spaltete die Frage, ob man weiterhin unter der Schirmherrschaft der Turner kicken oder sich dem Verband Süddeutscher Fußballvereine anschließen sollte.
Der Verband Süddeutscher Fußballvereine (ab 1914: Süddeutscher Fußball-Verband / SFV) war am 17. Oktober 1897 im Karlsruher Restaurant »Landsknecht« gegründet worden. Die dort versammelten Vereinsvertreter kamen aus Karlsruhe, Frankfurt, Hanau, Mannheim, Pforzheim und Heilbronn. Bayern und München waren indes nicht dabei, ein Manko für den jungen Verband und dessen ambitionierte Macher. Bereits 1898 wurde in Süddeutschland eine erste Landesmeisterschaft ausgespielt. Im Finale besiegte der Freiburger FC den Karlsruher FV mit 2:0.
Am 27. Februar 1900 fand eine Versammlung des MTV 1879 im Alt-münchener Gasthaus »Bäckerhöfl« an der Schäfflerstraße (unweit vom Marienplatz) statt, auf der die Anwesenden über ihr Verhältnis zum süddeutschen Verband zu entscheiden hatten. Als dort bekannt wurde, dass sich die Hauptversammlung gegen einen Beitritt zum Regionalverband der Balltreter ausgesprochen hatte, verließen elf Kicker aus Protest den Tagungsort. Die Rebellen zogen in das in der Fürstenstraße gelegene Gasthaus »Gisela« um und gründeten mit dem »Münchener Fußballclub ›Bayern‹« einen eigenständigen Fußballklub. Erster Vorsitzender wurde Franz John, Schriftführer Josef Pollack.
Klub der »Zuagroasten«
Der FC Bayern war, seinem Namen zum Trotze, alles andere als eine bayerische Veranstaltung. Seine Gründer waren ein buntes Gemisch aus Sachsen, Hanseaten und Preußen, darunter auch Juden. Der Klub sollte sich deshalb schon recht bald den Vorwurf einhandeln, ein Sammelbecken so genannter »Zuagroaster« zu sein.
Auch John und Pollack waren keine Einheimischen. Franz Adolph Louis John (1872-1952) war der Sohn eines Postangestellten. Johns Geburtsort hieß Pritzwalk und lag im Verwaltungsbezirk Potsdam. Mit seinen Eltern und seinem älteren Bruder Georg zog John in das 9.000 Einwohner zählende Dorf Pankow am Rande Berlins, wo er sich dem am 18. September 1893 von Dr. Hermani, Leiter der damaligen Pankower »Höheren Knabenschule«, gegründeten VfB Pankow anschloss (heute: VfB Einheit Pankow). Georg John war von 1896 bis 1898 Vorsitzender des VfB, der im übrigen im Januar 1900 zu den Gründungsmitgliedern des DFB gehören sollte. Josef Pollack (1880-1958) war der Sohn des jüdischen Kaufmanns Edward Pollack. Pollack Junior war 1899 aus Freiburg nach München gekommen, wo er sich umgehend dem MTV 1879 anschloss. Zuvor hatte er beim Freiburger FC gekickt. Josef Pollack war auch auf dessen Gründungsversammlung am 17. Dezember 1897 im Freiburger Restaurant »Allgeier« anwesend gewesen, die Gustav Rudolf Manning zum ersten Präsidenten des neuen Klubs wählte.
Mit Gustav RudolfManning (1873-1953) verband den einige Jahre jüngeren Pollack nicht nur der Fußball, sondern auch die jüdische Herkunft. Manning war ein Sohn des aus Frankfurt/Main stammenden jüdischen Kaufmanns Gustav Wolfgang Mannheimer, der ein Unternehmen in der Londoner City besaß. Gustav Rudolf Manning wurde im Londoner Vorort Lewisham geboren. Während seines London-Aufenthaltes ließ Gustav Wolfgang Mannheimer den Familiennamen zu »Manning« »anglisieren«. Als die Mannings nach Deutschland zurückkehrten, ließen sie sich in Pankow nieder, dort, wo auch Franz John zu Hause war. Manning Senior wurde Spielwart des bereits erwähnten VfB, während Gustav Rudolf und sein älterer Bruder Friderich aktiv kickten. 1897 hatte das Medizinstudium Gustav Rudolf Manning nach Freiburg verschlagen. Im gleichen Jahr wurde Manning zum Schriftführer des Verbandes der Süddeutschen Fußballvereine gewählt. In dieser Funktion widmete er sich dem Aufbau des Verbandes in München, wo mit Franz John und Josef Pollack zwei gute Bekannte und Mitstreiter und somit Ansprechpartner für seine Pläne saßen.
