Gesicht taucht zum zweiten oder dritten Mal auf.
New York gefällt dem Mann aus Arizona am Nachmittag schon viel besser als am Morgen. Es wimmelt von hübschen Mädchen aller Hautfarben mit dem unnachahmlichen Gang, zu dem Boulevards erziehen. Die Versuchung multipliziert sich, und ein Mann, sagt sich Steel, ist eigentlich ein armer Teufel, weil er von einer Gelegenheit in die andere Verlegenheit stolpert. Warum hat der Ölkönig Ibn Saud zum Beispiel mehr als fünfhundert Frauen, da ihn schon fünf überfordern müßten oder drei oder vielleicht sogar eine einzige, wenn sie ein Vulkan ist. Er erreicht das ›Plaza‹; es wird Zeit, sich ganz auf Mrs. Gipsy Sandler einzustellen. Ob sie wirklich einmal Stewardeß war und sich dabei ihren Geschiedenen angelte, einen reichen Trunkenbold? Es mag stimmen oder auch nicht – alle Frauen schwindeln ein wenig und die wahrheitsliebenden womöglich am meisten. Für einen Mann wie ihn ist die Legitimation einer Frau ihr Aussehen und in dieser Hinsicht hat die Werbedame aus Philadelphia wohl fast bei allen Männern freien Durchlaß.
Steel täuscht sich nicht: Der Mann mit Stirnglatze in der Lederjacke stolpert ihm fast über die Beine. Er sieht ihn jetzt zum dritten Mal. Falls der Bursche ihn tatsächlich beschatten soll, ist er ein Stümper. Unsinn, rügt sich der Abwehroffizier selbst, entschlossen, sich nicht länger mit Taggespenstern herumzuschlagen. Er geht ins Hotel, fährt in sein Apartment hinauf. Er betrachtet sich im Spiegel. Steel ist weder unzufrieden noch uneitel. Er rasiert sich zum zweiten Mal, wozu er sich nur bei der Vorbereitung erhoffter Premieren zwingt.
Als das Telefon läutet, nimmt er mit eingeseiftem Gesicht den Hörer ab.
»Ich hab’ mich verspätet, Bob«, sagt Mrs. Sandler mit ihrer moussierenden Stimme. »Geben Sie mir noch eine halbe Stunde?«
»Ungern«, erwidert er, »und ungeduldig. Ich werde unten auf Sie warten, Gipsy.«
Eine kapriziöse Frau ist selten pünktlich. Mrs. Sandler benötigt fast eine Stunde. Als sie dann auftaucht in ihrem knallroten Chiffonkleid mit dem geschickt geschnittenen Dekolleté, das ein wenig von dem preisgibt, was es zu verhüllen scheint, macht sie sogar in der Nobelherberge Furore, und das heißt etwas in New York. Sie zeigt nicht sehr viel Haut, doch genug, um Appetit auf den ganzen Körper zu machen. Die meisten Männer in der Halle müssen den gleichen Geschmack haben, denn sie starren Gipsy an, zum Ärger ihrer Begleiterinnen, getreu der Gewohnheit: Man ist Mann. Die Bewunderte scheint gewachsen zu sein. Sie geht sicher auf Schuhen mit den höchsten Absätzen, die Robert S. Steel je gesehen hat; ihre schicke Garderobe trägt sie wie selbstverständlich, in erster Linie führt sie sich vor.
Der Mann, der sie erwartet, erhebt sich, geht ihr entgegen, rückt ihr den Sessel zurecht, begegnet furchtlos den Blicken der Umsitzenden, die ihn am liebsten mit den Augen töten würden. »Im Harem sitzen heulend die Eunuchen«, zitiert er einen Kalauer, den er in Deutschland aufgeschnappt hat. »Die Lieblingsfrau des Sultans ist entfloh’n.«
»What did you say?« fragt Gipsy und nimmt Platz.
»It’s really not that important«, erwidert er lächelnd. »Only a German saying. Sie sehen so gut aus, Gipsy, daß Sie mich neidisch auf mich selber machen. Mußten Sie Überstunden bei ›Myers & Niggel‹ machen?« fragt er dann.
»Die Besprechung hat sich in die Länge gezogen«, berichtet die Vielbeachtete. »Aber alles in allem war sie recht erfreulich. Ich will Sie nicht mit diesen fachlichen Dingen langweilen, Bob, aber an jedem Werbeetat verdienen wir fünfzehn Prozent, müssen allerdings die Spesen selbst tragen. Das Europageschäft ist groß im Kommen. ›Myers & Niggeb war eine der ersten Firmen, die das begriffen haben; die anderen machen es uns nach, aber wir haben die Nase vorn.«
Steel nickt, wiewohl er ihr nicht richtig zuhört. Sein Blick gleitet von dem schnurgeraden Scheitel abwärts zur Nase, dem Kinn, verfängt sich zwangsläufig in ihrem Dekolleté.
