Der Sportredakteur, eine »lebendes Fußball-Lexikon«, wie später einmal die »Frankfurter Presse« schreiben wird, berichtet für »Frankfurter Generalanzeiger« und »Frankfurter Zeitung« über die Auftritte der Eintracht und des Lokalrivalen FSV.
Auch Dr. David Rothschild ist im Stadion, ehemals Präsident des FSV und in der Mainmetropole respekt- und liebevoll »der Bornheimer Doktor« genannt. Unter der Regentschaft des Mediziners avancierten die Schwarz-Blauen zu einer nationalen Adresse. Rothschild beschreibt später die Anfahrt der Frankfurter Anhänger zum Endspiel: »In jedem Ort, durch den sie fahren, erwartet sie eine enthusiastische Menschenmenge, die mit wechselnden Sympathien für eine der beiden Finalteams Partei ergreift, und je näher sie Nürnberg kommen, umso gewaltiger wird die Mobilisierung. Was sehen wir? Da flitzt Hitlers Mercedes mit Eskorte uns entgegen; die Insassen erkennen, dass König Fußball die Massenbegeisterung in steigendem Maße erwirbt, trotz Reichstagsfieber und Notverordnungen.«
Ein optimistisches Bild, das jedoch nur wenige Monate später von der Wirklichkeit mit aller Brutalität wegradiert wird. Denn im Nürnberger »Zabo« vollzieht sich vor 58.000 Zuschauern bei drückender Hitze der letzte große Auftritt jüdischer Mäzene, Funktionäre, Trainer und Journalisten.
Der FC Bayern gewinnt das Finale mit 2:1. Die Säulen des Bayern-Triumphes, Präsident Landauer, Trainer Dombi, Jugendleiter Otto Beer und Torjäger Oskar Rohr sind wenig später nicht mehr in Deutschland oder nicht mehr in offiziellen Funktionen. Kurt Landauer legt am 22. März 1933 sein Amt nieder. Nach der »Reichskristallnacht« wird Landauer für vier Wochen ins KZ Dachau eingesperrt. Nach seiner Freilassung gelingt ihm die Emigration nach Genf. Die daheim gebliebenen Familienangehörigen werden von den Nazis ermordet. Richard Dombi und Otto Beer setzen sich bereits zu Beginn der braunen Herrschaft in die Schweiz ab. Oskar Rohr ist zwar kein Jude, in seiner Heimat ist der Nationalspieler aber trotzdem nicht mehr wohl gelitten, denn Rohr will Profi werden – und Profifußball gilt den neuen Machthabern als »jüdisch«. Der Torjäger schließt sich nach dem Gewinn der Meisterschaft den Grasshoppers Zürich an; ein Jahr später reist er weiter nach Frankreich, wo er während der deutschen Besatzung verhaftet, in ein KZ verschleppt und schließlich an die Ostfront geschickt wird.
Auf Eintracht-Seite sieht es nicht anders aus: Mäzen Walter Neumann emigriert 1933 nach England. Seinen Mitstreitern Lothar und Fritz Adler gelingt 1938 nach der Arisierung ihres Betriebs und vorübergehender Inhaftierung die Flucht in die USA, wohin sich bereits Schatzmeister Hugo Reiß abgesetzt hat.
Walther Bensemann wird nach der Machtergreifung beim »Kicker« herausgeworfen und geht in die Schweiz, wo er bereits im November 1934 fast mittellos stirbt. Sein Kollege Max Behrens gelingt 1939 unter dramatischen Umständen die Flucht in die USA. David Rothschild emigriert 1933 nach Stockholm, wo er 1936 stirbt. Auch Rothschilds Nachfolger im Amt des FSV-Präsidenten, Alfred J. Meyers, ein I.G.-Farben-Direktor und »Baumeister« des FSV-Stadions »Bornheimer Hang«, sowie FSV-Schatzmeister Siegbert Wetterhahn müssen Deutschland aus »rassenpolitischen« Gründen verlassen und finden Zuflucht in den USA.
Kurz vor dem Finale von Nürnberg war dem deutschen Fußball bereits Jenö Konrad verloren gegangen. Als Trainer hatte der ehemalige ungarische Nationalspieler und Meisterspieler von MTK Budapest den 1.FC Nürnberg bis ins Halbfinale geführt, wo die »Cluberer« jedoch dem FC Bayern München mit 0:2 unterlegen waren. Konrad kapitulierte vor der antisemitischen Hetze des in Nürnberg erscheinenden »Stürmer«, der nach der Niederlage schrieb: »Der 1. Fußballclub Nürnberg geht am Juden zugrunde. (…) Klub! Besinne dich und wache auf. Gib deinem Trainer eine Fahrkarte nach Jerusalem. Werde wieder deutsch, dann wirst du wieder gesund. Oder du gehst am Judentum zugrunde.«1
Jüdische Fußballpioniere
Seit dem Anbrechen der Neuzeit haben Juden in allen wichtigen europäischen Gesellschaften eine bedeutende politische, wirtschaftliche und intellektuelle Rolle gespielt. Wie dieses Buch dokumentiert, gilt dies auch für den Fußballsport, wenngleich dies ganz und gar nicht dem antisemitischen Klischee vom »kraftlosen« Juden entsprach.
