Will Berthold

Pinien sind stumme Zeugen


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am Balken hing und kaum noch zappelte. Seine Folterer und Mörder – rivalisierende Gangster – hatten Luciano für tot gehalten und sich entfernt. Mit unglaublicher Energie war es dem Malträtierten dann gelungen, seine Finger aus den Fesseln zu ziehen, vom Balken zu Boden zu plumpsen und sich den durchgebluteten Leukoplastknebel vom Mund zu reißen.

      Seine Wunden verheilten, und sein Aufstieg bei der Cosa Nostra war programmiert. Luciano beendete die Gangsterkriege und rückte bei den ›Freunden der Freunde‹ zum ›Boß der Bosse‹ auf. Er hatte ein Imperium für Bordelle, Schutzgebühren, Spielhöllen, Falschgeldverbreitung, illegale Wettbüros und Rauschgift; er teilte und herrschte, bis er 1936 ausgeschaltet wurde. Lucky Luciano war erledigt. Das Urteil sah vor, daß er bei guter Führung frühestens im Jahre 1976 ein erstes Gesuch auf vorzeitige Haftentlassung einreichen dürfe.

      Überraschend wurde der ›eleganteste Gangster der dreißiger Jahre‹ am 2. Februar 1946 von dem gleichen Gouverneur Thomas E. Dewey begnadigt und nach Italien abgeschoben, der ihn einst als Generalstaatsanwalt gejagt und überführt hatte. Seitdem lebte der Obergangster mit den kleinen Augen, den leicht abstehenden Ohren, dem fleischigen Mund und der niedrigen Stirn in Neapel unter den Augen der Polizei. Aber was sagt das schon in einem Land, das zumindest in seinen südlichen Regionen von Mafia und Camorra beherrscht wird?

      Sicher ist, daß Luciano die Verbindung zu seinen alten Ganovenfreunden längst wieder aufgenommen hat und ein reger Meinungs –, Waren- und Menschen-Austausch zwischen Napoli und New York herrscht. Noch immer trägt Lucky seidene Morgenmäntel, noch immer leistet er sich Affären mit Frauen, noch immer handelt er mit Rauschgift. Eine amerikanische Zeitung beschreibt den Gangster-Anführer als ›schlau und raubgierig, von einer wilden Grausamkeit. Wie eine todbringende Kobra schlängelt sich dieser müdäugige Schläger um die Unterwelt der Ostküste und preßt unbarmherzig das verderbte Geld aus ihr heraus. Dabei ist er die Freude der Buchmacher, das Entzücken der Straßensänger, ein Dracula in der Maske eines gutmütigen Lebemannes.‹

      Die Beziehung Mafia-Abwehr ist noch immer ein Staatsgeheimnis; noch ahnt die amerikanische Öffentlichkeit nichts von dem wahnwitzigen Zusammenspiel. Der kraushaarige FBI-Fahnder Craig Ginty kann, trotz aller Vollmachten, nicht in das Dickicht der damaligen Verstrickung eindringen: Wo immer er anklopft, bleiben die Türen verschlossen und die Dossiers ungeöffnet, davon abgesehen, daß der für den New Yorker Hafen zuständige III. Marine-Distrikt die Akten längst beseitigt hat. Wenn Ginty Gesprächspartner unter Druck setzt oder ihnen Strafmaßnahmen ankündigt, erreicht er nicht mehr als ein Kopfschütteln oder Gegendrohungen.

      Was gilt schon die Vollmacht eines Präsidenten, der in den nächsten Tagen abgewählt werden wird?

      Die Strapazen der Überstunden sind Ginty und Partaker in die Gesichter gestempelt; wenig Schlaf, wenig Hoffnung, viel Kaffee und Leerlauf. Es ist typisch, daß sich die beiden schon morgens um sechs Uhr in der improvisierten Dienststelle treffen, die sie im Pentagon eingerichtet haben. Jeder arbeitet auf seinem Gebiet: Der CIA-Vice überwacht die Auslandsfahndung, der FBI-Experte ist für die Investigation auf dem Boden der USA zuständig. Bei dem Vertrauensverhältnis, das zwischen den beiden herrscht, gibt es weder Überschneidungen noch Grenzen; gemeinsam aber ist auch die Erfolglosigkeit.

      Die Erkundung in der Sowjetunion hat die ›Organisation Gehlen‹ übernommen, Hitlers frühere Wehrmachtsabteilung Fremde Heere Ost. Sie ist zum überwiegenden Teil den Amerikanern, die keinerlei Nachrichtendienste in Rußland unterhielten, beim Zusammenbruch als Beute zugefallen. Die Skrupel, die man anfänglich im Pentagon gegenüber einem persönlich schillernden und politisch kompromittierten Untergrundgeneral hatte, nahmen im gleichen Maße ab, als die Pullacher Spione bei der Rußlandaufklärung Erfolge vorweisen konnten. Reinhard Gehlen, ein notorischer Kommunistenfresser, dem man keinerlei Entgegenkommen der Sowjetunion gegenüber nachsagen kann, ist eher skeptisch, was eine russische Urheberschaft der Dollar-Fälschungen betrifft. Wollten die Sowjets zu diesem Mittel greifen, dann würden sie die Ausführung vermutlich einem ihrer Satellitenstaaten überlassen. Außerdem seien sie in Fragen der Wirtschaft weit verläßlicher als in politischen: viel Theorie – wenig Wolle.