»Attention, Bob!« sagt Mrs. Sandler lachend. »Ihre Augen sind in den Schacht gefallen.«
»Aber da liegen sie gut, verdammt gut«, erwidert er, keine Spur zerknirscht. »Ich muß zugeben, Sie verstehen wirklich viel von Produktwerbung, Gipsy.«
»Danke«, erwidert sie. »Am liebsten hätten mich ›Myers & Niggeb gleich nach Europa zurückgeschickt. Diesmal nach Rom; wir vertreten in Europa bereits »General Motors‹, ›Coca-Cola‹, ›Du Pont‹ und etliche andere Firmen. Die Geschäfte würden explodieren, wenn es uns gelänge, sie in beiden Richtungen zu führen, zum Beispiel mit ›Fiat‹ oder großen Weinfirmen oder bekannten Schuhdesignern. Wissen Sie übrigens, daß die Italiener führend in der Schuhmode sind?«
»Ich weiß es nicht«, entgegnet Steel lachend, »aber ich sehe es an Ihren Füßen.« Es gibt ihm einen Vorwand, ihre Beine ausgiebig zu betrachten. »Schlechte Aussichten für uns, was? Kaum haben wir uns kennengelernt, fliegen Sie schon wieder aus.«
»Ich bin viel unterwegs, Bob, aber niemals aus der Welt. In Rom wohne ich im ›Excelsior‹, in Paris im ›Ritz‹ und in London im ›Claridge‹ …«
»Vornehm geht die Welt zugrunde«, blödelt der Lover in spe.
»Meine Firma besteht darauf«, erklärt die Dunkelhaarige. »Aus Repräsentationsgründen. Wir stehen jetzt an dritter oder vierter Stelle im Umsatz und …«
»Schon gut«, wehrt der Mann aus Arizona weitere Feststellungen ab. »Ich wollte Ihnen gerade einen Trip in meine Heimat zum Grand Canyon vorschlagen.«
»Vielleicht können wir ihn eines Tages nachholen«, entgegnet Gipsy und sieht ihn lächelnd an. »Haben Sie Heimweh, oder wollen Sie sich als Cowboy im Sattel vorführen?«
»Wenn Sie wollen, als Messerwerfer, Lassoschwinger oder auch als Feuerschlucker«, versetzt er.
»Sorry«, erwidert sie. »Ich rede immer nur von mir. Wie ist es Ihnen am ersten Tag ergangen?«
Der zivile Captain wartet, bis der Ober die beiden Highballs abgestellt hat. Dann hebt er das Glas. »Cheers, Gipsy!« sagt er. »Auf uns – und auf meinen Abgang bei der US-Army.«
»So schnell?«
»Ich werde morgen offiziell verabschiedet. Vom Verteidigungsminister persönlich. In Washington.«
»Gratuliere, Captain!«
»Major, bitte«, erwidert er spöttisch renommierend: »Ehre, wem Ehre gebührt.«
»Marvellous, Bob«, versetzt die schwarze Madonna. »Bottons up, Major!«
Sie vertreten sich die Beine, schlendern downtown bis zum Broadway und nehmen im Prominententreff bei ›Sardi’s› einen weiteren Cocktail, fahren dann mit dem Taxi nach Chinatown. Beide sind ein bißchen beschwipst und lachen, weil ihnen beim Essen der Reis immer wieder von den ungewohnten Stäbchen fällt.
»Man ißt länger und wird nicht dick davon«, sagt Gipsy lachend: »Deshalb komme ich so gern hierher.«
Steel legt den Arm um sie und küßt sie mitten im Lokal. Ein paar Umsitzende reagieren verärgert, andere belustigt. New York ist nicht Paris, aber die Toleranz wird sich ausbreiten, zumindest zwischen Hudson und East River, dem ›Big Apple‹ in den jeder gern bisse.
»Du muß morgen vermutlich schon bald aus den Federn?« fragt die schwarze Madonna.
»Ich bin ein Steher …«
»Auch ein Aufsteher?«
»Wer sich erheben will, muß zuerst einmal stürzen«, erwidert er anzüglich. »Ich möchte stürzen – und zwar in deine Arme.«
Nach einem kurzen Abstecher in einen Jazzkeller in Greenwich Village fahren sie zum Hotel zurück und nehmen im hauseigenen ›Trader Vic’s‹ den unwiderruflich letzten Drink. Einen Moment lang erinnert sich Robert S. Steel an seine Militärzeit, wo er als Infanterist vor dem Sturmangriff Schnaps tankte; aber er trägt keine Stiefel, sondern elegante Slippers, und seine Attacke wird nicht feldmarschmäßig ausgeführt.
Er erhebt sich höflich und bittet seine Dame um den nächsten Tanz.
Sie bewegen sich zum erstenmal gemeinsam rhythmisch;