Daniel C. Mattson

Warum ich mich nicht als schwul bezeichne


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Schließlich machte ich bereits Scherze, bevor ich daranging, den Ball zu schießen. »Also, hier bin ich wieder! Es wird wahrscheinlich auch dieses Mal nicht klappen, also Jungs, unterhaltet euch hier auf dem Feld nur weiter.« Und wenn ich den Ball nicht getroffen hatte, lachten alle, und ich lachte mit ihnen. Mir wurde klar, dass sie mich nicht auslachten, wenn ich zuerst über mich selbst lachte. Lachen wurde zu einer Maske, die ich mir aufsetzte, um zu bestehen. Herumzualbern war für mich der Weg, um durchzukommen.

      Durch das Herumalbern fand ich eine Gelegenheit, seine Brust zu berühren. Nur daran konnte ich an diesem Tag denken. Es war jedoch nicht nur seine Brust. Ich konnte auch seine Muskeln durch das Netz seines Trikots genau erkennen. Wenn niemand zu mir hinsah, ließ ich meine eigenen Muskeln spielen. Dann schaute ich auf ihn. Ich fühlte mich klein. Seine Arme und seine Brust waren ganz anders als mein dicklicher Körper. Er war schlank. Er war stark. Ich wollte wissen, wie sich das anfühlte.

      So alberte ich mit ihm herum und hänselte ihn, weil er kein T-Shirt anhatte. Vielleicht versuchte ich, seine Brustwarzen zu berühren, wie die anderen Jungen es miteinander taten, aber schließlich konnte ich meine beiden Hände auf seine Brust legen. Ein Schauer durchdrang mich, als ich seine Haut unter meinen Händen fühlte. Ich behielt meine Hände ein wenig zu lange dort, aber ich brachte ihn schnell zum Lachen. Es war nichts passiert.

      »Er wird nicht denken, dass ich komisch bin, oder?«, fragte ich mich besorgt. Sein Lachen beruhigte mich jedoch und ich war mir sicher, dass ich meine Spuren verwischt hatte.

      Ich wusste, dass es falsch und nicht normal war, dass ich seine Brust berühren wollte – sonst hätte ich es nicht geplant und mir Gedanken darüber gemacht, wie ich eine Gelegenheit finden könnte, es zu bewerkstelligen, ohne dass er auf den Gedanken käme, dass mit mir etwas nicht stimmte.

      An diesem Tag war es nach meiner Erinnerung das erste Mal, dass ich mich zu einem anderen Jungen hingezogen fühlte. Ich würde nicht sagen, dass es sexuell motiviert war, aber es ist klar, dass der Keim, der zu meiner gleichgeschlechtlichen Neigung geführt hat, in meinem Leben bereits im Jahr 1976 vorhanden war.

      Wenn ich an jenen Jungen aus der ersten Klasse denke und dies aus der Perspektive des 21. Jahrhunderts betrachte, dann würden viele Leute sagen, dass dies der Beweis dafür sei, dass ich schwul geboren wurde.

      Aber ich sehe es ganz anders. Wir leben in einer Welt, die durch Ursache und Wirkung gelenkt wird. Alles hat eine Ursache. Sogar Dinge, die man schwer erklären kann, haben letztlich einen Grund.

      Mein ganzes Leben lang wollte ich wissen, woher meine gleichgeschlechtliche Neigung kam. In meinem Fall war das angeblich schwer zu Begründende gar nicht so schwer zu erklären.

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      Meine Mutter wollte immer vier Töchter bekommen. Nach drei Söhnen dachten sowohl meine Mutter als auch mein Vater, dass es gut wäre, noch einen Versuch zu unternehmen, um diesen Wunsch erfüllt zu bekommen. Ich war jenes Baby, das sie sich gewünscht hatten, und als die Schwangerschaft ihren Verlauf nahm, planten sie alles für ein Mädchen.

      Es war eine schwere Geburt. Nach drei Kaiserschnitten war die Gebärmutterwand meiner Mutter sehr dünn. Deshalb musste bei meiner Geburt ein weiterer Kaiserschnitt gemacht werden. Sie blutete sehr stark, aber bald erblickte ich das Licht der Welt und der Doktor rief aus: »Es ist ein Junge!«

      Meine Eltern nahmen den Sohn, den Gott ihnen geschenkt hatte, gerne an. Aber wegen medizinischer Komplikationen konnte meine Mutter keine Kinder mehr bekommen. Ich war ihr letztes Kind. Ihr Traum von einer Tochter war ausgeträumt.

      Aber meine Mutter dachte immer noch daran, was möglich gewesen wäre. An einem Samstagnachmittag im Sommer, als ich drei oder vier Jahre alt war, hatten meine Eltern meine Tante Annie und meinen Onkel Jim zu einer Grillparty eingeladen. Ihre beiden Söhne, Jimmy und Robby, kamen mit ihnen. Jimmy war ein Jahr älter als ich, Rob ein Jahr jünger.

