Techniken beim Fußball, die Ballannahme mit der Ferse über den Kopf, zeigt beispielhaft die Kompliziertheit der Abläufe. „Während der Annahme mit der Ferse ruht das Körpergewicht auf dem im Knie stark gebeugten Standbein, dessen Fußspitze schräg nach vorn gerichtet ist“, beginnt die Erläuterung in einem Lehrbuch. Und so geht’s weiter: „Der Oberkörper wird vorgebeugt und etwas in Richtung des anderen Beins gedreht. Der Arm der Standbeinseite schwingt locker nach vorn, der andere etwas nach hinten, so dass beide das Gleichgewicht halten. Das Spielbein wird aus der Hüfte etwas nach außen gedreht und, im Knie leicht gebeugt, so weit nach hinten geschwungen, wie es die Höhe des ankommenden Balles erfordert. Die Längsachse des Fußes soll sich dabei parallel zum Boden befinden, so dass der Ball wie auf ein flaches ‚Tablett‘ fällt. Der Spieler hebt den Ball durch ein geringes Hochschwingen des Beines vor sich, wobei der Oberkörper noch stärker vorgeneigt wird.“
Der letztgenannte Stoß zählt, das sei zugegeben, nicht zum Standardrepertoire, das man auf Bundesliga-Plätzen geboten bekommt. Da nur allerbeste Techniker überhaupt eine Chance haben, ihn im Lauf eines Spiels einmal sinnvoll anzuwenden, vergessen moderne Lehrbücher oft sogar, ihn überhaupt zu erwähnen. Die oben zitierte Schilderung konnte einem ungarischen Lehrbuch aus dem Jahr 1955 entnommen werden, woraus man schließen mag, dass gerade die Ungarn vor dem von ihnen „Oxford“ genannten Stoß besonderen Respekt hatten. Tatsache ist jedenfalls, dass im Jahre 1945 der deutsche Kriegsgefangene Fritz Walter, als er in dem Durchgangslager Marmara Szigett die ungarische Wachmannschaft neidvoll beim Fußballspiel beobachtete, einen plötzlich auf ihn zufliegenden abgefälschten Ball mit eben einem solchen „Oxford“ wieder zu seinem Absender zurückbeförderte. Von diesem Kunststoß fasziniert, nahmen ihn die Ungarn in die Lagermannschaft auf und verhinderten damit seinen Abtransport nach Sibirien. Hätten sich die ungarischen Wächter nicht in die von ihm gebotene Fußball-Feinkost verliebt, so hätte er aller Wahrscheinlichkeit nach am Berner Endspiel von 1954 gar nicht teilnehmen können. Da ohne seine Teilnahme ein deutscher Erfolg wohl kaum möglich gewesen wäre, zeigt diese Geschichte nicht nur, dass die Schönheit der Fußballkunst militärische Vorschriften aufweichen kann; sie könnte auch Anlass geben, die alte Fußballer-Weisheit, dass Schönspielerei nicht zum Erfolg führt, endlich um die ungarische Variante zu erweitern: nämlich, dass schon zu viel selbstlose Freude am schönen Spiel spätere Niederlagen vorbereiten kann.
Dass Fritz Walter den „Oxford“ nur außerhalb einer Spielsituation und nicht etwa während des 54er Endspiels in so bemerkenswerter Weise demonstrieren konnte, lässt erahnen, wie schwer es ist, solche anspruchsvollen Techniken unter den Bedingungen des Spiels durchzuführen. Im Spiel findet jeder Ballkontakt unter hohem Tempo und bei permanenter Attacke durch einen Gegner statt. Im Spiel bleibt wenig Zeit für Kunststückchen, denn jede Bewegung muss schnell und effizient sein. Der Ball muss immer eng am Fuß geführt werden, oft muss der Gegner schon bei der Annahme mit einer Körperfinte getäuscht werden, damit man ihn nicht gleich wieder verliert. Freilaufen, Ballannahme, Körpertäuschung, Abspiel – all das muss in einem fließenden Bewegungsablauf nahezu synchron geschehen. Gerade für das moderne, immer athletischer und temporeicher gewordene Spiel ist eine hohe Flexibilität gefordert.
Perfekte Fußballspieler sind heute in der Lage, selbst aus scheinbar ausweglosen Situationen noch etwas zu machen. Wenn es darum geht, sich im Ballbesitz aus einer Umzingelung zu lösen, ist kaum einer so erfinderisch wie der geniale Zidane. Er versteckt den Ball unter der Sohle, dann vollführt er mit tänzerischer Eleganz einen Sprung mit schneller Drehung in Richtung einer seiner Gegner, die dieser unwillkürlich nachvollzieht; im selben Moment aber treibt er den Ball mit der Sohle des anderen Fußes durch die eben entstandene kleine Lücke auf der anderen Seite. Als sei er ein Schattenwesen, hat sich der Zauberer Zidane plötzlich seinen Widersachern entzogen und davongestohlen. Verblüfft können sie nur noch hinterhersehen, wie er ungehindert in den freien Raum stürmt, um dem Spiel eine völlig unerwartete Wendung zu geben.
