Christoph Bausenwein

Geheimnis Fussball


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oder „schlecht“: „Klang es dumpf und hohl, dann schüttelte er den Kopf: Der hat keine Seele, der ist leblos. Wie Recht er hatte“, so sein Musterschüler Fritz Walter, „spürten wir später. Der Ball spielte nicht mit, er sang nicht, er ließ sich nicht streicheln, er war nicht Kamerad und Freund des Spielers, sondern ein Fremder.“

      Zu Lederball-Zeiten bestanden viele Teams darauf, nur mit ihrem gewohnten Ball zu spielen. So wurde etwa der 1. FC Nürnberg während einer Spanien-Tournee im Jahr 1923 von den Verantwortlichen des FC Irun „gezwungen“, mit einem ungewohnt großen „spanischen“ Ball zu spielen. Umgekehrt erging es den Engländern 1947 in Portugal. Da nämlich bestanden die Gastgeber auf einem kleinen Ball (Größe Nr. 4). Das Spiel begann dann mit einer normalen Nr. 5, doch nach dem ersten Tor wurde er durch einen kleineren ersetzt. Dass die Ballgröße allein nicht entscheidend ist, zeigen die Ergebnisse der Spiele: Nürnberg gewann 1923 mit 5:0, die Engländer siegten 1947 mit 10:0. Salomonisch war übrigens die Lösung beim WM-Finale 1930: Weil man sich vorher nicht hatte einigen können, tauschte man in der Halbzeit das Spielgerät. Nachdem die Argentinier mit „ihrem“ Ball bis zum Pausenpfiff mit 2:1 in Führung gegangen waren, hatten sie dann anschließend gegen den Ball der Uruguayer keine Chance mehr und verloren am Ende mit 2:4.

      Selbst in Zeiten industriell gefertigter Normbälle hat noch so mancher Fußballer ein intensives Verhältnis zu seinem runden Liebling. So bekannte Günter Netzer, langhaariger „Rebell am Ball“ und Frauenschwarm, „ein sinnliches Verhältnis zu meinem Objekt“, und der argentinische Superstar Diego Maradona erkannte darin gar Frau und Mutter zugleich. Folgerichtig beschrieb Berti Vogts einmal in einer seiner gelungensten Formulierungen ein Jahrhundertspiel als eines, „in dem der Ball viele Liebhaber hatte“. Trotz Bertis Gruppensex-Phantasie muss der Preis für die größte ballphilosophische Tiefe dem fiktiven Mittelstürmer Bill Week zuerkannt werden. Der Held in Melchior Vischers Theaterstück „Fußballspieler und Indianer“ (1924) postulierte die totale Anverwandlung des Kickers an sein Spielgerät: „Wisst ihr, was das heißt: Fußball spielen? – Die eigene Seele wird zur Fußballseele, das Herz und die Haut zum Leder.“

      So viel Ballyhoo braucht der durchschnittliche Feld-, Wald- und Wiesenkicker nicht zu treiben. Dennoch: Auch für ihn gilt, dass er den Ball nicht „knechten“ darf, sondern als Spielpartner ernst nehmen muss. Beim Handball mag es genügen, einfach nur den Ball zu spielen, der Fußballer jedoch muss mit dem Ball spielen. Er gehorcht nur dem, der sich auf seine Eigenbewegung einlässt, der bereit ist, seine „Seele“ nicht zu brechen, und der in der Lage ist, sie aufzufangen und zu bewahren.

      Vielleicht liegt ja ein Geheimnis des Fußballs darin, dass er, wie es der Schriftsteller Jean Giraudoux ausdrückt, „die maximale Wirkung des Balles zur Geltung bringt“. Alles Runde und so natürlich auch der Ball gilt als Symbol für den unberechenbaren Zufall, und vielleicht liegt genau hierin die „gewisse philosophische Tiefe“, die dem berühmten Satz von Sepp Herberger zugesprochen wurde. „Der Ball ist rund“ – das heißt, dass der Ball oft nicht das macht, was der Spieler will, sondern das, was er selbst will. Nicht zuletzt deswegen – dies zur philosophischen Vertiefung – ist im Fußball „alles möglich“.

      FÜSSE

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      Im Gegensatz zu anderen Sportarten, die ebenfalls „Football“ genannt werden, basiert der Ablauf des Spiels beim Fußball tatsächlich auf dem Gebrauch des Fußes. Während beim Fußball lediglich die Sonderposition des Torwarts und der beidhändig auszuführende Einwurf die Ausnahmen des Handspiels bilden, ist beim Rugby und American Football das Fußspiel so selten, dass man beide eher als Handballspiele bezeichnen müsste. Weil er das einzige Spiel ist, in dem konsequent auf den Gebrauch der Hände verzichtet wird, sind Fußballspieler wohl auch die einzigen Sportler, die ihr Spielgerät wie einen „beseelten“ Gegenstand behandeln. Fangende Hände erkennen den Ball nicht als Mitspieler an; sie um-fangen ihn, und dadurch kontrollieren und disziplinieren sie ihn. Nie entkommt der hin- und hergeworfene Ball dem Kommando der Hände, kaum weggeschleudert, wird jede gerade entstandene Eigendynamik schon wieder im groben Griff abgewürgt. Der Ball, der nur im Flug für kurze Zeit dem Gefangen-Sein entkommt, bleibt wie tot, spielt nicht mit. Ganz anders verhält es sich im Fußball. Weil der Ball mit dem Fuß nicht in Besitz genommen werden kann, bleibt er immer frei. Weil die Hand aus dem Spiel ist, kann der Ball selbst ins Spiel kommen und seinerseits mit den Menschen spielen.

