagte: »Leb' wohl. Ich will alles thun, wie du mir's gesagt hast; und sollte ich dich auch nie wiedersehen, werde ich dich doch nie vergessen; und ich werde oft, sehr oft an dich denken und auch für dich beten!« – und sie war fort.
Für mich beten! dacht' ich bei mir, – na, wenn die dich kennte, würde sie eine Arbeit wählen, die ihrer Kraft angemessener und Erfolg versprechender wäre. Einerlei, ich wette, sie hat's doch gethan – brav genug war sie. Darüber war kein Zweifel, sie besaß mehr Festigkeit als ich je bei einem Mädchen gesehen habe, und mehr wirklichen Charakter. Das mag wie Schmeichelei klingen, ist aber keine. Und was Schönheit anbetrifft, und auch Güte – ach, da übertraf sie alle. Seit dem Augenblicke, da sie aus der Thür ging, hab' ich sie nie wiedergesehen; nein – nie; aber an sie gedacht hab' ich viele, viele millionenmale und an ihre Worte, daß sie für mich beten würde; und wenn ich je gedacht hätte, daß es ihr wohl thun könnte, wenn ich für sie betete, so will ich verdammt sein, wenn ich's nicht wenigstens versucht hätte.
Also Mary Jane war fort, und niemand hatte sie fortgehen sehen. Als ich der Susan und der ›Hasenlippe‹ begegnete, sagte ich:
»Wie heißen die Leute jenseits des Flusses, die Sie zuweilen besuchen?«
Sie antworteten:
»Da sind mehrere, aber besonders die proktors.«
»Das ist der Name,« rief ich, »bald hätt' ich's vergessen: Fräulein Mary Jane befahl mir, Ihnen zu sagen, daß sie in großer Eile dahinüber mußte – jemand ist dort krank.«
»Wer denn?«
»Ich weiß nicht; hab's wenigstens vergessen; aber ich glaube, es war –«
»Um Gottes willen, ich hoffe doch nicht Hannah?«