Will Berthold

Pinien sind stumme Zeugen


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die Werbedame anrufen und sie bitten, die Rosen in eine Vase zu stecken. Vielleicht gibt ihm dabei das Telefongespräch eine Chance, schon heute zu erreichen, worauf er sich sonst bis morgen – oder vielleicht sogar bis übermorgen – gedulden müßte. Wenn er erst einmal einen Brückenkopf besitzt, fällt rasch die ganze Festung.

      Der Ex-Captain fährt mit dem Lift zur dritten Etage hinauf, geht den langen Gang entlang auf der Suche nach dem Zimmer Nummer 331. Kurz bevor er das Ziel erreicht, öffnet sich die Tür, aber nicht die Madonna in Schwarz kommt heraus, sondern ein etwa vierzigjähriger Mann, mittelgroß und mittelgrau, so in Eile, daß er achtlos an dem Rosenkavalier vorbeihastet.

      Im ersten Zorn möchte der Heimkehrer sich die Baccaras um die Ohren schlagen. Dann macht er sich klar, daß der Mann gegangen und nicht gekommen ist. Er deponiert den Strauß vor Zimmer 331, geht vier Türen zurück in sein eigenes Apartment und ruft seinen Reiseflirt an: »I dislike to disturb you, Gipsy«, beginnt er vorsichtig. »Aber ich möchte verhindern, daß die Rosen vor Ihrer Tür verwelken.«

      Sie begreift ihn sofort. »Just a moment«, erwidert sie und geht vermutlich an die Tür. »Sie Verschwender«, sagt sie nach ihrer Rückkehr. »Thank you very much. Ich hab’ noch nie in meinem Leben einen so schönen Blumenstrauß bekommen.«

      »Auch nicht von Mr. Sandler?«

      »Nicht einmal zur Hochzeit.«

      »Auch nicht von dem Mann in Mittelgrau, der eben aus Ihrem Apartment kam?«

      Gipsy Sandlers Stimme klingt ein wenig verärgert. »Was geht Sie das eigentlich an?« fragt sie. »Steh’ ich unter Kuratel, oder haben Sie den Hoteldetektiv auf mich angesetzt?«

      »Natürlich nicht«, entgegnet Steel. »Meine Rosen und mein Nebenbuhler wären beinahe zusammengestoßen.«

      Sie schweigt einen Moment lang. »Ich sagte doch schon«, antwortet sie dann wieder mit ihrer gewöhnlichen Stimme, »daß ich für die Werbefirma ›Myers & Niggel‹ arbeite – und das war der Promotion Director.«

      »Ein ziemlich neugieriger Bursche.«

      »Er wollte sofort einen Überblick über die Resultate meines Europa-Trips erhalten.« Nach kurzer Pause setzt sie hinzu: »Es steht ja auch ziemlich viel Geld auf dem Spiel.«

      »Na ja, wie ein Liebhaber sah er nicht gerade aus«, erwidert der Anrufer versöhnt.

      »Wie sieht denn ein Liebhaber aus?« greift die Umworbene seine Entgleisung auf. »Etwa wie Sie?«

      »Geben Sie mir eine Chance, Gipsy!«

      »Sie hatten sie den ganzen Tag über«, erwidert sie lachend. »Und wenn Sie mich jetzt in Ruhe lassen, bekommen Sie sie morgen wieder.«

      »Besten Dank im voraus«, erwidert er. »Aber könnten wir noch einen Night-cup zusammen nehmen, und ich erkläre Ihnen dabei, was – was Sie mir bedeuten?«

      »In meinem Zimmer? Neben meinem Bett? Und Mut müssen Sie sich auch noch antrinken? Nein, Bob, daraus wird nichts. Ich bin ein Mädchen aus Philadelphia im Staate Pennsylvania. Wissen Sie, wie unser Wappenspruch lautet: ›Freiheit, Unabhängigkeit und Tugend‹.« Sie läßt ihm keine Zeit, etwas zu erwidern. »Tugend«, wiederholt sie. »Gute Nacht, Bob«, setzt sie hinzu und legt auf.

      Es war eher eine Holzhammernarkose als ein Schlummertrunk. Mit einem verschwommenen Eindruck von seiner reizvoll-aufreizenden Reisebegleiterin schläft der Abwehroffizier a. D. ein. Schließlich kippt sein Bewußtsein weg. Er schläft traumlos durch und erholt sich von Zeitverschiebung und Flugstrapazen.

      Am Morgen erhebt sich Steel gähnend, schiebt die Vorhänge zurück, und wie befriedigt stellt er fest, daß die Liebespaare aus dem Central Park längst nach Hause gegangen sind. Vielleicht wird er heute abend mit Gipsy dort promenieren; aber die Kür kommt nach der Pflicht. Jetzt braucht der Ex-Captain einen klaren Kopf für seine Geldgeschäfte, und davon versteht er etwas, beruflich wie privat. Er meldet sich für elf Uhr beim Vizedirektor seiner Bank an. Dann entnimmt er dem Schließfach den braunen Umschlag, verstaut ihn vorsichtig in seinem Bordease, geht durch die Halle des ›Plaza‹, und dabei entdeckt er Mrs. Sandler in einer Nische.