      Aus der Idee, den Menschen im Spiel seiner natürlichen Greifwerkzeuge zu berauben, ließe sich eine komplette Fußphilosophie entwickeln. In Anlehnung an Martin Heideggers Studie „Sein und Zeit“ könnte man zum Beispiel sagen, dass der Ball, solange er nur mit der Hand gespielt wird, „zuhandenes Zeug“ bleibt. Das heißt, er wird behandelt wie ein Werkzeug, das – wie der Hammer zum Hämmern – nur interessiert, sofern es zu etwas verwendbar und tauglich ist. Hand-Bälle müssen handlich sein für den scharfen Wurf aufs Tor oder handhabbar für den langen Pass des Quarterback. Sie bleiben vordergründigen Spielzwecken in ähnlicher Weise unterworfen wie bestimmte Geräte zur Erledigung spezifischer Arbeitsvorgänge. Wird der Ball aber mit dem Fuß gespielt, so muss der Spieler nicht nur „unnütze“, aufwändige und komplexe Bewegungsabläufe erlernen, sondern er lässt mit den Händen auch die gewohnte Bewegungskoordination des Alltags aus dem Spiel. Ausgehend von der freiwilligen und zweckfreien Fußbewegung ist der Körper im Fußball schon vom Ansatz her wie nirgendwo sonst als ein spielender zur Geltung gebracht.

      Ist das durch Arbeit zu besorgende Dasein durch die Notwendigkeit des Greifens und Be-greifens der Dinge gekennzeichnet, so können sich erst im Spiel die Möglichkeiten einer freien Begegnung und Bewegung mit den Dingen entfalten, die nicht von Zwecken diktiert ist. Im Fußballspiel, das sich wie kein anderes gegen alle Begriffe und Berechnungen sträubt, kommt daher das Spiel in seiner reinsten Weise zum Ausdruck; hier ist, wie alle wissen, „alles möglich“. Fußball wird damit sogar zu einer Metapher für das menschliche Leben schlechthin. Man kann, um das zu verstehen, Heidegger lesen – „Dasein ist nicht ein Vorhandenes, das als Zugabe noch besitzt, etwas zu können, sondern es ist primär Möglichsein“ – oder aber, was mental weniger anstrengend ist, einfach mal ein Fußballspiel anschauen. Für diese Lösung entschied sich gegen Ende seines Lebens auch Heidegger selbst, als er immer häufiger bei seinem Nachbarn auftauchte, um sich dort die Fußballübertragungen im Fernsehen anzuschauen. Des philosophischen Brütens über mögliches Dasein in seiner Seinshütte offensichtlich etwas müde geworden, erregte er sich lieber, dabei auch schon mal eine Tasse umwerfend, über das Da-Sein von Möglichkeiten, die stümperhaft vergeben wurden.

      Damit das Erkennen des „Stümperhaften“ überhaupt möglich wurde, musste sich allerdings erst einmal eine Vorstellung von der fußballerischen Könnerschaft entwickeln. Im Fußball geht es im Prinzip nur darum, im richtigen Moment in geeigneter Weise mit dem Fuß vor den Ball zu treten. Das klingt zwar einfach, ist es aber keineswegs. Bis man diese „geeigneten Weisen“ gefunden und erprobt hatte, waren jahrzehntelange „Tests“ nötig. Da in der Frühzeit des Fußballs der Stoß mit der Fußspitze als die einfachste und natürlichste Technik des Spiels galt, kickte man in schweren Schuhen, die vorne mit harten Kappen verstärkt waren. Die Kritik des Spitzenstoßes setzte erst ein, als man allmählich erkannte, dass die Anatomie des Fußes vielfältigere und zuverlässigere Schusstechniken ermöglicht. Im Jahr 1898 bemerkte beispielsweise der deutsche Fußballpionier Philipp Heineken in seinen Anweisungen zum kunstgerechten Torschuss, dass sich bei weiterer Entfernung „ein kräftiger starker Stoß mit den Zehen“ empfehle, schränkte aber gleichzeitig ein: „Im großen Ganzen empfehlen wir aber das Stoßen mit den Zehen wegen seiner Unsicherheit nicht, das Beste ist und bleibt ein Stoß mit der Innenseite des Fußes.“ Wie sehr Heineken damals mit dieser Empfehlung seiner Zeit voraus war, erweist ein Blick in das im Jahre 1900 von Gustav Schnell herausgegebene „Handbuch der Ballspiele“. Im selben Jahr, als sich in Leipzig der deutsche Fußballbund konstituierte, schienen dem Verfasser nur „kräftige Schnürstiefel“ für den Fußball geeignet, die „vorn nicht modisch spitz, sondern, damit der Ball beim Stoßen um so sicherer zu treffen ist, breit sein müssen“.

      In Afrika, Asien und Südamerika machen junge Kicker, aus Mangel geboren, bis