Pete Walker

Das Tao der Gefühle


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trauern können … sind wir dazu verdammt, sie zu wiederholen.

      Wenn wir tatsächlich über die Verluste unserer Kindheit trauern, kommen natürlich alte, unausgesprochene Vorwürfe wieder an die Oberfläche. Es besteht in der Regel wenig oder gar keine Notwendigkeit, diese Gefühle unseren Eltern gegenüber direkt zu zeigen, es sei denn, sie sind immer noch aktiv missbrauchend. Vorwürfe können auf sichere und nicht verletzende Weise ausgedrückt werden, ohne dass unsere Eltern anwesend sind. Bei meiner persönlichen Genesungsarbeit und in meiner privaten Praxis habe ich bei vielen Gelegenheiten erlebt, wie diese Form des Ausdrucks auf wundersame Weise Raum für echte Gefühle der Vergebung geschaffen hat. Wenn diese wunderbare Transformation stattfindet, geschieht Folgendes:

      Schmerz ohne Erinnerung wird durch Erinnerung ohne Schmerz ersetzt.

      — Anne Hart

      Zum Schluss sei gesagt, dass einige Eltern vielleicht so grausam waren, dass Vergebung keine Option ist. Dennoch ist es wichtig, das Schuldhafte ihrer Perversität aufzudecken und auszudrücken, denn unausgesprochene Schuldzuweisungen blockieren in der Regel all unsere Gefühle der Vergebung – sowohl der Selbstvergebung als auch der Vergebung gegenüber wichtigen anderen Menschen.

      Spatz, deine Botschaft ist klar: Es ist nicht zu spät, um zu singen.

      — Tess Gallager

      Viele von uns sind ängstlich, wenn sie zum ersten Mal den Gedanken einer emotionalen Genesung in Betracht ziehen. Fühlen zu lernen ist manchmal genauso beunruhigend wie die Anpassung einer Prothese. Doch auch wenn die Beherrschung einer Prothese anfangs erhebliche Unannehmlichkeiten verursacht, würden nur wenige einen Bogen um die schwierige Anpassungszeit machen, die nötig ist, um die von einem solchen Gerät gebotene Mobilität wiederzuerlangen. Die Neu-Anpassung der Gefühle mag zunächst ähnlich unangenehm erscheinen, doch ich glaube, dass die Vorteile der wiederhergestellten Empfindungsfähigkeit sogar noch größer sind als die Wiederherstellung der Geh-, Tanz- und Fahrfähigkeit mittels einer Prothese.

      Je ganzheitlicher wir uns emotional entwickeln, desto mehr verbessern sich auf natürliche Weise unsere Gesundheit und Vitalität. Wenn wir uns von alten, ungelösten Traumata befreien, wird die Energie, die verschwendet wurde, um die Vergangenheit in Schach zu halten, frei, um den Lebensalltag zu feiern.

      Wiedergefundene Gefühle beleben unsere Empfindungen, reinigen die Filter unserer Wahrnehmung und erneuern unser ästhetisches Bewusstsein. Dies bringt uns auf natürliche Weise dazu, unser Tempo zu verlangsamen und uns in dem uns eigenen Vermögen, Ehrfurcht vor der Schönheit zu empfinden, zu entspannen. Mary Oliver fängt diese Möglichkeit in ihrem wunderbaren Morgengedicht ein.

      Jeden Morgen

      wird die Welt

      erschaffen.

      Unter den orangefarbenen

      Stäben der Sonne

      verwandelt sich

      die aufgehäufte Asche der Nacht

      wieder in Blätter

      und heftet sich an die hohen Äste –

      und die Teiche erscheinen

      wie schwarze Tücher,

      auf die Inseln

      von Sommerlilien gemalt sind.

      Wenn es deine Natur ist …

      Wirst du stundenlang

      auf den sanften Spuren dahinschwimmen,

      Deine Imagination wird sich überall niederlassen.

      Und wenn dein Geist

      den Dorn,

      der schwerer als Blei ist,

      in sich trägt –

      wenn es alles ist,

      was du tun kannst,

      um dich weiterzuschleppen –,

      dann gibt es

      irgendwo tief in dir

      noch ein wildes Tier, das ruft, dass die Erde

      genau so ist, wie sie es wollte –

      jeder Teich mit seinen lodernden Lilien

      ist ein Gebet, das jeden Morgen

      gehört und üppig beantwortet wird,

      ob du dich jemals getraut hast

      zu beten oder nicht.

