Nach der Gründung der Bundesrepublik im Jahr 1949 wurde die dänische Minderheit in der Kieler Erklärung als gleichberechtigt anerkannt.
Die Mitgliederzahl der dänischen Minderheit stieg weiter an. Mit der dänischen Sprache und Kultur waren Erwartungen an eine neue und bessere Zukunft verknüpft, und die Zahl der dänischen Schulen und Kindergärten stieg, um die Nachfrage zu decken. 1950 bestanden 80 Schulen mit insgesamt 13.239 Schülerinnen und Schülern; 1955 waren es 89 Schulen, jedoch war die Schülerzahl auf 7.722 gesunken. Die Zahl der dänischen Kindergärten stieg von 1950 bis 1955 von 13 (446 Kinder) auf 30 (924 Kinder), und eine größere Zahl einsprachig dänischer Lehrkräfte kam nach Südschleswig. Sie waren für den Unterricht monolingual dänischer Kinder ausgebildet; in Südschleswig, wo viele der Schülerinnen und Schüler Dänisch als neue Zweitsprache erwarben, war diese Unterrichtsform gleichbedeutend mit einer standarddänischen Immersion der Zielgruppe.
Im Laufe der 1950er Jahre fiel die Zahl der Minderheitsangehörigen auf zirka 50.000. Als politische Abmachungen traten die Bonn-Kopenhagener-Erklärungen 1955 in Kraft; vier Monate danach wurde die Kieler Erklärung, die damit überflüssig geworden war, außer Kraft gesetzt (vgl. Kap. 3.3).
Wie der Name andeutet, handelt es sich bei den Bonn-Kopenhagener-Erklärungen um eine Erklärung einerseits der Regierung des Königreichs Dänemark in Kopenhagen und andererseits der Regierung der Bundesrepublik Deutschland in Bonn.
In der Bonner Erklärung (1955), welche sich auf die dänische Minderheit in Deutschland bezieht, wird festgesetzt, dass es jeder Person freisteht, sich als zur dänischen Minderheit zugehörig zu erklären, und dass diese Entscheidung keiner amtlichen Einmischung unterliegt.
In Artikel 5 der schleswig-holsteinischen Verfassung von 1990 ist weiterhin festgelegt, dass nationale Minderheiten und Volksgruppen ein Anrecht darauf haben, geschützt und in ihren Anliegen unterstützt zu werden. Die Zusicherung hat jedoch nicht dazu geführt, dass Dänisch und Friesisch in Schleswig-Holstein als offizielle Sprachen anerkannt wurden; diesen Status hat aktuell nur Deutsch, das nach §82a Landesverwaltungsgesetz Schleswig-Holstein (LVwG SH) Amtssprache in Schleswig-Holstein ist.1 2016 wurde das LVwG SH um §82b ergänzt, der die Verwendung von Regional- und Minderheitensprachen vor Behörden regelt (vgl. auch Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein 2017: 9; 59). Seitdem können im Gebiet der dänischen Minderheit Schriftstücke jeglicher Art auf Dänisch vorgelegt werden; sollte eine Übersetzung ins Deutsche notwendig werden, trägt die Behörde die Kosten (§82b Abs. 4 LVwG SH). Zum mündlichen Gebrauch des Dänischen heißt es:
Verwendet eine Bürgerin oder ein Bürger im Verkehr mit den Behörden eine der Sprachen gemäß Satz 1 oder Satz 2 [d.h., Niederdeutsch, Friesisch oder Dänisch (Erg. d. Verf.)], können diese Behörden gegenüber dieser Bürgerin oder diesem Bürger ebenfalls die gleiche Sprache verwenden, sofern durch das Verwaltungshandeln nicht die Rechte Dritter oder die Handlungsfähigkeit von anderen Trägern der öffentlichen Verwaltung beeinträchtigt wird. (Auszug aus §82b LVwG SH, in dieser Fassung gültig seit 26.10.2018)2
Die Kann-Regelung bringt zum Ausdruck, dass kein Anspruch darauf besteht, in der entsprechenden Minderheitensprache auch angesprochen zu werden (vgl. Kap. 3.3).
Deutsch, die offizielle Sprache, ist größtenteils auch die Muttersprache bzw. Erstsprache der dänischen Minderheit. Diese Entwicklung ist Folge eines bereits langandauernden Sprachwechsels von Dänisch zu Deutsch als dominanter Sprache in der gesamten südschleswigschen Bevölkerung. Ausgehend von den städtischen Gebieten setzte sich dieser Sprachwechsel auch in der ländlichen Bevölkerung durch. Eine deutsche Sprachzählung in Flensborg/Flensburg von 1905 zeigte, dass zu diesem Zeitpunkt nur (noch) 6,6 Prozent der dortigen Bevölkerung dänischsprachig war. Obgleich viele Kinder und Jugendliche mit Deutsch als Erstsprache nach 1920 zweisprachig wurden, da sie Dänisch in Schulen und Vereinen erwarben, hatte das keinen Einfluss darauf, dass Deutsch weiterhin die Familiensprache war. Eine Volkszählung von 1933 ergab, dass in Flensburg und Mittelschleswig 2.826 Personen dänischsprachig und 1.301 Personen bilingual Dänisch-Deutsch waren. Hinzu kamen vermutlich zirka 600 dänischsprachige Ausländer, so dass von etwa 5.000 Personen mit Dänisch als Muttersprache ausgegangen werden kann.3
Während zur Zeit der Weimarer Republik dänische Sprachkenntnisse als ein wesentliches Merkmal der Zugehörigkeit zur Minderheit gesehen wurden (Rasmussen 2011: 91f.), muss Dänisch spätestens seit der Bonner Erklärung nicht mehr Familien- oder Erstsprache sein, damit man der dänischen Minderheit angehören kann. Auch die Mitgliedschaft in einer dänischen Vereinigung ist nicht notwendig. Die Zugehörigkeit zur dänischen Minderheit ist ausschließlich eine Frage der eigenen Entscheidung. Wer sich als zugehörig wahrnimmt, ist Mitglied; wer sich gegen die Zugehörigkeit entscheidet, ist Teil der Mehrheitsgesellschaft.