      »Es wird in Kreisen, die es wissen könnten, bereits gemunkelt, daß bei der Freilassung Lucianos damals dreihunderttausend Dollar den Besitzer gewechselt haben. Vielleicht kommen deshalb bald Milliarden falscher Dollars auf uns zu. Wenn wir die ›Marine-Blockade‹ nicht durchbrechen können, ist es so gut wie ausgeschlossen, auf der Mafiaspur auch nur einen Schritt weiterzukommen.«

      »Ihr habt doch sicher eure Leute in die fünf New Yorker Familien eingeschleust …«

      »Zwei sind gerade ermordet worden«, erwidert Ginty. »Einer in dieser, der andere in der vergangenen Woche. Zwar gilt auch bei der Cosa Nostra die ›Omértà‹, das Gesetz des Schweigens, aber nicht so total wie bei der sizilianischen Mafia; aber wer redet, wird auch hier ausgelöscht. Wenn sich unsere Spitzel zu weit vorwagen, landen sie, einzementiert in einem Faß, auf dem Grund des Hudson oder des East River. Gehen sie nicht nahe genug an die Akteure heran, erfahren sie nichts.«

      »Reg dich nicht auf, Craig!« besänftigt ihn Partaker, selbst beunruhigt. »Noch haben wir ja keinerlei Beweise, daß die Mafia hinter diesen Lardos steckt.«

      »Welch ein Trost!« versetzt der appetitlose Feinschmekker hämisch. »Wollen wir nicht endlich Bob Steel zu Hilfe rufen?«

      »Er ist bereits gestern in New York gelandet und im ›Plaza‹ abgestiegen. Voraussichtlich wirst du ihn heute mittag noch in Empfang nehmen. Es ist nur noch etwas abzuklären …«

      »Lächerlich«, erwidert der Falschgelddezernent. »Uns steht das Wasser bis zum Hals, und du vertrödelst die Zeit mit überflüssigen Überprüfungen.«

      »So überflüssig auch wieder nicht«, versetzt Partaker. »Ich schließe mich gern deiner Meinung über die Redlichkeit Steels an. Aber nun denk doch einmal nach, Craig: Ihr habt seinerzeit in Bad Aussee auf einen Schlag dreiundzwanzig sargähnliche Kisten mit einundzwanzig Millionen Pfundnoten sichergestellt – später noch weitere Summen –, aber nicht einen einzigen Dollar.«

      »Facts sind nun einmal facts.«

      »Könnte nicht ein Mitglied der Kommission die Lardos gefunden und zum eigenen Gebrauch auf die Seite gebracht haben?«

      »Das halte ich für ausgeschlossen …«

      »Zum Beispiel der Chef selbst? Wie ich den Akten entnehme, hat sich Steel alle wichtigen Vernehmungen persönlich Vorbehalten.«

      »Das tust du doch auch, James, wenn’s darauf ankommt«, kontert Ginty.

      »Das tut in einem solchen Fall jeder, der etwas von seinem Handwerk versteht«, räumt der CIA-Gewaltige ein. »Aber nicht jeder führt in seinem Reisegepäck sechzigtausend Dollars im Nennwert von je fünftausend Greenbacks mit sich …«

      »Du meinst, Steel hat einen Koffer voll Geld bei sich gehabt?«

      »Zwölf Madisons, soeben einbezahlt bei einer Filiale der ›Chase Manhattan« in New York.«

      »Und das waren Lardos?« fragt Ginty heftig.

      »Mal den Teufel nicht an die Wand!« dämpft der Partner seinen Unmut. »Bis jetzt haben wir es ja nur mit gefälschten Fünfzig- und Hundert-Dollar-Noten zu tun. Aber du mußt doch zugeben, daß es ziemlich ungewöhnlich ist, wenn ein kleiner Captain mit soviel Geld über den Atlantik fliegt.«

      »Ich hab’ dir ja gesagt, daß Bob ein höchst ungewöhnlicher Mann ist.«

      »Aber bevor ich deinem Old Fellow Vollmachten anvertraue, vor denen mir selbst schwindlig wird, sehe ich ihn mir mindestens dreimal an«, erklärt der CIA-Vice. »Heute mittag haben wir ihn hier. Ob meine letzte Kontrollmaßnahme bis dahin abgeschlossen ist oder nicht – ausquetschen werden wir ihn in jedem Fall.«

      Bankgeheimnisse, zumal schweizerische, sind zwar vor der Steuerfahndung dicht, aber ein Geheimdienst, der in einem solchen Fall nicht hintenherum die Indiskretion schafft, taugt nichts. Kurz nach Mitternacht Ortszeit meldet sich der CIA-Außen-Agent Gellert telefonisch aus Zürich: »Ich hab’s, Sir«, sagt er. »Unser Mann hat tatsächlich eine mütterliche Erbschaft gemacht,