      Ganzheitlich empfindende Menschen erleben auch in ihren Beziehungen eine zunehmende Bereicherung – sowohl sich selbst als auch anderen gegenüber. Liebe manifestiert sich als wahrnehmbare Wärme und Begeisterung, wenn sie im Herzen und im Körper durch Gefühle geerdet ist. Emotionale Liebe ist so viel tiefer als das Leichtgewicht intellektueller Erfahrungen gedankenverbundener Menschen, für die Liebe oft nur ein Ideal, ein Traum oder eine Sehnsucht ist.

      Erwachsene Kinder profitieren in hohem Maße davon, falsche, destruktive Überzeugungen bezüglich Vergebung, Schuld und Emotionen zu hinterfragen und zu überwinden. Das Leben ist unnötigerweise so viel schmerzhafter, wenn wir hassen, uns schämen und uns selbst ablehnen, weil wir uns nicht »gut genug« fühlen. Wenn wir im Erbe unserer Familien gefangen bleiben, die alle Gefühle außer den erhabensten verachten, werden wir uns selbst oder anderen vielleicht nie authentisch vergeben können.

      Kapitel 2

      Vergebung als Verleugnung

      Die Gewohnheit, nicht hinzuschauen und über das Leben zu lügen, hat sich wie eine Klette an die amerikanische Seele gehängt.

      — Robert Bly

      Man kann es sich zu eigen machen, aus Selbstschutz nicht nachzudenken, nicht wahrzunehmen und nicht zu überlegen, was die eigenen Vorstellungen und Gefühle bzgl. des Lebens sind, um die schmerzhaften Seiten zu vermeiden.

      — Elvin Semrad

      Viele unter uns werden genötigt, eine verfrühte und leere Form der Vergebung zu wählen, wenn sie Schuldgefühle hervorrufende Äußerungen hören wie: »Wann hörst du endlich auf, wegen deiner Kindheit zu weinen?« »Meinst du nicht, es ist Zeit, deine Eltern aus der Verantwortung zu entlassen?« »Warum lässt du die Vergangenheit nicht Vergangenheit sein und lebst einfach weiter?« »Weißt du, was dein Problem ist? Du bist einfach nicht sehr versöhnlich.«

      Es ist oft schwer, solch schädlichen Provokationen zu widerstehen. Das Konzept der Vergebung wird häufig als ein wunderbares Werkzeug der Genesung hingestellt und als Allheilmittel für all unsere Probleme, insbesondere wenn es um Liebe und Intimität geht. Wenn wir uns nur entscheiden könnten zu vergeben, dann wären wir vom Schmerz der Einsamkeit und Trennung befreit.

      Überlebende sind besonders anfällig für diesen schädlichen Rat, wenn sie zum ersten Mal ihre gesunde Wut über die Vergangenheit zu spüren beginnen. Anstatt ihre Wut als Bestätigung dafür zu erleben, wie schlecht ihre Eltern für sie gesorgt haben, umgehen sie oft ihre Genesung, indem sie ihre Gefühle gnadenlos gegen sich selbst wenden:

      Was stimmt nicht mit mir? Warum kann ich nicht verzeihen? Wenn mit mir alles in Ordnung wäre, hätte ich meinen Eltern schon längst vergeben. Ich bin wirklich ein schlechter Mensch. Kein Wunder, dass mich niemand liebt! Kein Wunder, dass mein Leben solch ein Chaos ist. Ich habe beschlossen zu vergeben. Ich glaube, ich verzeihe. Ich habe vor, mich für Vergebung zu entscheiden … aber ich fühle mich immer noch einsam! Ich schätze, ich mache nie etwas richtig. Ich kann nicht einmal verzeihen!

      Wenn wir uns für Vergebung entscheiden, indem wir unseren Ärger über die elterlichen Ungerechtigkeiten runterschlucken, gleiten wir in den psychischen Nebel der Verleugnung. Verleugnung ist