Pete Walker

Das Tao der Gefühle


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4). Unter dem Einfluss dieses Flashbacks erlebte ich die furchtbare Angst, dass mein Vater am Tisch meinetwegen ausrasten würde.

      Bei genauerer Betrachtung stellte ich fest, dass ich mich mit ihm zusammengetan hatte und in einem internen Sturm der Selbstbeschimpfung feststeckte. Ich schnauzte mich an, mit der ganzen Litanei an Kritikpunkten, mit der er mich bei fast jedem Familienessen attackiert hatte. Kaum wahrnehmbar, an der Schwelle des Bewusstseins, schreckte ich vor dem Echo einer Schmährede zurück, die ich so oft von ihm gehört hatte:

      Was glaubst du, wer zum Teufel du bist, dass du so wählerisch sein kannst? Du wirst das Fett essen, sonst zwinge ich dich dazu, es zu essen. Du musst immer eine Extrawurst haben. Warum kannst du nicht wie alle anderen sein? Wenn du nicht aufhörst, mit dem Fleisch herumzuspielen, schlage ich dich windelweich.

      Schlimmer noch als diese Wiederholung seiner schikanierenden Rede waren die schreckliche Angst und Besorgnis, die durch diese Worte wieder ausgelöst wurden. Innerhalb von Sekunden brachte mich die harmlose Verletzung einer ungerechtfertigten Regel aus der Kindheit – die seit über dreißig Jahren keine Anwendung gefunden hatte – dazu, es mir nicht mehr gut gehen zu lassen, sondern mich so sehr zu hassen, dass ich nicht schnell genug von mir wegkommen konnte.

      Glücklicherweise konnte ich diesen Prozess aufgrund der Genesungsarbeit, die ich zu diesem Thema geleistet hatte, hinterfragen (siehe Kapitel 7). Ich kehrte den Prozess um, indem ich wütend auf die lächerliche Regel meines Vaters bezüglich Fleischfett verzichtete und stattdessen zu einem bestätigenden, positiven Selbstgespräch überging. Als meine Wut diese erlernte Selbstschädigung zum Stillstand gebracht hatte, spürte ich eine große Welle der Trauer über die unzähligen Male, die ich mir selbst wehgetan hatte, indem ich seine auswendig gelernten Verurteilungen nachplapperte.

      Wie viele Tausend Male zuvor war ich unbewusst in den »Selbstzerstörungsmodus« abgerutscht. Wie oft war meine entspannte Freude an einer Aufgabe sofort dadurch unterbrochen worden, dass ich das Urteil meiner Eltern wiederholte, es nicht richtig gemacht zu haben? Wie oft hatte ich mich nicht getraut, etwas auszuprobieren, weil ich ihre widerhallenden Sticheleien zuließ, dass ich »zu nichts gut sei«?

      Kein Wunder, dass ich früher so sehr unter Leistungsangst litt. Kein Wunder, dass ich nie einen Moment der Ruhe finden konnte. Ich wurde ständig von den mentalen und emotionalen Schmerzen dieser unaufhörlichen Selbstmisshandlung verfolgt. Meine einfachsten Gedanken und Handlungen waren ständig dieser grausamen, harten Missbilligung unterworfen. Die Verleugnung des missbräuchlichen Verhaltens meiner Eltern machte mich blind dafür, dass ihre Kritik in mir ein Eigenleben entwickelt hatte. Das Leugnen machte mich machtlos, diese schädliche Indoktrination gegen mich selbst zurückzuweisen.

      Ich bin unsagbar dankbar, dass die Arbeit an meiner Verleugnung mich in die Lage versetzt hat, diese Dynamik zu verstehen. Wie wohltuend erleichtert war ich, dass ich diesem unwillkommenen Eindringen der Vergangenheit abschwören, mich von der damit einhergehenden Angst durch Trauern lösen und mich wieder entspannt an die Fertigstellung meiner Mahlzeit machen konnte. Hätte ich nicht gewusst, wie ich mit dieser üblen Einmischung aus der Vergangenheit umgehen sollte, hätte ich wahrscheinlich ängstlich mein Essen runtergeschlungen, um mich für den Rest des Tages in ablenkende Aktivitäten zu stürzen, wie ich es in der Vergangenheit so oft getan hatte.

      Ich glaube, dass viele Überlebende durch diese Art emotionaler Flashbacks und die sie begleitenden schädigenden Selbstgespräche aus ihrem inneren Gleichgewicht gerissen werden. Wenn wir uns unserer Verleugnung stellen und die Einzelheiten unserer Einschüchterung und Kontrolle erkennen, können wir damit beginnen, die Angewohnheit zu überwinden, die Verachtung unserer Eltern nachzuahmen.

