zersetzenden Einfluss auf das Vereinsleben, sei »Schieber hinter der Kulisse« und habe die Sportpresse dominiert.
1945 verhaftet, starb Otto Nerz am 19. April 1949 im Sonderlager Sachsenhausen bei Oranienburg in der sowjetischen Besatzungszone.
Ulm: »Aktiver Betrieb rückläufig«
Ein anderer Traditionsverein des Südens war der Ulmer FV 94, eben 1894 aus dem 1890 gegründeten Ulmer Privat TV hervorgegangen, als sich die Fußballer selbstständig machten. Der UFV, 1939 mit Turnerbund 1846, TV 1868 und SpVgg 1889 zur TSG Ulm 1846 zwangsvereinigt, ist heute vergessen. Er hatte zahlreiche jüdische Mitglieder, wie die Festschrift »125 Jahre SSV Ulm 1846« im Jahre 1971 (und 1996 erneut mit demselben Text) berichtet. So heißt es für 1932/33: »Durchführung der Rassengesetze. Ausscheidung zahlreicher Mitglieder im Verein. Unter ihnen gute alte Freunde und Mitarbeiter, die viel am Aufbau des Ulmer Sports geleistet haben. Viel Unruhe im Verein. Aktiver Betrieb in vielen Belangen rückläufig. Im Fußball Ligaklasse gerade noch erhalten.«
Die »Dokumentation über die Verfolgung der jüdischen Bürger von Ulm«, für die Heinz Keil zahlreiche Emigranten befragte, führt 1961 an: »Fast in allen Erhebungsbogen, die zurückgesandt wurden, ist eingetragen, dass die Befragten dem UFV 94 angehört haben.« Langjähriger Vorsitzender des Vereins (und ebenso Vorsitzender des Ulmer Ruder-Club) ist bis zu seinem Tod der bekannte Arzt Dr. Hugo Wallersteiner, vom Hetzorgan »Der Stürmer« als »Musterjude von Ulm« beschimpft. Sohn Kurt Wallersteiner (geb. 1919), später in den USA Chemiker und Professor: »Auch mir wurde 1933 nahegelegt, meinen Rücktritt vom Ulmer Fußballverein zu erklären, was ich schweren Herzens tat. Rückblickend möchte ich noch sagen, dass im Fußball niemand darauf achtete, welcher Religion und welcher Volksgruppe man angehörte. Es war eine Kameradschaft, die erst mit der Entwicklung der 1930er Jahre langsam ermüdete.«
Der UFV 94 hatte 1929 den Aufstieg zur höchsten Spielklasse erreicht; zu den Akteuren gehörte auch ein Nathanson, ein Name, der auf jüdische Herkunft schließen lässt. Man war führender Fußballklub der Donaustadt und leistete sich einen ungarischen Trainer namens Molnar. Selbst in der Wirtschaftskrise zählte man noch 1.233 Mitglieder, die auch in der Leichtathletik, im Hockey und im Tennis aktiv waren. Die jüdische Hochspringerin (und Sprinterin) Gretel Bergmann schaffte es in die deutsche Spitze; 1936 wird man ihr den Olympiastart verweigern. 1932 wurde der Ulmer FV wieder Kreismeister, Spielertrainer war Georg (Schorsch) Wurzer, später ein bekannter Bundesliga-Coach.
Walter Vollweiler: Von Ulm in die Bronx
Zur Kreismeister-Mannschaft gehört Mittelstürmer Walter Vollweiler, der auch in die süddeutsche Auswahl berufen wird. Der am 17. April 1912 als zweiter von drei Söhnen des Ehepaars Samson und Betty Vollweiler geborene Spieler muss 1933 wie Gretel Bergmann und so viele andere auch den UFV 94 verlassen. Wäre es anders gekommen, vielleicht wäre Vollweiler Nationalspieler geworden. Am 9. Oktober 1932 läuft er beim 4:2 im Leipziger VfB-Stadion gegen Mitteldeutschland im Bundespokal erstmals für Süddeutschland auf; Torhüter Hans Jakob und Erich Fischer vom 1. FC Pforzheim sind bereits Nationalspieler, Willi Tiefel und Willi Lindner von der Frankfurter Eintracht werden es noch. Vollweiler feiert einen tollen Einstand als Mittelstürmer, erzielt in der 16. Minute das 3:0 und in der 53. das 4:1. »Der Fußball« aus München schreibt, Vollweiler sei »die interessanteste Spielererscheinung des Jahres in der Gruppe Südbayern«. Der Bundespokal-Einsatz bringt dem Ulmer »hohe Anerkennung der gesamten Sportpresse«, wie eine jüdische Zeitung festhält. Im Halbfinale aber wird der Ulmer durch Karl Panzner von Bayern Hof ersetzt, und als Süddeutschland am 23. April 1933 den Bundespokal gewinnt, da hätte der Jude Walter Vollweiler den Zeitläuften gemäß gar nicht mehr spielen dürfen. Noch in seiner Ausgabe vom 13.4.1933 hatte das »Israelitische Familienblatt« stolz mitgeteilt, Walter Vollweiler sei von Reichstrainer Nerz zu einem Lehrgang der Nationalmannschaft eingeladen worden. Eine Woche später berichtet dieselbe Zeitung, der Ulmer FV 94 sei »angegriffen« worden (von wem, wird nicht benannt); Stürmer Vollweiler, jüdische Vereinsgründer, Funktionäre und Aktive müssen den Verein verlassen.