Die Gründung des FC Bayern und sein folgender Beitritt zum Regionalverband waren das Produkt einer »langen und sorgfältigen Planung« der beiden jüdischen Fußballenthusiasten Gustav Manning und Josef Pollack, schreibt der Bonner Sporthistoriker und Anglist Heiner Gillmeister, dem wir die meisten Recherchen über die Frühgeschichte des FC Bayern und seiner Pioniere zu verdanken haben.3 Der DFB habe 1900 die Absicht gehabt, »den Weißen Flecken München mit Fußball zu füllen. Treibende Kraft war Gus Manning, erster Schriftführer des DFB und Sohn eines jüdischen Kaufmanns. Er beauftragte Franz John, den ersten Präsidenten des FC Bayern, und Josef Pollack mit der Gründung eines Fußballvereins in München.«4 Franz John viele Jahre später: »Vor allem war es Josef Pollack, … der sich meiner in kameradschaftlicher Weise annahm und mich beim MTV einführte … Zu dieser Zeit war mein Freund und Vereinskamerad Dr. Manning bereits Schriftführer des Verbandes Süddeutscher Fußballvereine. Diesem schrieb ich nun, dass ich in München gelandet und Mitglied des MTV geworden sei. Gott sei Dank, dass du in München bist; denn Bayern, der größte Bundesstaat Süddeutschlands, fehlt uns noch immer in unserem Verband. Alle unsere Bemühungen, Bayern in den Verband zu bekommen, sind stets fehlgeschlagen. Du musst auf jeden Fall nun alles daran setzen, um den MTV zu veranlassen, dem Verband beizutreten.«5
Vier Jahre nach seiner Gründung zählte der süddeutsche Verband erst zwölf Vereine. Dies sollte sich nun ändern. Schon 1904 war der SFV mit 71 Vereinen und ca. 3.000 Kickern der weitaus stärkste Regionalverband im 1900 gegründeten DFB. Im SFV war bald fast die Hälfte aller Bundesvereine organisiert. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs traten dem SFV 574 Vereine mit 59.826 Mitgliedern bei. Berlin und Süddeutschland waren dem Rest des Reiches in organisatorischer Hinsicht weit voraus. Hier saß die Avantgarde des deutschen Fußballsports.
Die Gründerelf des FC Bayern im Jahr 1900. Vorn, mit Ball in der Hand, Josef Pollack.
Nach seiner Gründung bestritt der FC Bayern zunächst einige Trainingsspiele. Erster offizieller Gegner war der 1. FC München, der im März 1900 auf dem städtischen Spielplatz auf der Schyrenwiese mit 5:2 besiegt wurde. Damit der neue Verein gut aus den Startlöchern kam, sorgten Manning und Pollack für Verstärkung vom FC Freiburg. Franz John: »Einige neue Kameraden. Huber, Geiger, Lippl vom TV 1860 kommen zu uns. Kurt Weber aus Dresden, Zimmermann aus Berlin. Alte Bekannte. (…) Dann kommen die ›Abkommandierten‹ aus Freiburg. Schottelius, Specht, Geis, Schilling. Mit der getroffenen Auslese eine für damalige Verhältnisse Bombenmannschaft.«6 Der Allroundathlet Dr. Ernst Schottelius war ein ehemaliger Mannschaftskamerad von Manning und gehörte wie dieser und Pollack zu den Gründern des Freiburger FC. Schottelius war der erste Präsident und erste Mannschaftskapitän in der Geschichte des Deutschen Meisters von 1907.
Am 7. Juli 1900 wurde der MTV 1879 auf dem Schyrenplatz mit 7:1 geschlagen. Die Bayern bewiesen gegenüber den Turnern eindrucksvoll die Vorzüge fußballerischer Unabhängigkeit. Bis 1905 hieß das Münchener Derby nicht Bayern gegen »Sechziger«, sondern Bayern gegen MTV. Ein halbes Jahr nach seiner Gründung war der Klub der »Zuagroasten« bereits die Nr. 1 in der Stadt.
Der FC Bayern erwarb recht bald den Ruf, eine elitäre Adresse zu sein. Er verstand sich nicht als Sportverein, sondern eben als »Club«. Die Spieler trugen aus Frankreich importierte ausgefallene, einheitliche Strohhüte, weshalb die Bayern auch »Kavaliersclub«, ja sogar »Protzenclub« genannt wurden. Modisches, und dies bedeutete zuweilen auch »Fremdes«, wurde begrüßt, man pflegte die Boheme-Kultur. Bis zum Ersten Weltkrieg durfte in der ersten Mannschaft nur kicken, wer mindestens die Mittelschule (»Einjährig-Freiwilligen-Berechtigung«) absolviert hatte. Der Spieler Bender soll das Spielfeld nur mit langer Krawatte betreten haben.
Der FC Bayern war ein Schwabinger Klub und somit in keinem Arbeiterviertel beheimatet. Schwabing war die Gegend der Künstler und Intellektuellen. Von 1890 bis 1914 war Schwabing das Zentrum der Münchener Künstlerszene schlechthin, vor allem jener bunten Boheme, die das gestandene Bürgertum durch ihren avantgardistischen Lebensstil und ihre eigenartigen, manchmal gar revolutionären Ansichten verstörte und zuweilen die Obrigkeit auf den Plan rief. Nicht zuletzt wegen Schwabing avancierte München zum geistigen Gegenpol des wilhelminischen Berlin. Um die Jahrhundertwende galt die bayerische Metropole als Gegen-Hauptstadt für alle, die das wilhelminische