aber auch der »Individualismus« und das »Unvorhersehbare« im Donaufußball seinen Platz. Und gegenüber dem auf Physis setzenden englischen Fußball zeichnete ihn eine gewisse Eleganz und Leichtigkeit aus.
In Österreich, Ungarn und der Tschechoslowakei lebten noch 1937 fast eine Million Juden; der Anteil der Juden an der Gesamtbevölkerung fiel deutlich höher aus als etwa in Deutschland. In Ungarn wurden 1937 ca. 400.000 gezählt, in der Tschechoslowakei 357.000 und in Österreich 191.000. Hinzu kam ihre weitgehende Konzentration in den Städten Budapest, Prag und Wien, den Zentren des Donaufußballs.
Mit dem 1927 erstmals ausgespielten Mitropa-Cup, Europas erstem internationalen Wettbewerb für Vereinsmannschaften und gewissermaßen einem Vorläufer des heutigen Europapokals, besaß der Donaufußball seine eigene internationale Bühne. Vater des Wettbewerbs war der legendäre österreichische Verbandschef Hugo Meisl, Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie aus Mähren. Zum Mitropa-Cup waren die besten Vereinsmannschaften Österreichs, Ungarns, der Tschechoslowakei und Jugoslawiens zugelassen. Später schlossen sich auch noch die Schweiz und Rumänien dem Wettbewerb an.
Der Donaufußball war ein Synonym für »Professionalismus«. In Österreich war es vor allem Hugo Meisl gewesen, der die Legalisierung des Profifußballs gefordert hatte – gegen den Widerstand der FIFA sowie der Opposition im eigenen Land. Auch die 1924 angepfiffene Profiliga war ein Kind des visionären Verbandskapitäns.
Mit dem bezahlten Fußball standen die Nazis ideologisch auf Kriegsfuß. Dabei dürfte allerdings auch eine Rolle gespielt haben, dass die Nazis dem Donaufußball und seinen jüdischen Akteuren Progressivität und Erfolg neideten.
Wie dem auch gewesen sein mag: Für die Ideologen des NS-Sports war der bezahlte Fußball jedenfalls eine »jüdische« Kreation. Als Schalke 04 1939 im Finale der »Großdeutschen Meisterschaft« Admira Wien mit 0:9 unterlag, schrieb Guido von Mengden im »NS-Sport«: »Das Prinzip des Profitums hat in Wien zwangsläufig seine Spuren in der Bevölkerung hinterlassen. Berufssport ist ein Geschäft und ein Geschäft verlangt geschäftliche Methoden, es verlangt Reklame, Stars, Skandälchen und Sensationen. Dieses Gift ist jahrelang mit teilweise echt jüdischer Geschicklichkeit ins Volk gespritzt worden. Der Fußballsport musste darüber notgedrungen in den Augen der Masse mehr eine zirzensische als eine Erziehungsaufgabe werden.«4 Bereits im Frühjahr 1938 hatte die Wiener Ausgabe des »Völkischen Beobachters« anlässlich eines Besuchs des Reichssportführers in Wien geschrieben, dass aufgrund der »Verjudung« die »Verhältnisse im österreichischen Sport (…) untragbar geworden« seien. Nur die »konsequente Reamateurisierung des Profifußballs« könnte die »Allgemeinheit der Volksgemeinschaft« wieder dem Sport zuführen.5
Assimilierte und Zionisten
Metropole unter den Metropolen des Donaufußballs war Wien. In keiner anderen Stadt der Welt existierten so viele exzellente Fußballteams wie hier. Nicht einmal London konnte diesbezüglich konkurrieren. Fast jeder der damals 21 Bezirke Wiens besaß seine eigene Fußballmannschaft und eigene Fußballkultur.
Nach dem Ersten Weltkrieg erhielt der Wiener Fußball noch Verstärkung aus Budapest, als sich eine Reihe von namhaften ungarisch-jüdischen Kickern dem Antisemitismus des autoritären Horthy-Regimes durch einen Wechsel nach Wien entzog. Mit der Austria und dem SK Hakoah verfügte Wien über zwei hervorragende Fußballadressen, bei denen Juden eine bedeutende Rolle spielten. Bedingt durch die Einwanderung verbanden sich in der österreichischen Hauptstadt die besten Elemente der Fußballschulen Wiens, Budapests und Prags.