Zu Deutschlands Fußballpionieren zählten auch eine Reihe jüdische Bürger. Der in Birmingham geborene deutschstämmige Jude John Bloch wirkte Anfang der 1890er Jahre in Berlin als Gründer diverser Cricket- und Fußballorganisationen. 1891 gab Bloch die Zeitschrift »Spiel und Sport. Organ zur Förderung der Interessen aller athletischer Sports« heraus. Die journalistische Tätigkeit eines Walther Bensemann wurde bereits gewürdigt. Bensemann gehörte aber auch zu Deutschlands bedeutendsten Fußballpionieren und war an Vereinsgründungen u.a. in München, Frankfurt/M. und Karlsruhe beteiligt. Der Kosmopolit war auch Organisator der ersten Länderspiele einer deutschen Auswahl, die im November 1899 in Berlin eine englische Amateurauswahl empfing.
Als sich am 28. Januar 1900 in Leipzig der Deutsche Fußball-Bund (DFB) konstituierte, befanden sich unter den Federführenden auch die Brüder Fred und Gus Manning, Söhne eines in Frankfurt/M. geborenen jüdischen Kaufmanns. Gus Manning war auch an der Gründung des FC Bayern nicht ganz unbeteiligt gewesen. Einer seiner wichtigsten Kontaktleute vor Ort hieß Josef Pollack, den die Gründungsversammlung zum ersten Schriftführer in der Geschichte des späteren Rekordmeisters wählte.
Gus Manning und Josef Pollack emigrierten noch vor dem Ersten Weltkrieg in die USA, wo Manning seine Funktionärskarriere fortsetze, während Pollack seine beim FC Bayern und Süddeutschen Fußballverband getätigten Funktionärserfahrungen in den Dienst des jüdischen Gemeindezentrums von White Plains stellte. 1948 wurde Gus Manning als erster US-Bürger in das Exekutivkomitee der FIFA gewählt.
Die Sporthistorikerin Christiane Eisenberg schreibt, dass sich unter den erwachsenen Mitgliedern des DFB um 1910 »zahlreiche« Juden befunden hätten.2 Die jüdische Minderheit sei »an wohl allen im Kaiserreich gepflegten Disziplinen auffallend zahlreich und prominent beteiligt« gewesen, weshalb man sagen könnte, »sie assimilierte sich mittels des Sports ins Bürgertum«.3
Die Sportbewegung, und zu dieser gehörte auch der Fußball, war liberaler als die deutschnational, chauvinistisch und antisemitisch besetzte Turnerschaft und übte folglich auf jüdische Aktive eine hohe Anziehungskraft aus.
Am 17.12.1911 feierte auf dem Münchener MTV-Platz mit Julius Hirsch erstmals ein jüdischer Spieler seinen Einstand in der deutschen Nationalelf. Gemeinsam mit seinem Glaubensbruder Gottfried Fuchs und Fritz »Fridder« Förderer bildete Hirsch beim Karlsruher FV das beste Innensturmtrio des deutschen Fußballs vor dem Ersten Weltkrieg. Hirsch und Fuchs spielten auch in der Nationalmannschaft zusammen. Als die DFB-Elf 1912 in Zwolle gegen die Niederlande ein 5:5-Remis erreichte, gingen sämtliche deutschen Tore auf das Konto des jüdischen Duos.
Gottfried Fuchs ist bis heute Rekordschütze der deutschen Nationalmannschaft. 1912 hatte Fuchs bei den Olympischen Spielen in Stockholm zehn Tore zum 16:0-Sieg der Deutschen gegen Russland beigetragen. Bis 2001, als dem Australier Archie Thompson in der WM- Qualifikation gegen Amerikanisch Samoa 13 Tore gelangen, war dies sogar Weltrekord.
Während Gottfried Fuchs dem Holocaust durch Emigration nach Kanada entging, kam »Juller« Hirsch in Auschwitz ums Leben.
Die legendäre Mannschaft von Hakoah Wien, 1928.
Donaufußball und Profifrage
Die Hochburgen des »jüdischen Fußballs« waren allerdings Ungarn, Tschechoslowakei und Österreich. Die Länder des »Donaufußballs« entwickelten sich neben der britischen Insel zu einem zweiten fußballsportlichen Machtzentrum in Europa. Der Fußball dieser Länder befand sich auf einem deutlich höheren Niveau als etwa in Deutschland.
Der Donaufußball war eine eigenständige Fußballkultur, dessen drei hervorstechendste Merkmale lauteten: