den Fußballstadien zu tun als mit der Entstehung des rassistischen Hooliganismus. In den späten Siebzigern und frühen Achtzigern reagierten nichtjüdische Tottenham-Fans auf den Antisemitismus, der sich gegen Spurs-Hooligans richtete, auf eine entwaffnende Weise: Sie beantworteten die beleidigenden ›Yiddos, Yiddos‹-Gesänge, indem sie ebenfalls ›Yiddos, Yiddos‹ zu singen begannen. Sie nahmen den Verhöhnungen die Spitze, indem sie die rassistische Bezeichnung übernahmen und umbesetzten. Ein jüdischer Tottenham-Fan erinnert sich an seine erste Begegnung mit diesem Phänomen: ›Es war 1980 oder 1981. Wir spielten auswärts gegen Manchester United. Da fuhren wir immer ungern hin. Wir kamen ins Stadion, und plötzlich sah ich einen Haufen großer Kerle, Shtarkers (Jiddisch für kräftige Männer). Sie waren Spurs-Anhänger und trugen Atemschutzmasken, aber nicht vor ihren Mündern. Sondern auf dem Kopf, als Kippas. Dann ging die Singerei los: Yiddos, Yid-dos, Yiddos.‹ Du bist ein Yid, und das weißt du auch!, rufen die Tottenham-Anhänger Spielern zu, von denen es heißt, sie würden bald zu ihrem Klub kommen, aber auch solchen, die Tottenham verlassen haben, aber bei den Fans immer noch beliebt sind.«11 Ihrem deutschen Helden Jürgen Klinsmann widmeten die Tottenham-Fans den Song: »Chim chiminee, chim chimineee, / Chim Chim churoo. / Jürgen was a German / But now he’s a Jew!« Sowohl bei Tottenham wie bei Ajax wurden israelische Fahnen zu einem gängigen Fanartikel.
Warum dieses Buch?
Die Idee, die gesammelten Erkenntnisse über das in offiziellen Chroniken in der Regel verschwiegene oder nur mit wenigen Sätzen abgehandelte Wirken jüdischer Mäzene, Funktionäre, Trainer und Kicker zusammenzutragen und der interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, entstand bereits vor nahezu zehn Jahren, im Kontext einer Buchveröffentlichung zum Thema »Fußball und Rassismus«, die sich auch dem Antisemitismus im europäischen Fußball widmete.12
Die Arbeit an einem derartigen Buch, die Spurensuche nach fast vergessenen Namen oder Leistungen, weckt unweigerlich Wehmut und Trauer. Wehmut und Trauer über den ungeheuren Verlust, den der Holocaust – in diesem Falle aus der Perspektive des Sport- und Fußballfans – für die europäische Fußballkultur bedeutete.
Die Generation des Autors dieser Zeilen weiß von Juden häufig nur im Zusammenhang mit dem Holocaust. Über jüdisches Leben in der Zeit vor dem Holocaust, und hierzu zählte auch der Sport, über Juden als gestaltende Mitglieder einer Gesellschaft und ihrer Kultur, ob assimiliert oder nicht, hatte man weder im Elternhaus noch in der Schule irgendetwas erfahren. Juden existierten nur als namenlose Opfer eines wegen seiner gigantischen Dimension unfassbaren Verbrechens. Der Art und Weise, wie Vergangenheit vermittelt und behandelt wurde, wohnte somit eine eigene Art von Schlussstrich-Philosophie inne. Für die große Masse der Bevölkerung war die Beschäftigung mit dem Holocaust in der Regel auch die letzte Beschäftigung mit dem Judentum und seiner Geschichte im eigenen Lande überhaupt.
Seit Beginn der 1990er Jahre ist die jüdische Gemeinde in Deutschland durch Osteinwanderung auf über 100.000 Mitglieder gewachsen. Am 27. Januar 2003, dem Holocaust-Gedenktag, unterzeichneten die Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland und der Zentralrat der Juden in Deutschland einen Staatsvertrag. Dabei handelt es sich um das erste verbindliche Abkommen seit 1945, das das Verhältnis zwischen dem Staat und der jüdischen Glaubensgemeinschaft regelt. Nicht nur auf rechtlicher und finanzieller Ebene, sondern auch auf der symbolischen.
Mit dem Vertragswerk verbindet sich die Hoffnung auf eine Renaissance jüdischen Lebens in Deutschland. Wir hoffen, dass dieses Buch seinen eigenen kleinen Beitrag hierzu leisten kann.
Anmerkungen
1 | Zit. nach Christoph Bausenwein / Bernd Siegler /Harald Kaiser: 1.FC Nürnberg. Die Legende vom Club, Göttingen 1996, S.45 |
2 | Christiane Eisenberg: »English Sport« und Deutsche Bürger. Eine Gesellschaftsgeschichte 1800-1939, Paderborn 1999, S. 180 |
3 | Ebenda, S. 213 |
4 | Guido von Mengden: Schlusswort zum neuen Anfang, in: »NS-Sport« 1/1939 |
5 | »Völkischer Beobachter« – Wiener Ausgabe v. 28.3.1938 Zum Thema ausführlicher: Rudolf Oswald: »Ein Gift mit echt jüdischer Geschicklichkeit ins Volk gespritzt« (Guido von Mengden): Nationalsozialismus, Judenverfolgung und das Ende des mitteleuropäischen Profifußballs, 1938-1941, in: »SportZeiten«, 2.Jg. 2002, Heft 2, S. 53-66 |
6 | Zit. nach John Bunzl (Hg.): Hoppauf Hakoah. Jüdischer Sport in Österreich. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Wien 1987 |
7 | Angaben nach Forschungsprojekt Sozialintegrative Leistung von Fußballvereinen in Bremen (Leitung: Dietrich Milles /W. Ludwig Tegelbeckers): Jüdischer Sport im nationalsozialistischen Deutschland (www.s-port.de/david/ns/index.html) |
8 | Ismar Elbogen/Eleonore Sterling: Die Geschichte der Juden in Deutschland, Frankfurt/M. 1988, S. 297 |
9 | Ebenda |
10 | Bernard Wasserstein: Europa ohne Juden. Das europäische Judentum seit 1945, Köln 1999, S. 327 |
11 | John Efron: Wann ist ein Yid kein Jude mehr? In: »Süddeutsche Zeitung« v. 17.8.2002 |
12 | Beiersdorfer u.a.: Fußball und Rassismus, Göttingen 1993 |
Teil I
Deutschland