      Meine Mutter und Tante Annie zogen mich zu sich hin. Ich trug ein Stirnband, welches mein Haar von meinen Augen fernhielt.

      »Du hast seine Haare so lang wachsen lassen, Janny!«, sagte meine Tante. »Möchtest du aus ihm einen Hippie machen?«

      »Natürlich nicht! Aber er hat so schönes Haar, oder nicht?«, sagte meine Mutter, als sie mit ihren Fingern durch meine Haare strich. »Weißt du, mit diesem Haar könnte man einen hübschen Pferdeschwanz machen, meinst du nicht? Lass es uns ausprobieren. Nur um zu sehen, wie er aussehen würde, wenn er doch ein Mädchen geworden wäre.«

      Als sie einige Gummibänder gefunden und mein Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden hatten, waren sie ganz entzückt. Ich sah aus wie ein kleines Mädchen und stolzierte vor ihnen hin und her.

      Meine Brüder sahen, was vor sich ging. Es gefiel ihnen nicht. »Mutter! Was machst du da? Er ist ein Junge, kein Mädchen!«

      Meine Cousins schauten sich die Szene an und waren dabei etwas verwirrt. Sie waren viel zu jung, um zu verstehen, was hier vor sich ging. Ich erinnere mich an jenen Tag, einen der wenigen meiner Kindheit, an den ich mich genau erinnere. Ich weiß noch, dass ich die negative Aufmerksamkeit meiner Brüder nicht mochte. Es fühlte sich für mich irgendwie schlecht an, obwohl ich nicht wusste, warum. Ich war ja noch ziemlich jung. Sogar mein Onkel Jim erinnerte sich an diesen Tag, der so lange zurückliegt. Beim letzten Familientreffen sprach ich dieses Ereignis in seinem Beisein an und er erinnerte sich, dass er damals zu meiner Tante Annie gesagt hatte, dass sie so etwas bei einem ihrer Jungen nicht tun sollte. Er wusste, dass es falsch von einer Mutter war, einen Sohn so zu behandeln.

      Wir leben in einer Welt, in der uns gesagt wird: »Schwul zu sein ist nur eine normale Variante der menschlichen Sexualität.« Im Gegensatz zu dem Bild, das uns über die Homosexualität vorgestellt wird, sehe ich eine klare Abfolge von Ereignissen in meinem Leben, die mich letzten Endes auf den Weg der gleichgeschlechtlichen Neigung geführt haben. Ich bin überzeugt, dass diese Art von Vorfällen, die das eigene Geschlecht infrage stellen, wie Hänseln, Schikanieren, Sich-schwächer-und-weniger-athletisch-Fühlen als andere Jungen zusammen mit vielen anderen Ereignissen in meinem Leben zu einer Brutstätte wurden, in der meine gleichgeschlechtliche Neigung wachsen und gedeihen konnte.

      Eine Mutter, die ihrem Sohn willkürlich Zöpfe flicht, trägt nicht deshalb schon dazu bei, dass dieser Junge sich später mehr für Männer als für Frauen interessiert. Ein Junge, der beim Kickball den Anforderungen dieser Sportart nicht entspricht, wird nicht schon dadurch den Wunsch, Sex mit einem anderen Mann zu haben, verspüren. Natürlich waren dies nicht die einzigen Dinge, die sich ereigneten, als ich jung war. Da gab es noch etwas, was in der Scheune geschah.

       Die Scheune

      Mein Vater war durch und durch ein Junge vom Land, obwohl wir in der Stadt lebten. Als Kind verbrachte er seine Sommerferien bei seinen Onkeln und Tanten auf der Halbinsel Stonington auf einer Landzunge, die in den Michigan See hineinragt und östlich von der kleinen Bucht von Bay de Noc liegt. Er hatte ihnen geholfen, das Land zu bebauen, Heu zu machen und Holz zu schlagen in den Wäldern, die der Familie gehörten. Die Landwirtschaft lag ihm im Blut. Deshalb baute er eine Scheune im Garten hinter dem Haus.

      »Die Scheune von Mort« war Gegenstand des Geredes in der Nachbarschaft. Alle Kinder beobachteten mit Staunen, wie aus dem Betonmischer flüssiger Beton für das Fundament und den Fußboden entladen wurde. Eine Woche später diente der neu gegossene Fußboden der Scheune allen in der Nachbarschaft als Rollschuhbahn und auch als Zeichenfläche für eine intensive Kreidebemalung.

      Langsam nahm das Gebäude Gestalt an. Die Väter aus der Nachbarschaft halfen beim Bau mit. »Wir sind dabei, unsere eigene Scheune zu bauen!« Sie erzählten einander Witze und machten Späße, während sie den Rohbau errichteten.

      Wir Kinder folgten den Arbeiten. Mit jedem neuen Element erfanden wir ein neues Spiel. Wir schlängelten uns durch die 0,65 Meter mal 1,20 Meter großen Elemente des Gerüsts, als ob wir an einem Hindernisrennen teilnehmen würden.

      Das Dach nahm Form an, der First wurde eingebracht und bald war