nicht immer vorbildlich, jedenfalls wurde nicht selten an die Umgangsformen im Sport und an den gehobenen Status des Vereins erinnert. »Vergessen Sie nicht«, appellierte die Klubführung im Frühjahr 1924, »dass Sie Mitglieder von Tennis-Borussia sind, die auch auf dem Sportplatz ein ihrer gesellschaftlichen Stellung entsprechendes Wesen zur Schau tragen sollen.«
In den Zeitungen kam es nicht zu offenen antisemitischen Hetzen, wie es etwa in Wien der Fall war – der Antisemitismus im Berliner Fußball äußerte sich versteckter, hinterlistiger. Als Tennis Borussia anno 1927 seinen 25. Geburtstag feierte, kommentierte der »Fußball« neidisch die »kapitalistische Periode«, die nach der Inflation über den Verein hereingebrochen sei, wie folgt: »Eine Bombenmannschaft wurde aus allen Winden zusammengeholt und wird noch fortgesetzt durch Zuzug verstärkt. Leider kamen auch einige Kreise in den Klub, die man trotz Autos und Bankkonten lieber nicht gesehen hätte. Die Preußen, heute immer noch Berlins vornehmster Verein, haben weit weniger Villenbesitzer in ihren Reihen als Tennis-Borussia. Die Vornehmheit liegt nicht im Gelde, sondern in der sportlichen Gesinnung.« Schlimmer noch polemisierte Ernst Werner, Chef der »Fußball-Woche«, als er nach dem FIFA-Kongress 1928 den österreichischen Teamchef Hugo Meisl charakterisierte: »Im Plenum ist Hugo Meisl, der Wiener Jude, mit der Geschmeidigkeit seiner Rasse und ihrem zersetzenden Sinn einer der größten Kartenmischer. Er und der deutsche Fußballführer Felix Linnemann – zu Hause ein geschätzter Kriminalist – sind die stärksten Gegensätze, die man sich denken kann. Der eine ein Vertreter des krassen Geschäftema-chens mit Fußball, der andere ein Apostel des Amateurismus.«13
Die meisten Zeitgenossen indes hätten es abgelehnt, im Fall von Tennis Borussia von einem spezifisch »deutsch-jüdischen« respektive »berlinischjüdischen Beitrag« zur Sportkultur in der Weimarer Republik zu sprechen. Auch die Vereinsmitglieder selbst hätten sich vermutlich die Frage nach einer Verbindung zwischen Sportbetrieb und jüdischem Glaubensbekenntnis verbeten. Und so geben auch die »Club-Nachrichten« keinen ausdrücklichen Hinweis auf eine derartige Motivation. Vielmehr wurden viele jüdische Mitglieder erst im Jahre 1933 zu solchen erklärt, als sie ihrer Konfession wegen ausgeschlossen oder zum Rücktritt bewegt wurden. Fraglos besaßen jüdische Sportler und Funktionäre große Verdienste um den Klub, doch erwarben sie sich diese – und darauf hätten sie selbst großen Wert gelegt – nicht als deutsche Juden, sondern eben als Sportler und Funktionäre. Es erscheint daher abwegig, in diesem Verein einen speziellen Ort »jüdischer Identitätsstiftung« zu erblicken, so wie es die Mitglieder der zionistischen Klubs fraglos taten. Dieser Verein propagierte all diejenigen Ideale, die in anderen Sportvereinen des bürgerlichen Lagers ebenso offensiv vertreten wurden: Sport diente als Instrument, er sollte unter anderem Jugendliche zu guten Staatsbürgern erziehen und die, wie sie damals bezeichnet wurde, Volksgesundheit stärken.
Doch sind die Motive der sportlichen Betätigung deutscher Juden in bürgerlichen Vereinen damit wohl kaum ausreichend beschrieben. Der deutsche Jude und Historiker Peter Gay, der in jenen Jahren in Berlin aufwuchs, erblickte in seinem Fan-Dasein im Nachhinein für sich eine Art Überlebensstrategie, die von der Geschichtswissenschaft bislang kaum gewürdigt worden ist. Der Schriftsteller beschreibt den Sport als Feld der Selbstbehauptung und Assimilation, in einem ansonsten als bedrohlich wahrgenommenen Alltag gaben ihm die Sportereignisse wenigstens einen Schein von Normalität. Von 1933 an, schreibt Gay in seinem Buch »Meine deutsche Frage«, sei er ein Fußballfan gewesen (wohlgemerkt nicht von TeBe, sondern von der Hertha), »weil der Sport mir als Schutzschirm diente, der die bedrückende Welt Nazideutschlands von mir fern hielt. Mit ihrem gleichbleibenden Wochenrhythmus sorgte die Fußballsaison in einer Zeit, in der wir gleichsam von einem Tag zum andern, von einer NS-Verordnung zur nächsten, lebten, für eine gewisse Kontinuität.«14 Diente der bürgerliche Verein Tennis Borussia Berlin den assimilierten Juden ebenfalls als geeignete Rückzugsmöglichkeit, als Oase, in der Konflikte, die eine jüdische Konfession ansonsten in vielen Bereichen der Weimarer Republik zweifellos mit sich brachte, keine Rolle spielten? Es spricht viel für dieses Motiv. Selbstverständlich handelte es sich bei den deutschen Juden um eine äußerst heterogene Bevölkerungsgruppe, die nach Ansicht des israelischen Historikers Moshe Zimmermann »ein integraler Bestandteil der deutschen Gesellschaft, keine Enklave oder Exklave innerhalb dieser Gesellschaft, war und deren Angehörige sich in ihrer Gesinnung und Einstellung als deutsche Bürger begriffen«.15 Im Sport aber suchte ein Teil dieser Gruppe offenkundig ein von Konfessionen weniger berührtes Feld der Freizeitbeschäftigung und Assimilation. Kurz: einen Alltag ohne jeden Antisemitismus.
