hätten. Dann hielten wir wieder hier und da an. Die beiden versuchten ihr Glück mit Predigen, Wahrsagen, Mesmerismns, mit allerlei, aber nichts wollte recht glücken. Sie wurden sehr mürrisch und wir konnten ihnen nichts recht machen. Sie steckten viel bei einander und hatten manches zu flüstern, so daß Jim und ich anfingen zu fürchten, daß irgend eine Teufelei ausgebrütet würde. Bald legten wir nicht weit von einem Städtchen an. Der König sagte, er wolle hingehn und sehen, ob Gelegenheit fürs »Non plus ultra« wäre, und wenn er bis Mittag nicht zurück sei, sollten der Herzog und ich nachkommen und Jim, wie gewöhnlich, das Floß hüten. Zu Mittag kam er nicht zurück. Der Herzog und ich gingen zum Städtchen und fanden den König betrunken in einer Kneipe. Er und der Herzog fingen an sich zu streiten; da dachte ich, meine Gelegenheit sei gekommen und rannte nach dem Floß zurück, rief Jim, aber keine Antwort. Ich rief und rief, aber keine Antwort. Da ging ich ein Stück Weges ins Land und begegnete einem Jungen, den ich fragte, ob er einen Neger gesehen, und beschrieb ihm Jim. »Ja, den haben die Leute vor einer halben Stunde nach der Sägemühle des alten Silas Phelps geschleppt,« sagte der Junge. Und nun erfuhr ich auch von ihm, daß ein kahlköpfiger alter Kerl auf eine Belohnung von 200 Dollars hin ihn gefangen und sein Anrecht einem Farmer für 40 Dollars abgetreten habe. Der Anschlagzettel habe den Neger genau beschrieben, alles stimmte und er sei auf dem Floß gefangen worden. So hatten die beiden Schurken Jim für 40 Dollars verschachert!
Mir stand das Herz fast still. Was hätte es aber genutzt, die zwei Kerle aufzusuchen und ihnen ihre Scheußlichkeit vorzuhalten? Die hätten nur neue Schurkereien gegen mich ausgebrütet und Jim wäre dadurch erst recht nicht geholfen gewesen. Armer, armer, alter Jim, wie mochte ihm zu Mute sein! Nein, ich wollte die Kerle gar nicht wiedersehen, da brauchte ich der Vorsehung nicht ins Handwerk zu pfuschen, die würde ihr Schicksal ohne mich ereilen, früher oder später, das wußte ich gewiß. Und darin hab' ich recht gehabt, das will ich nur gleich jetzt erzählen, damit ich gar nicht noch einmal an die Lumpenhunde zu denken brauche. Ein paar Tage später, als ich mit Tom ... ja so, da verplappre ich mich, das gehört ja hier noch gar nicht hin! – Also, kurz und gut: ein paar Tage später brachten Schiffsleute aus einem weiter stromab gelegenen Städtchen die Nachricht, es seien dort ein paar Gauner geteert, gefedert und von einer großen Volksmenge begleitet durch die Straßen gehetzt worden. Die Beschreibung, die man von ihnen machte, paßte genau auf meine hohen Herrschaften von früher. Sie hatten das »Non plus ultra« einmal zu viel aufgeführt. Diesen Lohn hatten sie redlich verdient. Warum hatten sie den armen Jim verraten, der ihnen nie was zu Leide gethan? Später hab' ich nichts mehr von ihnen gehört und gesehen und hoffe sehr, daß es auch nie mehr der Fall sein wird!
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Dreiundzwanzigstes Kapitel
Jim fort! – Alte Erinnerungen. – Phelps Sägemühle. Eine Verwechslung. – In der Klemme.
Jim, mein alter Jim war also richtig fort, elend verkauft und verschachert. Der Junge, der mir die Auskunft gegeben, war längst weiter gegangen und ich stand immer noch da wie verdonnert und konnte keinen rechten Gedanken fassen. So laß ich mich denn unter einem Baum zu Boden fallen und sinn' und sinn' und denk' und denk' und kann doch nichts zusammendenken, als daß mein Jim fort ist und ich nun wirklich ganz allein bin. Mir kamen die Thränen, so einsam und verlassen fühlte ich mich. War ja all meiner Lebtag auf mich selbst angewiesen gewesen, es hatte ja nie jemand nach mir gefragt, außer mein Alter, wenn der Geld brauchte, aber Jim – der hatte mich gebraucht, hatte mich lieb gehabt, wirklich lieb gehabt, dem hatte ich auch was sein können – meinen Jim mußte ich wieder haben! Darüber hinaus kam ich nicht!
Eine Stunde von hier, in jener Richtung mußte Silas Phelps wohnen, so hatte der Junge gesagt. Ich besinn' mich nicht lange und lauf tapfer zu. Auf einmal aber schießt es mir durch den Kopf: was willst du denn eigentlich, wenn du dort bist, wo sie Jim hingebracht haben? Das machte mich stutzig – darüber hatte ich noch gar nicht nachgedacht und so schlich ich mich wieder zur Seite in den Wald, setzte mich unter einen Baum und überlegte.
Was wollte ich eigentlich? Ja, da lag's! Ihm jetzt noch einmal und diesmal wirklich zur Flucht verhelfen? Das erste Mal war er von selbst durchgebrannt und ich hatte ihn unterwegs getroffen. Jetzt aber müßte ich alles aufs Gewissen nehmen und würde die ganze Schuld auf mich fallen. Ich wäre vor Scham unter den Boden gesunken, wenn ich je wieder Tom Sawyer oder einen der andern gesehen hätte. Ach, es waren doch schöne Zeiten dort im alten, lieben Nest! Selbst bei der Witwe ließ sich's ertragen und Miß Watson meinte es doch auch nur gut. Und ich – zum Dank dafür wollte ich ihrem Jim zur Flucht verhelfen! So konnte nur ein ganz räudiges, verlorenes Schaf, wie ich denken. Wie? – wenn ich mich nun hinsetzte und schrieb' einen Brief: »Liebe Miß Watson, Ihr Nigger Jim ist hier in ...« ja so, den Namen wußte ich ja noch nicht, der ließ sich aber leicht erfragen, – also: »Jim ist hier bei Mr. Phelps und gegen die versprochene Belohnung können Sie ihn wieder haben – Huck Finn!« – Wenn ich so schriebe, dann wäre alles gut, mein Gewissen rein und Jim – ja Jim, der arme Kerl, der müßte eben dafür büßen.
Der arme Jim! Ach, er war so gut und so freundlich mit mir gewesen und hatte mich immer so lieb gehabt. Schon dort bei der Witwe und nun gar erst auf unserm lieben Floß. Wie oft hatte er für mich gewacht und mich schlafen lassen! Wie hatte er für mich gesorgt und ist stolz auf mich gewesen und so dankbar für alles! Und ich sollte ihn verlassen? Und sie schleppten ihn wieder zurück und Miß Watson verkaufte ihn aus lauter Wut weit weg von Weib und Kindern? Ich meinte Jims kummervolles Gesicht zu sehen! Nein, ich konnte, konnte nicht so treulos sein. Und wenn es Todsünde wäre und ich geradewegs zur Hölle müßte – na, dort war auch eher Platz für Huck Finn, den Schmierfink, als da oben in den glänzenden Himmelshallen bei den saubern Engelein! Ich konnte doch nichts Besseres verlangen – so ein armer, elender Teufel, wie ich einer war. Es war ja schrecklich, einem Nigger durchzuhelfen, das wußte ich; es war schlimmer als lügen und stehlen und rauben und morden, aber einerlei, ich konnte doch Jim nicht im Stich lassen! Als ich soweit einmal mit mir im klaren war, sprang ich auf, wanderte rüstig drauf los und dachte, alles Übrige – wie und auf welche Weise ich dem armen Jim würde helfen können werde sich schon finden, wenn ich erst einmal an Ort und Stelle sei und im stande, die Gelegenheit auszukundschaften.
Mein Weg führte noch eine Strecke weit durch dichten Wald, dann erreichte ich ein frisches, grünes Thal, sah ein Gebäude von ferne, hielt drauf los, von einer Ahnung ergriffen, die sich als richtig herausstellte. Denn als ich mich näherte, konnte ich klar und deutlich lesen: ›Sägemühle von S. Phelps.‹ Da war ich also an Ort und Stelle und wollte nun das Schicksal gewähren lassen, wie es mich trieb.
Alles ringsum war wie ausgestorben, still wie am Sabbat, heiß und sonnig. Die Leute schienen alle im Feld bei der Arbeit, und in der Luft schwirrte und summte es von Käfern und Insekten und dieser Ton giebt einem immer das Gefühl, als ob alles vereinsamt, jedermann gestorben und begraben sei. Kommt dann ein leichtes Lüftchen und bewegt die Blätter leise, so meint man das Flüstern der Geister der Dahingeschiedenen zu hören und es läuft einem ordentlich kalt über den Rücken, und man wünscht selbst tot und begraben zu sein und erlöst von all dem Übel der Welt.
Silas Phelps' Farm war eine kleine Baumwollen-Anpflanzung, wie man sie zu Dutzenden trifft und die man im Traum beschreiben kann. Ein Zaun rings um den großen Hof, ein paar elende Grasplätzchen drin, sonst kahl und glatt wie ein abgeschabter Filzhut. In der Mitte ein großes Blockhaus für die Familie aus behauenen Holzblöcken und die Spalten dazwischen mit Speis und Mörtel zugeschmiert und vor Zeiten einmal getüncht. Dicht daneben eine Küche, durch einen breiten, großen, offenen, aber überdachten Gang mit dem Hause verbunden. Hinter der Küche die Räucherkammer. Jenseits derselben drei Negerhütten in einer Reihe, dann eine einzelnstehende weiter hinten gegen die Rückseite des Zauns zu, dann noch ein paar