Sim Leiserowitschs, herrliche Kopfbälle zu ›timen‹«.
Sportliches und gesellschaftliches Engagement für Tennis Borussia
Ein Mythos umgibt diesen Leiserowitsch, und auch die Festschrift zum 100-jährigen Bestehen von TeBe im Jahr 2002 hat ihm ein Extra-Kapitel gewidmet. Dabei war der Fußballstar nur zeitweise Berliner, denn geboren wurde er am 18.8.1891 im Haus Blochmannstr. 10 (das nicht mehr existiert) in Dresden. Sein vollständiger Name lautet Joseph Simon Leiserowitsch. Die Familie, Vater Jacob Movschovitsch Jeduah Leiserowitsch (später trägt er den Vornamen Julius; von Beruf ist er Tabakschneider), Mutter Basse, die Geschwister Luise (geb. 1881), Leopold (geb. 1883) und Bertha (geb. 1886) waren um 1887 aufgrund der Pogrome in Minsk in Weißrussland in die Elbstadt geflüchtet. Es ist anzunehmen, dass Simon Leiserowitsch als Fußballer erst einmal beim SC Dresdenia 1898 in Dresden aktiv war, zumal er sich dort später in den 1920er Jahren als Funktionär betätigte.
1913 jedenfalls, er war mit 22 Jahren im besten Fußballalter, wechselte der Stürmer vom Berliner FC Hertha 1892 zu Tennis Borussia nach Niederschönhausen im Osten der Reichshauptstadt und stand schon bald in der Auswahl von Berlin-Brandenburg. Mitten im Krieg, am 16. November 1916, debütierte Leiserowitsch auf der für ihn ungewohnten Position des Linksverteidigers im Kronprinzen-Pokal gegen Norddeutschland (0:4). Wieder auf Rechtsaußen wie bei TeBe, gewann er 1918 mit Berlin-Brandenburg den Pokal und steuerte einen Treffer beim 6:2 im Halbfinale gegen Südostdeutschland bei. Auch bei den dramatischen Viertelfinals des Bundespokals 1919/20 sah man Leiserowitsch erneut in Aktion, diesmal als Mittelstürmer: Das Berliner Hinspiel gegen Südostdeutschland im Oktober 1919 wurde beim Stande von 6:5 in der Verlängerung wegen hereinbrechender Dunkelheit abgebrochen. Im Breslauer Rückspiel, dem letzten Auftreten von »Sim« in der Auswahl, ergab sich ein 3:4 n.V.
Ab 1921 fungierte Simon Leiserowitsch bei TeBe als Mittelläufer und stand bis in die Saison 1924/25 an der Cicerostraße und anderswo in der 1. Mannschaft der »Veilchen«. Dann gab es 1922 den Abstieg in die Kreisklasse und 1923 den Wiederaufstieg in die Oberliga, womit »Sim« die Laufbahn zumindest in der »Ersten« beschloss. Neben ihm spielte noch ein Leiserowitsch II als Läufer, das war sein Bruder Fritz (geb. 1898 in Dresden), 1922 bis 1925 Mitglied bei der ersten Garnitur der Lila-Weißen und für den Klub, nachdem er wegen einer Verletzung seine Laufbahn beenden musste, auch als Schiedsrichter aktiv.
Als der »Berliner Tennis-Club Borussia« am 19. Oktober 1924 Sportgeschichte schrieb und als erster deutscher Fußballverein nach dem 1. Weltkrieg in Frankreich beim Club Francaise Paris vor 15.000 Zuschauern auf der Buffalobahn antrat und 3:1 gewann, stand Leiserowitsch I zwar nicht im Team, schickte aber ein Telegramm. Die »Clubnachrichten«, Nr. 8/9 1924, berichteten von der Depesche von »Sim Leiser, dem alten Internationalen, der in begeisterten Worten den jungen Tennis-Borussen die Schwere und Verantwortung ihres Handelns vor Augen führte« und »vollen Beifall auslöste«.
Die Franzosen kamen am 19. November 1924 zum Rückspiel nach Berlin, ein Bankett im Spiegelsaal des Hotel Bristol bildete den Höhepunkt. »Kapellmeister Leiserowitsch hatte günstige Bedingungen erreicht«, liest man in den »Clubnachrichten« – gemeint war Simons älterer Bruder Leopold, in Berlin ein bekannter Konzertmeister und ebenfalls bei Tennis Borussia als Funktionär engagiert. Sogar DFB-Präsident Linnemann war beim Bankett Redner, der Reichstagsabgeordnete Ernst Lemmer (DDP, Deutsche Staatspartei, später CDU-Bundesminister) als Vereinsmitglied Gast. Es sprach Dr. Hirschowitz, dessen Name ebenso auf jüdische Vorfahren schließen lässt wie die anderer TeBe-Mitglieder: Ernst Salinger, ein Bankier und früherer Spieler, der die Mannschaft nach Rückkehr aus Paris im Bahnhof Friedrichstraße begrüßt hatte und 1926 verstarb; Karl Selig, Kaufmann; Adler, Kaufmann; Gustav Hirsch; Paul Baruch, Kaufmann; Siegwart Goldstein, Reisender; K. Lippmann, Bankier in Fa. R. Landauer Nachflg.; Hermann Katz, Bankier; Herbert Baruch; Israel Merel; Kurt Lewinsohn; Hugo Loewi; Georg Grünberg; Walter Goldfeld; Alfred Isaacsohn, Kaufmann; Georg Samuel, Kaufmann; Ludwig Rosenblatt. Außerdem Erich Seelig, der spätere Profibox-Champion, der Deutschland verlassen wird und in Paris und New York Weltklasseleute vor die Fäuste bekommt. Der Davidstern und ein hebräischer Schriftzug schmücken übrigens heute die Website des »Ostberliner Fankollektivs von TeBe« (www.scheunenviertel1902.de), denn: »Die Wurzeln von TeBe sind 1. im Osten und sind 2. jüdisch.«
Simon Leiserowitsch wirkt seit 1924 ebenso wie Bruder Fritz als Beisitzer im Spielausschuss von Tennis Borussia mit; der jüngere Bruder vertritt den Verein beim Berliner Verband. 1925 wird die Wahl bestätigt, man tagt im »Nordischen Hof«, »dem Treffpunkt aller Tennis-Borussen«, gegenüber dem Stettiner Bahnhof. In dem Jahr hat TeBe 150 Mitglieder, davon 40 fördernde Mitglieder, und weitere 100 jugendliche Aktive. Weil etliche Spieler wegen Sperren ausfallen, muss Leiserowitsch I beim 3:4 im Heimspiel gegen
Simon Leiserowitsch (2. von rechts) mit der Berliner Stadtauswahl 1920 in Hamburg.