Nach Kühl (1994: 56ff.) lässt sich die Minderheit mithilfe von konzentrischen Kreisen beschreiben, in deren Mitte sich Dänisch befindet. Im innersten Kreis sind Angehörige der Minderheit anzusetzen, deren Wurzeln in die Zeit vor den Weltkriegen zurückreichen. Im zweiten Kreis befinden sich Dänen, die im 20. Jahrhundert von Dänemark nach Südschleswig zugezogen sind, und ihre Nachkommen. Der dritte Kreis umfasst Familien, die nach dem Zweiten Weltkrieg per Erklärung ihre nationale Zugehörigkeit wechselten und Angehörige der Minderheit wurden. Der vierte und äußerste Kreis bildet den Rahmen um diejenigen, deren Zugehörigkeit zur Minderheit als lose und vor allem als situationsbezogen beschrieben werden kann, zum Beispiel durch die mehrjährige Mitgliedschaft in einem dänischen Sportverein oder durch die Inanspruchnahme dänischer Beschulung oder Kindergartenbetreuung.
3 Rolle und Präsenz der Minderheitensprache in Bezug auf Wirtschaft, Politik, Kultur und rechtliche Stellung
Die sprachbezogenen Rechte, welche bereits die Bonner Erklärung von 1955 der Minderheit zusichert, finden sich in der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen von 1992 wieder; Deutschland ratifizierte diese Charta 1998. Daran anschließend legte die Landesregierung in Kiel 2003 fest, auf welche Weise die Sprachencharta umgesetzt werden sollte. Von amtlicher Seite aus wurden seit 2008 zweisprachige Ortsschilder installiert, und in öffentlichen Verwaltungsräumen und Büros wurden Kennzeichnungen eingeführt, welche auf die sprachlichen Kompetenzen der Mitarbeitenden hinweisen, wie zum Beispiel Dänisch (vgl. oben und Kap. 3.3).1 Desweiteren wurden in verschiedenen Gemeinden Hinweise (Wegweiser u.ä.) zu dänischen Institutionen angebracht (vgl. auch Kap. 7).
Die Rahmenkonvention des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten von 1995 wurde 1997 von Deutschland ratifiziert; sie hat ebenfalls Gültigkeit für die dänische Minderheit.
Diese beiden internationalen Garantien wurden 2010 aktiv von der dänischen Minderheit genutzt. Zu diesem Zeitpunkt wollte die schleswig-holsteinische Landesregierung die Förderung der Schülerinnen und Schüler der Minderheit von 100 Prozent auf 85 Prozent der durchschnittlichen Landesschülerkostensätze kürzen. Nach zahlreichen Verhandlungen von dänischer Seite mit Land und Bund beschloss das Bundesinnenministerium für 2011 und 2012 eine Sonderzuwendung an den Dansk Skoleforening for Sydslesvig als Kompensation für die gekürzten 15 Prozent. Nach den Landtagswahlen von 2012 erkannte die Landesregierung in einer Koalitionsabsprache zwischen der SPD, den Grünen/Bündnis90 und der Minderheitenpartei SSW an, dass die Schulen der Dansk Skoleforening die öffentlichen Schulen der dänischen Minderheit sind; daher wurden die Kostensätze ab 2013 wieder auf 100 Prozent angehoben.
Ein Expertenkommittee der deutschen UNESCO-Kommission setzte 2018 das Zusammenleben zwischen Minderheit und Mehrheit im dänisch-deutschen Grenzgebiet auf die Liste zur Anerkennung als immaterielles Kulturerbe, nachdem vom SSF und dem Bund Deutscher Nordschleswiger (BDN) gemeinsam ein entsprechender Antrag gestellt worden war.2 Im nächsten Schritt wurde am 31. März 2020 ein Nominierungsdossier der dänischen und der deutschen Regierung an die UNESCO weitergeleitet, mit dem die Aufnahme in das internationale UNESCO-Register beantragt wird. Eine ensprechende Entscheidung des Zwischenstaatlichen Ausschusses zum Immateriellen Kulturerbe wird Ende 2021 erwartet.3
3.1 Wirtschaftliche Situation
Die Minderheit verfügt über keine ausgebaute wirtschaftliche