Daniel C. Mattson

Warum ich mich nicht als schwul bezeichne


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hatte. In den 70er- und frühen 80er-Jahren wurde über Homosexualität einfach nicht viel gesprochen, zumindest nicht in meiner geschützten Umgebung. Ich kann mich noch genau daran erinnern, als ich zum ersten Mal erfuhr, was Männer, die andere Männer lieben, am liebsten miteinander machen. Ich fand es heraus in den Mathematikstunden bei Mr Potter in meinem zweiten Jahr an der High School.

      Es war 1985 und die Nachrichten über Aids kamen überall im Fernsehen. Ich begann, mehr und mehr über Schwule zu erfahren, jedoch waren diese Nachrichten meistens mit Gerüchten verbunden, dass diese Menschen an einer schrecklichen neuen Krankheit starben. Es war auch das Jahr, in dem Rock Hudson an Aids starb.

      In jenem Jahr kam auch gerade der neue Film Rambo II heraus und auf skurrile Art und Weise erfuhr ich dadurch, worum es eigentlich beim schwulen Sex ging.

      Als wir uns vor dem Unterrichtsbeginn trafen, sagte einer der Jungs, dass er uns einen Witz erzählten wollte: »Wisst ihr, dass Sylvester Stallone und Rock Hudson zusammen einen Film gedreht haben?«, fragte er.

      »Wie heißt der Film?«, fragte ein anderer.

      »Ramm-Po!« Alle lachten. Mich eingeschlossen. Aber ehrlich gesagt, habe ich den Witz gar nicht verstanden. Trotzdem lachte ich mit den anderen mit und tat erst mal so, als ob ich ihn verstanden hätte.

      Ich lehnte mich dann zu einem meiner Mitschüler hinüber und fragte ihn: »Ramm-Po? Was ist der Witz daran?«

      »Meinst du das im Ernst?«, fragte er mich.

      »Ja wirklich, ich verstehe ihn nicht! Was ist so witzig daran?«

      »Nun ja, du weißt doch, was Schwule machen, oder?«, fragte er.

      »Wovon redest du? Nein, ich hab keine Ahnung!«, sagte ich und wurde jetzt ein bisschen verlegen.

      »Hm, du weißt schon, sie haben doch keinen richtigen Platz, wo sie ihn sich hinstecken können!« Dies sagte er und schaute mich fragend an, ob ich es schon kapiert hätte. »Komm schon, was denkst du, wo sonst sie ihn reinstecken als dort hinein, hm?«

      Allein die Vorstellung fand ich schrecklich und mir wurde fast übel.

      Heute denke ich an diesen Moment zurück und betrachte ihn mit den Augen von G. K. Chesterton, der in seinem Buch Der unsterbliche Mensch von 1925 über die Liebe zwischen Männern im alten Griechenland schrieb. Er schreibt von einem jungen Menschen, der zum ersten Mal von den Mythen von Zeus und Ganymed1 hörte, dem jungen Mann, der von Zeus entführt und zu seinem Mundschenk und Liebhaber wurde. Chesterton schreibt:

      »Jeder junge Mensch, der das Glück hatte, gesund und schlicht in seine Tagträume von Liebe hineinzuwachsen, und der zum ersten Mal von dem Kult des Ganymed hörte, wird nicht nur empört sein, sondern es wird ihm einfach übel werden. Und jener erste Eindruck ist, wie wir das schon so häufig von ersten Eindrücken berichtet haben, der richtige. Unsere zynische Gleichgültigkeit ist eine Täuschung; sie ist die schwerste aller Täuschungen, die Täuschung der Vertrautheit.«2

      Im Jahr 1985 war ich dieser Junge, der unbescholten und naiv mit Tagträumen der Liebe aufgewachsen war. Ich mag Männer attraktiv gefunden haben, aber der Gedanke, mit einem anderen Mann Analverkehr zu haben, war mir nicht ansatzweise in den Sinn gekommen. Ganz im Gegenteil, es war eine ekelhafte Vorstellung für mich. Ebenfalls konnte ich nicht verstehen, dass zwei Männer, die sich liebten, so taten, als ob es die gleiche Liebe wäre wie die Liebe zwischen Mann und Frau. Wie und warum sollte das so sein? Das ergab einfach keinen Sinn für mich.

      Dieser Vorfall in der zehnten Klasse war entscheidend für mein weiteres Leben. Die Abscheu, die ich damals bei dem Gedanken an Analverkehr empfand, war instinktiv richtig. Ich glaube, wenn ich mich damals an diesen ersten Eindruck gehalten hätte, wären mir viel Kummer und Schmerz in meinem späteren Leben erspart geblieben. Zweifelsohne verspürte ich jedoch tief in mir bereits die Neigung zu anderen Männern. Ich habe es mir nicht ausgesucht, mich zu Männern hingezogen zu fühlen, ebenso wenig wie das bei anderen Männern der Fall ist.