»NNW« (Norden-Nordwest Berlin) noch einmal ’ran. »Leiserowitsch könnte bei regelmäßigem Training immer noch ein erstklassiger Mann sein. So aber fehlte es am Schluss dort, wo es meistens fehlt: an der Kraft und an der Lust!«, berichten die »Clubnachrichten«.
»Sim« ist weiterhin in der Klubfamilie präsent, fotografiert hat man ihn z.B. im Mommsen Stadion anlässlich der internationalen Partie gegen Car-diff City. Man trennt sich 3:3 von Hakoah Wien, das ausschließlich mit Spielern jüdischen Glaubens besetzt ist, und man hat ihn auf dem Preußen-Platz abgebildet, der Trainer des Teams mit Leiserowitsch ist Professor Nerz, später Reichstrainer und noch später für antisemitische Hetztiraden verantwortlich. In den so genannten »Goldenen Zwanzigern« stehen Simon Leiserowitsch und seine Brüder bei Tennis Borussia im Rampenlicht, denn der Verein inszeniert sich immer wieder eindrucksvoll auf gesellschaftlichem Parkett. Beim Bankett nach dem Spiel gegen die berühmten Corinthians aus London sitzen an den langen Tischen auch Boxmeister Kurt Prenzel samt Ehefrau Fern Andra, ein Stummfilmstar, die Chansonette Trude Hesterberg und der Schauspieler Hans Albers. Und Simon Leiserowitsch, so erinnern sich Zeitgenossen, beherrscht grandios den Krakowiak, einen polnischen Tanz im 2/4-Takt, der im Berliner Taumel gerade in Mode ist.
Als Kaufmann ist Leiserowitsch offensichtlich reichsweit unterwegs. Die Wohnung Badensche Str. 15 in Wilmersdorf, einem gutbürgerlichen Viertel, in dem nahe dem Kurfürstendamm viele Juden leben, hat er vermietet und residiert mit Bruder Fritz in Dresden-Altstadt, wo er 1927 als Kartonagenfabrikant registriert wird. Die Kartonagenfabriken sind ein wichtiger Zulieferer in der Zigarettenindustrie-Metropole an der Elbe, man ist um luxuriöse und fantasievolle Verpackungen für die Glimmstengel bemüht. Weitere Wohnsitze hat Simon Leiserowitsch im Bezirk Mitte und im Bezirk Prenzlauer Berg in Berlin, wo auch sein Vater und die Tante Luise leben; Simons Mutter ist 1917 verstorben und auf dem Jüdischen Friedhof Weißensee beerdigt worden. Der ältere Bruder Leopold lebt in der Güntzelstr. 55, gleichfalls in Wilmersdorf, das Haus hat er gemeinsam mit Vater Julius um 1918 gekauft. Auch in Hannover muss »Sim« beruflich zu tun gehabt haben, jedenfalls freut er sich beim Spiel Arminia gegen Tennis Borussia, »viele alte Freunde begrüßen zu können«. Ist er in Berlin, spielt er für die Alten Herren seines Vereins: »Eine große und vor allen Dingen recht willkommene Unterstützung bringt uns das Wiedererscheinen unseres lieben Sim, der immer noch der beste Vertreter unseres wichtigen Mittelläuferpostens ist. Durch sein prachtvolles Aufbauspiel bekommt der Sturm die notwendige Unterstützung« (»Clubnachrichten«).
Am 15. Oktober 1928 meldet die Nr. 10 derselben Zeitschrift, Simon Leiserowitsch sei aus der Fußball-Abteilung ausgetreten. In der Spielzeit 1927/28 hat er noch 27 von 32 AH-Begegnungen bestritten. Was der Grund für den Vereinsaustritt gewesen sein mag, wird man niemals erfahren. Danach engagiert er sich beim SC Dresdenia 1898 in der sächsischen Stadt als Funktionär. Wenn Sportgrößen an der Elbe sind, dann trifft sie Leiserowitsch, so den legendären Langläufer Paovo Nurmi, und Rudolf Harbig wird er auch gekannt haben.
Unstetes Privatleben und Emigration
Privat verläuft sein Leben eher unstet. Aus der Verbindung mit Margarete Doempke geht 1917 der nicht-eheliche Sohn Günter Simon hervor. Manfred, geboren 1921 in Dresden, ist das Kind der Ehe mit der Jüdin Herta Revy, die 1923