Die Nachahmung des Zidane-Tricks stellt selbst Könner wie Bastian Schweinsteiger vor Probleme. Grundvoraussetzung ist, dass man sich mit beiden Füßen den Ball zum Freund machen kann. Dass die Kunst des Fußballspielens mit der Beidfüßigkeit eigentlich erst so richtig anfängt, ist den Experten freilich nicht erst seit gestern bekannt. Ende der 1940er Jahre ermahnte der brasilianische Fußballprofi „Dondinho“ seinen Sohn Pelé: „Wenn du jemals ein herausragender Spieler werden willst, musst du mit beiden Beinen gleich stark sein.“ Erst der beidfüßige Spieler kann den Ball in jeder Situation problemlos spielen, weil er sich den Ball nicht erst auf den „starken“ Fuß legen muss. Und nur der, der sich den Ball vom rechten auf den linken Fuß legen kann und umgekehrt, ist in der Lage, den Variantenreichtum des Fußballes voll auszuspielen.
Die Antwort des „linken“ Supertechnikers Wolfgang Overath auf die Frage nach seinem persönlich größten Problem ist von daher nicht erstaunlich: „Mein rechter Fuß.“ Weil die Beidfüßigkeit allgemein als für einen kompletten Fußballer erforderlich betrachtet wird, kann es vorkommen, dass ein verdienter Nationalspieler als „dritter Fuß vom Franz“ belächelt wird, und dass ansonsten balltechnisch exzellente „Einfüßige“ wie Ferenc Puskas versuchen mussten, ihre Schwäche schlitzohrig zu überdecken: „Mit einem Fuß kann man nur halb so viele Fehler machen wie mit zweien.“ Puskas war ein hervorragender Spieler; dennoch steht fest, dass ein Spieler erst durch zwei gleichstarke Füße die volle Entscheidungsfreiheit besitzt, in jedem Moment aus sämtlichen denkbaren Möglichkeiten die beste auszuwählen. Nur durch die Beidfüßigkeit wird ein Fußballspieler – siehe Zidane – für den Gegner unberechenbar.
Weil das Stoßen des Balles mit dem Fuß zwar enorm schwierig ist, aber dennoch vom filigranen Techniker mit hoher Perfektion durchgeführt werden kann, liegen im Fußball geniale Kunst und hilflose Stümperei so nahe beieinander wie in kaum einem anderen Spiel. Für den Zuschauer beruht also der Reiz des Spiels wesentlich auf den Schwächen der Füße. Weil die so oft am widerspenstigen Ball Fehler produzieren, weiß man nie, was passieren wird. Verzweifeln muss deswegen keiner; außer vielleicht die Feinde des Balles, die mit ihm ewig auf Kriegsfuß stehen.
KÖRPER
Der Fußball ist hauptsächlich ein Fuß-Ballspiel. Trotzdem muss jeder Spieler seinen gesamten Bewegungsapparat koordinieren können. Insoweit unterscheidet sich der Fußball nicht von anderen Ballspielen. Dennoch ist er ein Sonderfall. Es gibt kein anderes Sportspiel, bei dem der gesamte Körper so umfassend im Einsatz ist und der Ball, trotz des Handspiel-Verbotes, auf so vielfältige Weisen bewegt werden kann. Das Berühren des Balles mit dem Oberschenkel, der Brust und dem Kopf ist für den Fußball ebenso typisch wie der Stoß mit dem Fuß. Sogar der Hintern ist manchmal mit im Spiel. Im August 2005 traf ein Mann namens Mathias Körber (!) mit diesem Körperteil sogar ins Tor. Im Spiel des fränkischen Kreisklassenvereins SV Puschendorf gegen Anadoluspor wurde Körber kurz vor Schuss noch einmal steil geschickt. „Als er die Aussichtslosigkeit seines Spurts erkannte“, so der Berichterstatter Michael Loos, „stoppte der Puschendorfer seinen Lauf und wendete sich vom Geschehen ab. Der Schlussmann der Gäste befand sich dagegen noch in höchster Alarmbereitschaft und setzte zu einem fulminanten Befreiungsschlag an. Dieser landete weder beim eigenen Mann noch im Seitenaus, sondern genau auf Körbers Hinterteil, von wo aus das Leder am verdutzten Torhüter vorbei etwa zehn Meter weit geradeaus ins Netz kullerte.“ Dieses seltene Tor zum 4:1-Endstand für Puschendorf kommentierte ein Zuschauer fachmännisch mit den Worten: „Den Mathias sei Arsch hat a Tor g’schossen.“
Seit diesem Ereignis sollte man korrekterweise nicht mehr von einem Fußball-, sondern von einem „Ganzkörberspiel“ sprechen. Der Hintern ist, das soll zugegeben werden, nur in Ausnahmefällen und dann meist nur beim Sperren des Balls beteiligt. Aber kommen wir zu den regelmäßig eingesetzten Körperteilen. Der Einsatz von Brust und Oberschenkel ist vor allem bei der Annahme hoher Bälle erforderlich. Durch Zurücklehnen des Oberkörpers wird der Ball „aufgefangen“ und dann auf den Fuß hinuntergelassen, durch Vorbeugen wird er auf den Boden gedrückt und in den Lauf mitgenommen. Dieselben Möglichkeiten bietet das Annehmen des Balles mit dem Oberschenkel. Von Brust oder Oberschenkel abgelegt, kann der gute Techniker den Ball seinen Füßen so servieren, wie er es für die folgende Spielaktion