      Aber wir haben die freie Wahl. Wir entscheiden selbst, was wir tun oder lassen. Deshalb bin ich mir auch meiner Schuld bewusst. Dass die Neigung zu Männern in meinem Leben immer mehr wuchs, hat sich nicht komplett meiner Kontrolle entzogen. Was dazu beitrug, dass sie Wurzeln in mir schlagen konnte, war eine Menge Pornografie.

       Pornografie: ein verdorbenes Liebesverhältnis

      Ich habe einmal den Ausspruch gehört, dass man abhängig ist, sobald man einmal Heroin konsumiert hat.

      Mein »Heroin« war die Pornografie. Meine Abhängigkeit begann auf einem Pfadfinderausflug. Einer der Jungen in meinem Zelt hatte jede Menge Hardcore-Pornomagazine aus dem Versteck seines Vaters entwendet und mitgebracht. Ich verschlang sie, als ob ich darin die Geheimnisse des Universums entdecken könnte. Lange nachdem die anderen bereits fest schliefen, blätterte ich Seite für Seite durch und saugte alles auf. Es war einer der elektrisierendsten Momente meines Lebens.

      Am nächsten Tag fühlte ich mich schrecklich. Ich wusste, dass es falsch gewesen war, und ich beschloss, so etwas nie wieder zu tun. Aber ich konnte nicht aufhören, an das zu denken, was ich gesehen hatte. Ich wollte mehr sehen – und schien mehr zu brauchen.

      In meiner Zeit war es für Teenager schwer, an solches Material heranzukommen – der einzige Weg war, es über einen Freund zu bekommen oder es irgendwo zu kaufen. Es gab damals noch keine Smartphones. Aber dies schreckte mich nicht weiter ab. Niemand ist so gewitzt wie ein Teenager, der an Pornohefte kommen möchte.

      Eines Tages sah ich auf dem Weg zur Arbeit einen ziemlich heruntergekommenen Laden. Bisher war er mir nie aufgefallen. Irgendwie wusste ich, dass ich hier finden würde, was ich suchte. Und so war es auch. Entschlossen griff ich nach einem der Magazine, die ich auf dem Pfadfinderausflug gesehen hatte, und hoffte, dass der Mann hinter dem Tresen es mir auch verkaufen würde.

      Er tat es. Nervös bezahlte ich, verließ den Laden und steckte das Magazin zwischen mein Hemd und meinen Mantel. Mein Herz klopfte vor Aufregung, als ich die Tür meines Autos öffnete, nach dem Schlüssel suchte und hastig davonfuhr.

      Ich wusste nicht, dass ich gerade die Tür zu einer Gefängniszelle geöffnet hatte.

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      Ich habe mich oft gefragt, wie mein Leben wohl verlaufen wäre ohne die Pornografie. Jahrzehntelang war ich ihr Sklave.

      Pornografie lockt und wirbt und tarnt sich mit einem Schein von Schönheit. Sie versteckt sich hinter einer beruhigenden, berauschenden Maske, die immer schmeichelnd und bezaubernd erscheint und permanent mehr und größeres Vergnügen verspricht. Tatsächlich hypnotisiert sie aber ihre Opfer, sodass diese langsam tiefer und tiefer in den matten Stumpfsinn eines bedingungslosen Gehorsams rutschen. Pornografie ist ein Parasit, der die Freude, das Lachen und das Leben langsam aus einem heraussaugt. Alles, was übrig bleibt, sind Schmutz, Asche und Schmerz.

      So existierte ich: solch ein Schmerz, solch ein Aufruhr, solch eine Schuld und solch ein Leid. Ich war eine solch lange Zeit ein Gefangener. Nichts konnte mich zufriedenstellen. Die Gier nach Pornografie ist unstillbar. Da gab es immer ein Verlangen. Und dieses Verlangen muss immer mit Neuem gefüttert werden.

      Das ist einer der Gründe, warum ich mich der Pornografie mit homosexuellen Inhalten zugewandt habe. Gelegentlich spürte ich den Drang nach einem größeren »Hit«, als mir das gewöhnliche Hardcore-Material einbrachte, das ich kaufte. So besorgte ich mir Pornohefte mit homosexuellen Inhalten – bis sich schließlich mein ganzes Interesse in die andere Richtung drehte. Das Pendel schwang in Richtung Männer, wobei ich gelegentlich auch an Frauen dachte. Sicher ist, dass ich mir nicht bewusst meine Neigung zu Männern ausgesucht habe. Doch ich habe mit tausend Entscheidungen dazu beigetragen, diese Neigung zu verstärken. Pornografie – und meine Fantasie – befruchteten dies noch.

      Der hl. Gregor von Nyssa schreibt: »Und wir sind gewissermaßen unsere eigenen Väter, indem wir uns selbst zeugen nach unserem Willen und aus eigenem Entschluss