ich schließlich eine Freundin hatte und dadurch die offensichtliche Zustimmung aller in meinem unmittelbaren Umfeld fand, fühlte ich mich mit niemandem ungezwungen. Ich zog mich immer noch aus Gewohnheit in die Abgeschiedenheit meines Zimmers zurück, wenn ich mich gefühlsmäßig in einem Zustand befand, der zu überwältigend war, um ihn hinter meiner selbstbewussten Fassade zu verstecken.
In einem lebensverändernden Moment der Erkenntnis beschloss ich, dass ich genauso gut aufhören könnte, mich zu verstellen, wenn das alles war, was ich von meinem perfekten Selbst zu erwarten hatte. So schnell ich konnte, warf ich mein unnützes künstliches Selbstbild ab und beschloss authentischer zu werden. Wie ich befürchtet hatte, verschwanden viele meiner alten Freunde, aber es blieben einige wenige übrig, mehr als ich zu hoffen gewagt hatte, und sie reagierten begeistert auf meine neue Authentizität. Bald fühlte ich mich zum ersten Mal in meinem Leben umsorgt.
Da ich mich mit meinem wahren Selbst immer wohler fühle, wächst mein Gefühl der Zugehörigkeit und des Zuhauseseins in meiner Community und der Welt. Nach zwanzigjähriger Praxiserfahrung bin ich nun davon überzeugt, dass Liebe und Wertschätzung am wirkungsvollsten durch gegenseitige uneingeschränkte Selbstoffenbarung ermöglicht werden. Ich würde einen ganzen Trupp von Schönwetterfreunden gegen einen meiner Vertrauten eintauschen, mit dem ich jetzt diese kostbare Gemeinschaft erlebe.
Wunderliche Vorstellungen von Perfektionismus
Ich werde so gut wie möglich herausfinden, was ich nicht tun soll – und es dann tun: So kann ich für die Zeiten, in denen ich mich unterwegs verlaufen habe, gute Argumente liefern; wenn ich keine Fehler mache, wer wird dann an meine Fehler glauben? Wenn ich wie ein Gelehrter lebe, wird niemand sehr beeindruckt sein.
Nun, ich werde versuchen, mich zu bessern: alle umsichtig grüßen, den Anschein bewahren, engagiert und begeistert sein – bis ich genau das bin, was sie befohlen haben, nach Belieben zu sein und nicht zu sein, bis ich völlig anders bin.
Wenn sie mich dann in Ruhe lassen, werde ich meine ganze Person verändern, meine Haut ablehnen, einen neuen Mund bekommen, meine Schuhe und meine Augen wechseln – dann, wenn ich anders bin und niemand mich erkennen kann – denn alles andere ist undenkbar –, werde ich so weitermachen wie am Anfang.
— Pablo Neruda, aus Parthenogenesis
Inselbegabte der emotionalen Art
»Nimm sie sofort weg«, brauste die Prinzessin auf und stampfte mit ihrem winzigen Fuß in dem bestickten Pantoffel, »ich hasse echte Blumen; ihre Blütenblätter fallen ab und sie sterben.«
— Hans Christian Andersen
Viele von uns haben ein ergreifendes Mitgefühl für Menschen mit einer Inselbegabung (siehe Dustin Hoffman in dem Film Rainman) und ihre erstaunliche, aber rührende Brillanz in einem engen Bereich der geistigen Intelligenz. Ich glaube, dass wir uns in solchen Momenten manchmal stellvertretend in unsere eigene ähnlich gelagerte emotionale Verarmung einfühlen. Schließlich ist Glücklichsein die einzige emotionale Reaktion, die in unserer Kultur allgemein geschätzt wird, und ihre Bedeutung wird so hoch eingestuft, dass uns in unserer Verfassung das Recht, nach Glück zu streben, garantiert wird. Und bei Gott, wir streben danach, indem wir uns mit großer Heftigkeit und rücksichtsloser Hingabe an das Glück heranpirschen und dabei oft jede andere Emotion auslöschen, die in unserer unmittelbaren Erfahrung zu dominieren droht.
Die Anerkennung des Inselbegabten bezieht sich fast ausschließlich auf seine perfekte Beherrschung der Zahlen, genauso wie das Selbstwertgefühl des Durchschnittsamerikaners stark von seiner Fähigkeit abhängt, perfekt glücklich zu erscheinen und sich vollkommen glücklich zu verhalten. Für viele von uns bedeutet Glücklichsein inzwischen, sich gut zu fühlen, was wiederum bedeutet, sich zu weigern, sich schlecht zu fühlen. Die Gesellschaft versorgt diejenigen von uns, die sich verzweifelt glücklich und gut fühlen wollen, mit unzähligen Substanzen und Aktivitäten, um jeden Zweifel an unserer Illusion vom perfekten Wohlbefinden zu korrigieren.
