Als kommissarischen Nachfolger von Kurt Landauer wählte eine außerordentliche Mitgliederversammlung am 12. April 1933 zunächst dessen langjährigen Assistenten Siegfried Herrmann. Der gesamte interne Vereinsbetrieb geriet für einige Jahre durcheinander. Die bereits zitierte Vereinschronik: »Viele Männer zogen sich von ihren Ämtern zurück. Andere witterten Morgenluft und glaubten im Trüben fischen zu können. Auch begannen gewisse Kräfte jetzt schon mit dem Wettlauf um die Gunst der neuen Herrscher im Staate. Die Leitung versuchte, sich dem Neuen wenigstens im Sport entgegenzustellen, aber schließlich waren die Ereignisse stärker als der Wille eines einzelnen.«28
Als Siegfried Herrmann 1934 aus beruflichen Gründen zurücktrat, wurde sein Nachfolger der Rechtsanwalt Dr. Karlheinz Oettinger, der jedoch bereits 1935 von Dr. Richard Amesmeier abgelöst wurde. Amesmeier war ein bewährtes Mitglied. Im Gegensatz zu vielen anderen Vereinen drückte sich der FC Bayern noch immer davor, eine ausgewiesene Parteigröße an seine Spitze zu hieven. 1937 war auch die »Ära« Amesmeier vorbei. Neuer »Vereinsführer« war nun der Oberlehrer Franz Nußhardt. Auch Nußhardt trug kein Parteiabzeichen, und auch seine Amtszeit war nur von kurzer Dauer. 1938 wurde der Oberregierungsrat Dr. Kellner als sein Nachfolger bestellt. Erstmals stand nun ein Mann an der Spitze, der für die braunen Machthaber »tragbar« war. Nußhardt blieb dem Klub aber erhalten. Offiziell war er nur noch »zweiter Mann«, aber tatsächlich war es Nußhardt, der das Gros der Vorstandsarbeit bewältigte.
Am 9. April 1943 wurde schließlich der Bankier Sauter vom Gausportwart zum »Kommissarischen Gemeinschaftsführer« ernannt und blieb dies auch bis zum Ende der NS-Herrschaft. Sauter war der Wunschkandidat der aktiven und überzeugten Nazis im Klub gewesen. Nach seiner Amtsübernahme änderte sich das Verhältnis des FC Bayern zur Partei und Stadtverwaltung gewaltig. So marschierten nun bei Veranstaltungen der Bayern SA-Kapellen auf der Aschenbahn, und die gleichgeschaltete Presse begann nun die Erfolge des FC Bayern zu würdigen. Die NS-Herrschaft setzte auch dem internationalen Engagement des FC Bayern ein Ende. Die Zahl ausländischer Gäste wurde immer geringer, und es waren fast nur noch »deutschsprachige Ausländer«, mit denen man sich maß.
Dass der Klub in der Nazi-Zeit zunächst sportlich und finanziell abfiel, hatte zumindest auch damit zu tun, dass ihm noch eine Zeit lang Mitglieder vorstanden, die den braunen Machthabern nicht als ausreichend loyal erschienen und nicht über die nun notwendigen politischen Verbindungen verfügten. Die Lokalrivalen FC Wacker und TSV 1860 setzten deutlich früher Leute an ihre Spitzen, die das politische Vertrauen des Gausportführers besaßen. Beim TSV 1860 hieß der Vereinsvorsitzende vom 7. April 1936 bis zum Ende der NS-Herrschaft Dr. Emil Ketterer. Ketterer gehörte der NSDAP bereits seit 1923 an, war Mitbegründer des Nationalsozialistischen Ärztebundes München-Oberbayern, seit 1931 SA-Mitglied und Abgeordneter im von den Nazis gleichgeschalteten Münchener Stadtrat. Gegenüber Oberbürgermeister Fiehler betonte Ketterer im Februar 1941, »dass ein prozentual großer Teil der Mitgliedschaft sehr früh bei der Fahne Adolf Hitlers zu finden war« – im Gegensatz zu einem anderen Münchener Verein.29
Anders als der FC Bayern, durfte sich der TSV 1860 der uneingeschränkten Protektion durch die braunen Machthaber erfreuen. Wann immer die »Löwen« finanzielle Probleme plagten, durfte sich der Verein der Unterstützung durch die NSDAP-Stadtratsfraktion sicher sein. Dem FC Bayern wurde hingegen nie verziehen, dass er einst ein »Judenclub« gewesen war und seine Nazifizierung zunächst mehr oder weniger sabotiert hatte. Deutlich wurde dies u.a., als der Klub im März 1944 die Südbayerische Meisterschaft gewann. Als der Leiter des Stadtamtes für Leibesübungen, Ludwig Behr, dem Oberbürgermeister Fiehler eine Ehrung der Meisterelf vorschlug, ähnlich der, die der TSV 1860 ein Jahr vorher erhalten hatte, wurde dies mit