      Sie winkt ihm zu; am Morgen ist sie offensichtlich entgegenkommender als am Abend. Er tritt an ihren Tisch.

      »Schon auf den Beinen?« fragt er überrascht. »Darf ich mich zu Ihnen setzen?«

      »Seit wann so förmlich?« erwidert sie. »Nochmals herzlichen Dank für die Rosen.«

      »Nochmals Entschuldigung für die Störung«, entgegnet er.

      Sie lächelt ihm zu, ihre Augen flirren. Ihr Haar zeigt einen pikanten Blauschimmer. Ihr Blick fällt auf das Bordcase. »Wohl Ihr ständiger Begleiter«, stellt sie lachend fest. »Haben Sie die Tasche mit Brillanten gefüllt?«

      »Mit gestohlenen«, versetzt Steel.

      Er winkt den Ober herbei, bestellt das Frühstück. »Natürlich nicht«, erklärt er dann. »Geld – ich habe Ihnen doch erzählt, daß meine Mutter Schweizerin war. Ich habe ein Grundstück in der Innenstadt von Zürich geerbt und verkauft. Der Einfachheit halber habe ich den Erlös gleich mitgenommen.«

      »In bar?«

      »Ja – das spart Spesen und Zeit.«

      »Nicht gerade ungefährlich – viel?« fragt Gipsy.

      »Ich bin Gefahr gewohnt, ich war Soldat, Offizier – ein Kriegsheld, wenn Sie so wollen«, antwortet Steel selbstironisch. »Sechzigtausend«, erklärt er nach kurzem Zögern. »Sie werden mich schon nicht überfallen.«

      »Sie müssen verrückt sein«, erwidert Gipsy. »Und da haben Sie noch die Nerven, mit mir zu flirten.« Sie gießt ihm Kaffee ein. »Ich jedenfalls würde völlig durchdrehen, wenn ich soviel Geld bei mir hätte.«

      »Gewohnheitssache«, erwidert Steel. »Ich hab’ schon über ganz andere Summen verfügt.« Er erhebt sich. »Sie müssen mich jetzt bitte entschuldigen, Gipsy«, verabschiedet er sich. »Wir sehen uns um fünf Uhr p. m. – ich freue mich schon darauf.«

      »Warum so früh?« fragt sie.

      »Warum so spät?« kontert er.

      Sie lachen beide. Er nickt ihr zu, schultert seine Tasche, geht zur Rezeption. Da er formell immer noch der Armee angehört, muß er auch im Urlaub ständig erreichbar bleiben. Steel hinterläßt im Hotel, daß er am Nachmittag wieder im ›Plaza‹ sein wird. Die Zeitangabe ist nicht ganz korrekt, aber bis dahin wird schon kein Krieg ausbrechen.

      Der Hotelgast geht in Richtung Lexington Avenue. Nach fünf Jahren ist er nach Hause zurückgekehrt, aber am ersten Tag fühlt er sich wie in einem fremden Land: keine Ruinen, fast keine Bein –, Arm- oder Doppelamputierten, keine Menschen, die auf eine weggeworfene Zigarettenkippe warten, keine Häuser, deren Dächer mit Zeltplanen abgedeckt sind – das von vielen erwartete deutsche Wirtschaftswunder steht noch im Startloch. In Germany herrscht Not statt Überfluß. Hier aber rasen die Straßenkreuzer mit den Haifischflossen im ständigen Wettrennen zur nächsten Ampel; dazwischen Fußgänger, die vorwärtshasten, als hätten sie sich alle verspätet.

      Robert S. Steel ist zu Hause, aber nicht daheim. Arizona, das heißeste Land der Vereinigten Staaten, das wie kein anderes die Fingerabdrücke der Schöpfung trägt, läßt ihn kalt, ist kaum mehr als eine herrliche Ansichtskarte mit schroffen Bergspitzen, bizarren Felsgraten, mit glühender Wüste, mit Indianern, Sonderlingen, Lassowerfern und Lungenschwindsüchtigen. Sein einziger Bruder fiel auf einer Pazifikinsel im Nahkampf mit den Japanern; seine Mutter erlag kurze Zeit später der Angina pectoris. Sein Vater, nach New York gezogen, hatte sich in Arbeit und Whisky gestürzt – immer mehr Bourbon und immer weniger Aufträge. Auf einer Heimfahrt prallte er frontal gegen einen Baum; es wurde nie ganz geklärt, ob der Alkohol oder die Lebensmüdigkeit das gewaltsame Ende verursacht hatte.

      Zu diesem Zeitpunkt war der einzige Überlebende der Familie gerade über den Rhein gestürmt. Der Krieg hatte ihm nicht viel Zeit zu Trauer und Besinnung gelassen. Kurz danach wurde Steel zum Leiter der Sonderkommission