lassen, können wir ja vergl –«
»Er kann nicht mit der linken Hand schreiben,« entgegnete der alte Herr. »Könnte er die rechte Hand gebrauchen, so würden Sie gleich sehen, daß er seine eigenen und meine Briefe geschrieben hat. Vergleichen Sie die gefälligst, sie sind von derselben Hand.«
Der Anwalt that es und sagte:
»Das scheint so – jedenfalls erkenne ich jetzt eine viel größere Ähnlichkeit als vorher. Ei, ei! ich hatte schon gedacht, auf der rechten Spur zu sein; nun ist's wieder nichts. Soviel ist jedoch sicher bewiesen, daß diese zwei« – auf König und Herzog deutend – »keine Wilkse sind.«
Und selbst jetzt gab der bocksbeinige alte Narr nicht klein bei. Wahrhaftig nicht. Sagte, es sei kein reeller Beweis. Sein Bruder William sei ein arger Spaßmacher und hätte eben einen seiner Späße losgelassen und seine Handschrift verstellt. Er hätt' es ihm gleich angesehen. So plapperte der Kerl fort, bis er anfing selbst an das zu glauben, was er sagte – doch bald unterbrach ihn der andere alte Herr mit den Worten:
»Mir ist 'was eingefallen. Ist irgend jemand unter den Anwesenden, der beim Auslegen der Leiche meines Bru – des verstorbenen Peter Wilks zugegen war?«
»Ja,« rief jemand »ich und Abel Turner besorgten das. Wir sind beide hier.«
Dann wandte sich der alte Herr zum König und sagte: »Vielleicht weiß der Herr dann, was auf seiner Brust tättowiert war?«
Da mußte der König sich rasch zusammennehmen, sonst wäre er zusammengestürzt wie ein Stück Flußufer, das die Strömung untergraben hat; es kam so plötzlich und war so recht eine Frage, um einen ganz aus der Fassung zu bringen – so ganz unvorbereitet. Wie konnte er wissen, was auf der Leiche tättowiert war?! Er erblaßte ein wenig, das konnte er nicht vermeiden. Es wurde sehr still, und alle beugten sich vor und starrten ihn an. Nun, dachte ich, würde er den ungleichen Kampf aufgeben – was konnte er auch noch sagen? Aber, nein; so unglaublich es scheint – er blieb fest. Wahrscheinlich wollte er versuchen, die Leute müde zu machen, bis sich die Menge verkleinerte und er und der Herzog vielleicht Gelegenheit fänden, zu entschlüpfen. Er verzog seinen Mund zum Lächeln und sagte:
»Hm! Eine große Frage, nicht wahr? Ja, mein Herr, allerdings weiß ich, was auf seiner Brust tättowiert ist. Es ist ein kleiner, dünner, blauer Pfeil, den man kaum bemerkt, wenn man nicht scharf hinsieht.«
Solch ein Ausbund von grenzenloser Frechheit war mir doch noch nie vorgekommen.
Der neue alte Herr wandte sich rasch zu Abel Turner und dessen Kameraden und seine Augen glänzten so, als ob er den König jetzt fest hätte; er sagte: »Da haben Sie es gehört! War solch ein Zeichen auf Peter Wilks Brust?«
»Wir haben kein solches Zeichen bemerkt.«
»Gut!« sagte der alte Herr. »Was ihr auf seiner Brust fandet, war vielmehr ein kleines mattes P und ein B (der Anfangsbuchstaben eines Namens, den er schon jung aufgab) und ein W, mit Strichen dazwischen, so: ›P-B-W‹« – er zeichnete sie auf ein Stück Papier. »Haben Sie davon nichts bemerkt?«
Beide antworteten:
»Nein, wir sahen überhaupt gar keine Zeichen.«
Nun ging der Skandal los, und alles rief:
»Die ganze Sippe sind Betrüger« – »Spießruten laufen« – »In den Fluß tauchen« – »Ersäuft die Bande.« – Da sprang der Anwalt auf den Tisch und schrie:
»Meine Herren – meine Her–r–ren! Ein Wort, nur ein Wort – ich bitte. Lassen Sie uns den Sarg ausgraben und selbst nachsehen.«
Das wirkte.
»Hurrah!« rief das Volk, das nun auseinander ging; aber Arzt und Anwalt riefen:
»Halt, halt, ergreift erst die vier Männer und den Jungen und schleppt sie mit.«
»Jawohl, jawohl,« riefen alle, »und finden wir die Zeichen nicht, so hängen wir die ganze Sippschaft.«
Jetzt wurde mir bange, doch was half's? Sie griffen uns und marschierten mit uns direkt zum Kirchhof, der anderthalb Meilen stromab lag. Die ganze Stadt hinter uns her unter furchtbarem Lärmen – und es war erst neun Uhr abends.