der Bemerkung abgelehnt, »dass bei 1860 andere Beziehungen zur Stadt bestehen durch die Ratsherrn Gleixner und Dr. Ketterer, (und) dass der FC Bayern bis zur Machtübernahme von einem Juden geführt worden ist…«.30 Anton Löffelmeier, der im Auftrag des Stadtarchivs München die Geschichte des Müchener Fußballs in den NS-Jahren aufarbeitete: »Die Tatsache, dass der FC Bayern viele jüdische Mitglieder hatte, die teilweise in leitenden Funktionen mitarbeiteten, und dass noch dazu ein Jude jahrelang den Verein geleitet hatte und man sich im März 1933 nicht sofort von ihm getrennt hatte, sollte den Bayern das ganze ›Dritte Reich‹ hindurch als Makel anhängen.«31
Auch die Reamateurisierung des vor der Nazi-Herrschaft auf dem Sprung zum Professionalismus befindlichen deutschen Spitzenfußballs machte dem FC Bayern zu schaffen. Zumindest hieß es in der »Fußball-Woche«: »Nicht überall ist die Umstellung vom Spesen-Amateur auf den ›bargeldlosen‹ Amateur von heute auf morgen ohne Verluste möglich gewesen. Besonders schwer scheint es in dieser Hinsicht Bayern München gehabt zu haben. Wie anders sollte man es deuten, wenn Hans Tusch, ein alter Bayern-Freund, im Münchener ›Sport-Telegraf‹ in einem größeren Artikel von einem Umlagerungsprozess der Spielstärke spricht, der bei Bayern am krassesten zum Ausdruck komme und wenn in diesem Aufsatz mit deutlicher Bezugnahme auf die Rothosen von Verfallserscheinungen geschrieben wird. (…) Wenn man das liest, dann darf man wohl die Folgerung ziehen, dass es bei Bayern im Gegensatz zum Lokalrivalen 1860 beträchtliche Schwierigkeiten bei der Umstellung auf das neue Amateurgesetz geben wird.«32
KZ und Emigration
Das Jahr 1938 sah eine Eskalation der Gewaltmaßnahmen gegen Juden, die ihren Höhepunkt in der so genannten Reichskristallnacht fanden. In der Nacht vom 9. auf den 10. November zündeten SA-Männer und Parteiformationen überall im Reich jüdische Gotteshäuser an, demolierten jüdische Geschäfte und Wohnungen. Über 26.000 Juden wurden festgenommen und in Konzentrationslager gebracht. In München waren es ungefähr tausend männliche Juden, die verhaftet, verschleppt, verprügelt und gedemütigt wurden. 24 von ihnen kamen in Dachau ums Leben. Der polnische Jude Joachim Bloth wurde noch in seiner Wohnung von einem SA-Mann kaltblütig erschossen. Einige Juden sahen im Suizid den einzigen Ausweg vor dem braunen Terror. Die alte Synagoge an der Herzog-Rudolf-Straße ging in Flammen auf, und unzählige jüdische Geschäfte und Kaufhäuser wurden demoliert. Einige Monate zuvor war bereits die Synagoge am Lehnbachplatz abgerissen worden – aus »verkehrstechnischen Gründen«, wie es hieß.33
Die jüdischen und ausländischen Besitzer der Münchener Kaufhäuser waren bereits vor der Machtergreifung ins Fadenkreuz der nationalsozialistischen Propaganda geraten. Darunter auch das »jüdische« Kaufhaus Hermann Tietz am Hauptbahnhof (heute Hertie), dessen Firmenmannschaft einst unter dem Dach des FC Bayern gekickt hatte.
Abriss der Synagoge am Lenbachplatz, 1938.
Unter den am 10. November 1938 Verhafteten war auch Kurt Landauer, den die Nazis aus der Wäschefirma Rosa Klauber verschleppten. Landauer wurde ins KZ Dachau gebracht. Im Zugangsnummernbuch des Konzentrationslagers finden sich bezüglich Landauer folgende Angaben: Häftlingsnummer: 20009. Die Spalte »Zugangsdatum« ist bei Landauer leer. Aus dem Vorhergehenden ergibt sich allerdings, dass es der 10. November 1938 gewesen sein muss. Als Haftgrund wird »Schutzhäftling/Jude« genannt, als Beruf »kaufmännischer Angestellter«. Die Adresse wird mit »Klemensstraße 41« angegeben, eine Adresse in Schwabing und in unmittelbarer Nachbarschaft zum ersten offiziellen Bayern-Platz.34
Otto Blumenthal, ein Mithäftling Kurt Landauers, über die ersten Stunden im Lager: »Wir wurden in eine Baracke geführt und mussten unsere Sachen und Kleider abgeben. Sämtliche Seifen, Zahnbürsten und Zahnpasten wurden uns fortgenommen und auf einem Haufen auf der Erde gesammelt. (…) Wir waren nun splitterfasernackt und konnten jetzt sehen, wie