Bei Tennis Borussia scheint dieser Versuch bis 1933 recht erfolgreich gewesen zu sein; unabhängig von Konfession und weitgehend unbelästigt von antisemitischen Auswüchsen bot dieser Verein offenbar seinen jüdischen Mitgliedern eine ideale Plattform der Assimilation. Die »Machtergreifung« im Januar 1933 beendete jäh dieses Modell. Bereits am 11. April 1933 wurde bei Tennis Borussia eine außerordentliche Mitgliederversammlung wie folgt protokolliert: »Die stark besuchte Versammlung, 158 Mitglieder, wird von Herrn Rüdiger eröffnet, der in seiner Rede darauf hinweist, dass die Politik nunmehr auf den Verein Einfluss bekommen hätte und nicht nur die Herren jüdischer Konfession ihre Vorstandsämter zur Verfügung gestellt haben, sondern auch der größte Teil unserer jüdischen Mitglieder ihren Austritt erklärt haben. Er bedauert dies, da sich unter diesen auch einige sehr verdienstvolle Mitglieder befinden.« Zwangsläufig waren einige Gründungsmitglieder des Vereins unter den faktisch Ausgeschlossenen, darunter Alfred Lesser, die Gebrüder Karp und Theodor Sachs. Bereits einen Monat später, am 22. Mai 1933, initiierten einige von ihnen den neuen Klub »Berliner Sportgemeinschaft 1933«. Auf der ersten Generalversammlung im Juni 1933 wählten die rund 200 Mitglieder Alfred Lesser zu ihrem Präsidenten, zu seinem Vize den Bankier Georg Michaelis, Theodor Sachs und Vereinsarzt Dr. Wisotzki wurden in den Spielausschuss gewählt.
Die Makkabi-Bewegung in Berlin
In Berlin konstituierten sich bald weitere Sportvereine, deren Mitglieder sich aus den Verstoßenen des bürgerlichen Sports rekrutierten, etwa der »Verein ehemaliger Schüler« und der »Verein Kaffee König«. Der Wettkampfverkehr mit Vereinen aus dem bald umformierten NS-Sportverband war nun de facto nicht mehr möglich; fortan konnten Lesser und seine alten Weggenossen nur gegen Vereine antreten, deren Mitglieder Juden waren bzw. nach NS-Rassenverständnis als Juden ausgewiesen wurden. Wenn auch nur zögerlich, kam es so zu Kontakten mit Klubs aus der frühen jüdischen Sportbewegung. Grob zusammengefasst, handelte es sich bei ihr um zwei zerstrittene Gruppierungen. Unter dem Dachverband »Schild«, der Sportgruppe des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten (RjF), waren diejenigen Klubs organisiert, die sich auch anhand sportlicher Aktivitäten gegen eine, wie es in der Satzung des RjF hieß, »Herabsetzung ihres vaterländisches Verhaltens im Kriege« wehrte; ein jüdischer Abwehrverein assimilierter deutscher Juden. Die sportlichen Aktivitäten beschränkten sich zumeist auf Kampfsportarten wie Jiu-Jitsu, Fußball wurde kaum betrieben. Die zweite, zweifellos größere Säule jüdischen Sports bereits in der Weimarer Republik waren die Klubs im zionistischen »Makkabi«-Verband. Dieser sah im Sport ganz ausdrücklich ein Mittel zur körperlichen Ertüchtigung, um sich so auf den zu gründenden Staat Israel vorzubereiten.
Während der Weimarer Republik waren aber die wenigsten sportlichen Juden in diesen ausdrücklich jüdischen Sportverbänden und -vereinen aktiv. So zog anno 1929 etwa der deutsche Makkabi, der Dachverband der zionistischen Sportbewegung, eine ernüchternde Bilanz. In der Juni-Ausgabe seines Zentralorgans »Makkabi« wurde festgestellt, dass mit den rund 5.000 organisierten Mitgliedern in 26 Vereinen nur ein Prozent der jüdischen Bevölkerung erreicht worden waren. »Besonders ungünstig«, hieß es weiter, »liegt das Prozentverhältnis in Berlin, wo nahezu die Hälfte der jüdischen Bevölkerung lebt, wo aber der Bar Kochba mit rund 1.300 Mitgliedern nur 0,4 Prozent der jüdischen Bevölkerung umfasst.« Als Grund nannte der Kommentar unter anderem, »dass sich außerordentlich viele Juden noch in den großen paritätischen Turn- und Sportorganisationen«, sprich in konfessionell ungebundenen, »normalen« Sportvereinen betätigten. Wie viele genau, das vermochte keiner zu sagen. Eines aber stand fest: Nirgendwo betrieben so viele deutsche Juden Sport wie in Berlin, und