      Vorschnelle Vergebung ist die Entscheidung, unseren Eltern zu vergeben, bevor wir das Ausmaß des Schadens, den sie uns zugefügt haben, gründlich erfasst haben. Diese Entscheidung bringt den Genesungsfortschritt meist zum Stillstand, da sie das Abrufen von Erinnerungen blockiert, die wir brauchen, um uns konkrete Ziele für unsere Genesung zu setzen. Vorschnelle Vergebung ist falsche Vergebung, weil sie nicht auf der Basis von Genesungsarbeit stattfindet, die erforderlich ist, damit Vergebung emotional echt ist.

      Falsche Vergebung lässt uns in dem Glauben, dass unser schlechtes Selbstbild und unser gehemmter Selbstausdruck eher angeborene Charakterfehler als Produkte schlechter Erziehung sind. Sie zwingt uns dazu, den Schmerz dieser Zustände zu verharmlosen und ständig in ungelöster Kindheitskrise und schlechtem Selbstwertgefühl zu verharren.

      Vorschnelle Vergebung ist häufig eine reflexartige Reaktion auf die intensiven Vorwürfe, die hochkommen, wenn wir unsere Verleugnung der Vergangenheit zum ersten Mal infrage stellen. Den meisten von uns wurde eingeimpft, dass nur in übler Weise undankbare Kinder die Erziehungsleistung ihrer Eltern infrage stellen.

      Viele Überlebende aus dysfunktionalen jüdischen und christlichen Familien wurden ebenfalls in der Weise indoktriniert, dass das Klagen über die eigenen Eltern eine Sünde sei – ein Verstoß gegen das »heilige« vierte Gebot: »Ehre deinen Vater und deine Mutter.« Die Nonnen haben mir immer wieder gesagt, dass es in der Hölle einen besonderen Platz für diejenigen gibt, die »schlechte« Gedanken oder Gefühle für ihre Eltern haben.

      Viele erwachsene Kinder fühlen sich sehr unbehaglich, wenn sie das erste Mal die nicht-idealisierte Wahrheit über ihre Eltern aussprechen. Die bloße Schlussfolgerung, dass unsere Eltern uns gegenüber ihre Pflicht vernachlässigt haben, kann uns das Gefühl geben, dass wir kurz davor stehen, vom »Zorn Gottes« vernichtet zu werden.

      Ich glaube, das vierte Gebot ist uns in einer sehr repressiven, dogmatischen Form überliefert worden. Es ist ein Zerrbild jüdisch-christlicher Sitten, wenn das Gebot, Vater und Mutter zu ehren, so häufig zu der unwidersprochenen Akzeptanz nicht tolerierbaren Verhaltens verzerrt wird. Es ist, als ob das Gebot eigentlich sagt: »Ehre deinen Vater und deine Mutter, egal wie sehr sie dich verletzen.«

      Bei der Vorstellung, dass viele Überlebende aus blinder Treue zu diesem Gebot ihre Kinder der »Obhut« der noch immer misshandelnden Großeltern überlassen, zucke ich innerlich unweigerlich zusammen. Ich bin einer Reihe von Überlebenden begegnet, die durch ihre eigene Verleugnung so benommen sind, dass sie ihre Kinder mit demselben Elternteil allein lassen, der sie in der Kindheit misshandelt hat. Ich denke, das vierte Gebot sollte neu übersetzt werden als »Ehre deinen Vater und deine Mutter, wenn sie dich ehren«.

      Die Liebe ist in der Tat so widersprüchlich geworden, dass einige derer, die das Familienleben erforschen, zu dem Schluss gekommen sind, dass »Liebe« einfach die Art und Weise bezeichnet, wie mächtigere Familienmitglieder andere Mitglieder kontrollieren. Liebe, so Ronald Laing, ist oft ein Deckmantel für Gewalt.

      — Rollo May, Love and Will

      Vorschnelle Vergebung bringt das innere Kind zum Schweigen, so wie biologische Eltern das wirkliche Kind zum Schweigen bringen. Viele von uns verbieten ihrem inneren Kind und damit auch sich selbst weiterhin ihre grundlegendsten Rechte und Bedürfnisse. Wir beschämen und hassen unser inneres Kind regelmäßig, wenn es sich beschwert, fühlt, Empfindungen zeigt oder mehr als das Nötigste braucht. Vorschnelle Vergebung hält die anhaltende Retraumatisierung und das Gefühl der Verlassenheit unseres inneren Kindes aufrecht.

      In der »Bill of Rights« werden in Bezug auf die Selbstentfaltung Rechte benannt (Anhang B), die Kindern üblicherweise verweigert werden und die ausschließlich den Eltern zustehen. Ein Großteil unserer Kindheitstraumata geschah, als wir für unsere instinktiven Versuche, diese Rechte auszuüben, bestraft wurden. Viele leiden immer noch unnötigerweise darunter, dass sie auf solche Grundrechte wie das Recht, Nein zu sagen, das Recht, mit Respekt behandelt zu werden, und das Recht auf eigene Gefühle, Meinungen und Vorlieben verzichten. Unsere Gesundheit und unser zukünftiges Gedeihen hängen davon ab, dass wir diese Rechte einfordern und ausüben.

      Erwachsene Kinder können die »Bill