Viele Menschen opfern auf der Suche nach Glück lebenswichtige Aspekte ihres Lebens und fügen sich dabei schweren Schaden zu. Manche opfern das Wohlbefinden des nächsten Tages dem Kater, den sie sich zugezogen haben, weil sie sich am Abend zuvor mit übermäßigem Essen, Drogen oder Alkohol vollgestopft haben. Einige verpfänden ihre finanzielle Sicherheit an den momentanen Rausch von Impulskäufen im Austausch gegen die ständige Angst vor unbezahlbaren Schulden. Andere riskieren, die Liebe zu ihrem Partner zu zerstören, wenn sie sich in einer Affäre ein schnelles, gutes Gefühl verschaffen.
In unserer Gesellschaft manifestiert sich der Perfektionismus auf der emotionalen Ebene, indem uns ständig wünschenswerte Gefühle vorgeführt werden. Wenn wir unsere gesunde, ganzheitlich fühlende menschliche Natur zurückgewinnen wollen, müssen wir unsere unheilige Glaubenstreue aufgeben, dass psychische Gesundheit bedeutet, ständig glücklich zu sein. Wir müssen den gefährlichen kleinen, gelben Smiley-Button mit dem simplen Lächeln von unserem Revers nehmen und Menschen meiden, die versuchen, unsere Stimmungen mit dem banalen Ratschlag der zuckersüßen Popmusik »Don’t worry, be happy!« »in Ordnung zu bringen«.
Während mein Drang zum Perfektionismus abnimmt und »zu einem Schatten seines früheren Selbst« wird, lasse ich manchmal mit Freuden das Gedicht von Kabir in mir nachklingen:
Der blaue Himmel weitet sich mehr und mehr
Und das bekannte Gefühl des Versagens verschwindet;
Die Schädigung, die ich mir selbst zugefügt habe, lässt nach;
Millionenfach bricht die Sonne mit ihrem Licht hervor.
Ein unendlicher Reichtum der Gefühle wartet auf diejenigen, die sich vor dem emotionalen Bankrott retten, nur auf einen Teil des emotionalen Spektrums fixiert zu sein. Im vollen emotionalen Spektrum des menschlichen Fühlens zu schwelgen ist das Thema des nächsten Kapitels.
Kapitel 3
Das Tao der Gefühle
Das Leben des Körpers ist Fühlen: sich lebendig, pulsierend, gut, begeistert, wütend, traurig, fröhlich und schließlich zufrieden fühlen. Es ist das Fehlen von Gefühlen oder die Verwirrung der Gefühle, was Menschen zur Therapie bringt.
— Alexander Lowen
Dieses Buch soll keine endgültige Abhandlung über die emotionale Natur des Menschen sein, zumal das Fühlen sich oft jenseits des Verständnisses durch Nachdenken abspielt. Tatsächlich hat Freuds herausragender Schüler Carl Jung die Theorie aufgestellt, dass der gefühlsmäßige, emotionale Teil unserer Psyche in seiner Natur dem denkenden, logischen Teil entgegengesetzt ist. Der Dichter Antonio Machado äußerte sich ähnlich:
In unseren Seelen
bewegt sich alles unter der Führung einer geheimnisvollen Hand.
Wir wissen nichts von unserer Seele über den Verstand …
Die Sprache spiegelt nie vollständig die emotionale Erfahrung wider. Und Englisch ist besonders unzulänglich was Begriffe betrifft, die die Feinheiten der emotionalen Erfahrung erfassen. Es gibt zum Beispiel viele verschiedene Arten von Tränen: Tränen des Verlusts, der Erleichterung, des körperlichen Schmerzes, des Mitgefühls, der Freude, des Stolzes, der Dankbarkeit und der Ehrfurcht vor dem Schönen. Ebenso gibt es verschiedene Arten des Lachens: das brüllende Lachen vor Freude, das Glucksen der Erleichterung, das Giggeln aus Albernheit, das Kichern der Nervosität, das Feixen des Spottes und das zwiespältige Lachen, das durch Kitzeln hervorgerufen wird. Auch Wut hat eine Vielfalt an Schattierungen, als erbitterte Selbstbehauptung, als Schmerz, Hass oder zorniger Selbstschutz, als Verärgerung wegen Herabsetzung, empörtes Eintreten für einen anderen oder als Entrüstung über alles Ungerechte.
So unzulänglich die Sprache für die vollständige Vermittlung emotionaler Erfahrungen ist, so gibt es doch Wege wie Worte, insbesondere die Poesie, uns unseren Gefühlen näherzubringen.