Vater Samson Vollweiler, einer von sieben Viehhändlern in Ulm, steht am 1.4.1933 auf der Boykott-Liste der Nazis: »Es darf in Deutschland keinen anständigen Menschen mehr geben, der ab heute noch bei einem Juden einkauft.«
Mitte Mai meldet das »Familienblatt«: »Walter Vollweiler hat seine spielerische Tätigkeit bei Ulm 94 eingestellt und ist Berufsspieler beim Racing Club in Paris geworden.« Das schien unzutreffend zu sein, denn Anfang 1934 heißt es, er sei »vor einigen Monaten« AS Rennes beigetreten. Beim Erfolg von Rennes gegen den Racing Club Paris am 14. Januar 1934 erzielt der 21-jährige Emigrant drei Tore. Leider waren nähere Informationen aus Frankreich nicht zu erfahren.
Die Eltern Samson und Betty sind mit Walter Vollweilers elfjährigem Bruder Heinz 1937 noch in Ulm. In diesem Jahr wird im nahen Städtchen Langenau auf dem Viehmarkt etwas abseits ein gesonderter »Viehhandelsplatz für Juden und Judenknechte« ausgewiesen. Am 11. September 1938 emigrieren die Vollweilers in die USA.
Wieder am Ball sieht man Walter Vollweiler 1942 gemeinsam mit Bruder Kurt in der Eastern District Soccer League in den USA; beide spielen in New York im Sterling Oval in der Bronx für den New World Club, dessen Gegner der ebenfalls jüdische Prospect Unity Club ist, für den Hermann Cohen, der nun Howard Carlton heißt, vom VfR Bochum antritt – »Cohen, der vor acht Jahren vielleicht der beste jüdische Stürmer des Rheinlands gewesen ist« (»Aufbau«). Walter Vollweiler hatte vor der Bronx gewiss andere Kulissen gekannt: Als der UFV 94 im Jahre 1932 im Stadion Ulm ein 3:3 gegen den Deutschen Meister Bayern München erreichte, sahen 10.000 zu.
Mühlburg: »Aufrechte Männer« um einen Sportarzt
Es ist bis in die 1990er Jahre hinein eher die Ausnahme gewesen, dass in Vereinschroniken an die früheren Mitglieder jüdischen Glaubens erinnert wird. Alemannia Aachen hat dies bereits 1950 getan, erwähnt wurden nicht allein die Kriegstoten, sondern mit dem Vermerk »im Konzentrationslager zu Tode gekommen« auch Opfer des Rassenwahns der Nazis.
Eine Chronik des Karlsruher SC-Vorläufers VfB Mühlburg, »dem Club der kleinen Leute«, gibt der Wahrheit ebenfalls die Ehre, in dem der jüdische Sportarzt Dr. med. Fritz Weile (geb. 1897) erwähnt wird, beliebtester Mediziner der Vorstadt. Auszug: »Es war traurig und beschämend zugleich, wie dieser aktive Mann geknickt und zur Untätigkeit verurteilt in irgendeiner Ecke des Sportplatzes stand, nicht allein, wohlbemerkt, denn es gab genug aufrechte Männer, die sich seiner auch unter den neuen Verhältnissen nicht schämten.« Als sich VfB Mühlburg-Schlussmann Egon Becker verletzte, fragte der jüdische Arzt, der aufgrund der Nazi-Gesetze eigentlich gar kein Fußballspiel hätte besuchen dürfen: »Darf ich ’rein und helfen?« Ligaspieler Oskar Deutsch, später Vorsitzender des VfB, in seiner Antwort: »Gehen Sie nur auf den Platz. Den möchte ich sehen, der uns da etwas anhaben will!« Dr. med. Fritz Weile, 1938 Landessportarzt für Baden beim jüdischen Sportbund Schild, emigrierte später in die USA, ebenso der Mühlburger Spieler »Sigi« Hess. Noch einmal die Vereinschronik: »Die Theoretiker der so genannten Rassenlehre hätten es schwer gehabt, gerade an ihm ihre ›Wissenschaft‹ zu beweisen: Siegfried besaß gerade die Eigenschaften, die zu besitzen eigentlich nur den blonden und blauäugigen Germanen vorbehalten war.«
Fußball-Pioniere in Kaiserslautern
Dank der eingehenden Forschungen von Markwart Herzog weiß man zwischenzeitlich auch Näheres über die jüdischen Wurzeln des 1. FC Kaiserslautern, der seit 1909 FV Kaiserslautern und von 1929 bis 1932 FV/Phö-nix Kaiserslautern hieß (»jüdische Bürger aus der Oberschicht haben in der Frühgeschichte des barbarossastädtischen Fußballsports Verantwortung getragen«). Eine wesentliche Persönlichkeit im Verein war Karl Maas (1885-1955), Sohn eines Kaufmannes, der 1910 als »einer von 4 Schriftführern des Renngerichts bei den IV. Olympischen Spielen des FVK« amtierte und im Jahr darauf bei derselben Veranstaltung Schriftführer war. Nach Ende des Ersten Weltkrieges fungiert Maas als Gau- und Kreisvorsitzender des Süddeutschen Fußball-Verbandes und wird mit der Ehrennadel der Organisation ausgezeichnet. 1928 ist er im Spielausschuss für untere Mannschaften, im September desselben Jahres bildet er mit weiteren Mitgliedern die kommissarische Leitung der Fußball-Abteilung. Maas ist 1931 verantwortlich für den Empfang des Bezirksliga-Aufsteigers FVK/Phönix.
Karl