Als wir an unserem Hause vorbeigingen, wünschte ich, ich hätte Mary Jane nicht fortgeschickt. Hätte ich ihr jetzt zuwinken können, so wäre sie gewiß erschienen, um mich zu retten und die Schurken zu überführen.
Wir stürmten den Flußweg hinab wie Wildkatzen, und um es noch schlimmer zu machen, stieg ein Gewitter auf, Blitze zuckten und der Wind durchrauschte die Blätter. Dies war die größte Gefahr, in der ich je gewesen, und ich war ganz niedergedonnert; alles war anders gegangen, als ich erwartete: anstatt daß ich's leiten konnte, wie ich vorhatte, mit der Aussicht, meinen Spaß daran zu haben und zur rechten Zeit mich von Mary Jane retten zu lassen, wenn der Spaß zu weit ging, bewahrte mich jetzt nichts in der Welt vor einem schmachvollen Tode als nur diese Tättowierungen. Wenn sie die nicht finden! ...
Es war ein unerträglicher Gedanke, und doch durfte ich an nichts anderes denken. Es wurde dunkler und dunkler, und es wäre herrlich zum Entwischen gewesen; aber der ungeschlachte Kerl, der Heinz, hielt mich am Handgelenk fest, und ich hätte eher vom Riesen Goliath mich losmachen können als von ihm. Er riß mich mit sich fort, und ich mußte immer laufen, um nicht zu stürzen.
Als sie hinkamen, überfluteten sie den Kirchhof wie eine Überschwemmung. Am Grab angelangt, stellte sich heraus, daß sie hundertmal so viele Schaufeln mitgebracht hatten, als sie brauchten, aber niemand hatte an eine Laterne gedacht. Doch gruben sie drauf los beim unstäten Leuchten des Blitzes und schickten einen Mann zum nächsten Hause (eine halbe Meile entfernt) nach einer Laterne.
So gruben sie denn unaufhaltsam; es wurde schrecklich finster und regnete, und der Wind sauste dahin, und die Blitze zuckten rascher, und der Donner rollte. Die Leute kümmerten sich nicht drum, sie waren so gespannt. Einen Augenblick konnte man alles, jedes Gesicht der großen Menge sehen, und die Erde, wie sie schaufelweise aus dem Grabe emporzuspringen schien; dann im nächsten Augenblick löschte die Finsternis alles wieder aus, und es war rein nichts zu sehen.
Endlich holten sie den Sarg heraus und schraubten den Deckel los. Das war ein Drücken, Quetschen, Stoßen, Halsrecken – jeder wollte sehen; so im Dunkeln war das ganz schrecklich. Heinz drängte sich auch vor und zog mich so heftig mit, daß ich beinahe geschrieen hätte. Aber ich möchte wetten, daß er währenddem gar nicht mehr an mich dachte, so aufgeregt war er.
Plötzlich kam eine wahre Sündflut von Blitzen und jemand rief:
»Alle Teufel, da liegt der Sack Gold auf seiner Brust!«
Heinz brüllte vor Erstaunen, wie die andern ebenfalls. Er ließ mich los und sprang vorwärts, um auch zu sehen – die Eile aber, wie ich nach der andern Richtung querfeldein sprang, kann sich kaum jemand vorstellen, der's nicht selbst erlebt hat.
Im Städtchen angelangt, sah ich, daß niemand im Freien war, darum flog ich auch geradenwegs durch die Hauptstraße. Als ich unserem Hause nahte, zielte ich mit meinem Auge darauf hin, kein Licht da – alles dunkel – das betrübte mich sehr; ich weiß selbst nicht warum.
Aber zuletzt, gerade als ich vorbeieilte, erglänzte plötzlich ein Licht in Mary Janes Fenster, und mir schwoll das Herz, als wollte es zerspringen; im nächsten Moment war das Haus hinter mir im Dunkel und verschwand mir für immer. Sie war das beste Mädchen, das ich je gesehen hatte.
Sobald ich weit genug vom Städtchen war, um mich sicher zu fühlen, sah ich mich um, wo ein Kahn zu finden sei. Bald zeigte mir der Blitz einen, der nicht angekettet war, und ich war drin und fort. Es war ein Kanoe, das nur mit einem Strick angebunden war. Mein Floß war weit fort in der Mitte des Stromes an der kleinen Insel, und ich verlor keine Zeit. Als ich endlich hinkam, wäre ich fast vor Ermattung hingestürzt. Doch durft ich's noch nicht und that's auch nicht. Ich sprang an Bord und rief:
»Heraus, Jim, und schnell