Während die Austria Lieblingskind des assimilierten Bürgertums und mitnichten rein jüdisch war, avancierte die SK Hakoah zur bis heute größten Nummer unter den nationaljüdischen Vereinen und zur berühmtesten jüdischen Fußballmannschaft. Nicht-Juden waren hier nur als Trainer zugelassen. Die Hakoah kompensierte diese selbst auferlegte Beschränkung ihrer Rekrutierungspolitik, indem sie auch nicht-österreichische Juden anzog. Mitte der 1920er zählte der SK Hakoah zu den weltbesten Klubs. Von 1917 bis 1934 trugen elf Hakoahner das österreichische Nationaltrikot. 1924/25 wurden die Wiener erster österreichischer Profifußballmeister. Ein Jahr zuvor war es der Hakoah-Mannschaft als erstem Klub vom Kontinent gelungen, auf englischem Boden ein englisches Team zu schlagen. Vor Beginn der Meisterschaftssaison 1923 gewann der SK Hakoah Wien beim englischen Topteam West Ham United mit 5:0. Der »Daily Mail« schrieb anschließend voller Bewunderung über die Wiener Gäste: »Sie führten einen wissenschaftlichen Fußball vor. Kein Kraftfußball, kein ›kick and rush‹. Dagegen kombinierten sie prächtig, ohne dem hohen Spiel zu frönen. Sie spielten flach und kombinierten in den leeren Raum. Sie meisterten den Ball im vollen Lauf, im Vergleich zu ihnen hatten die Westham-Leute bleierne Füße. (…) Die Juden waren den Westham-Leuten in zwei Belangen unangenehm, und zwar: Sie waren zu schnell, sowohl im Angriff als auch in der Verteidigung, und zu geschickt.«6
Die Qualität des österreichischen Klubfußballs blieb nicht ohne Auswirkungen auf das Nationalteam, das unter der Leitung des bereits erwähnten Verbandskapitäns Hugo Meisl von Mai 1931 bis Dezember 1932 15 Spiele in Folge ungeschlagen blieb. Zu denen, die die Spielstärke des sagenumwobenen »Wunderteams« zu spüren bekamen, gehörte auch die Mannschaft des DFB, die mit 0:5 und 0:6 zweimal deutlich unterlag. Die größte Sensation gelang den Kickern um Matthias Sindelar allerdings gleich zum Auftakt ihrer Siegesserie, als sie die damals noch hoch gehandelte Nationalmannschaft Schottlands mit 5:0 besiegten.
Auch Meisls jüngerer Bruder Willy schrieb Geschichte. Der Journalist wurde mit Etiketten wie »König unter den Sportjournalisten Zentraleuropas«, »Vater des modernen Sportjournalismus« und »weltweite Nummer eins unter den Fußballkritikern« bedacht. 1955 veröffentlichte Meisl ein viel beachtetes und auch heute noch lesenswertes Buch mit dem Titel »Soccer Revolution«, eine schonungslose Auseinandersetzung mit den Defiziten des englischen Fußballs.
Jüdischer Sport unterm Hakenkreuz
Zwar spielen Juden in Deutschland auch noch nach der nationalsozialistischen Machtergreifung einige Jahre Fußball, allerdings in »ghettoisierter« Form. Der Ausstoß jüdischer Bürger aus den »paritätischen« bürgerlichen Sportvereinen beginnt unmittelbar nach der braunen Machtergreifung.
Bereits um die Jahrhundertwende waren in Europa zahlreiche jüdische Sportvereine gegründet worden, die ihre Namen bei antiken jüdischen Helden wie Makkabi oder Bar Kochba adaptierten oder sich Hakoah (= Kraft) und Hagibor (= Kämpfer) nannten. Das Gros der Juden befand sich aber in paritätischen Vereinen, was ihrem Wunsch nach Assimilation entsprach. Der Anhang der zionistischen Bestrebungen nahm sich dagegen noch recht schmal aus.
Zum Zeitpunkt der nationalsozialistischen Machtergreifung waren nur etwa ein bis zwei Prozent der ca. 500.000 in Deutschland lebenden Juden in rein jüdischen Turn- und Sportvereinen organisiert. Der größte jüdische Sportverband war mit ca. 8.000 Mitgliedern und 23 Vereinen der Deutsche Makkabikreis, der 1921 als erweiterte Neugründung der bereits 1903 konstituierten Jüdischen Turnerschaft (JT) entstanden war. Der Sportbund Schild entwickelte sich 1923 aus dem Reichsbund jüdischer Frontsoldaten (RjF) heraus. Anlass waren die pogromartigen Berliner »Scheunenviertel-krawalle« vom November 1923.