Tessa Hofreiter

Der neue Landdoktor Paket 1 – Arztroman


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erzählte vorhin, eure Anna sei eine ganz erfahrene Hebamme, und dass Sebastian schon einiges von ihr gelernt habe.«

      »Das ist bestimmt richtig, aber die erfahrene Dame hat sicher auch schon einiges von Papa gelernt. Mach dich auf etwas gefasst, wenn du sie siehst. Sie ist wirklich beeindruckend.«

      »Ziemlich alt und ziemlich rund oder so etwas?«

      »Das trifft es nicht ganz«, erwiderte Emilia glucksend und konnte sich kaum noch vor Lachen halten.

      »Was ist mit ihr?«, fragte Marc und sah Ines an.

      »Teenager halt«, antwortete Ines, die auch große Mühe hatte, ihr Lachen zu unterdrücken. Anna war zwar eine erfahrene Hebamme, aber sie war noch jung und bildschön. Wenn Sebastian jemals über den Tod seiner Frau hinwegkam, dann würde seine Liebe Anna gehören, davon war Ines fest überzeugt.

      »Gut, dann kommt mit, Mädels«, sagte Marc und nahm Emilia an seine rechte und Ines an seine linke Hand.

      Sebastian, Traudel und Benedikt warteten schon im Hof. Nachdem Ines sie alle begrüßt hatte, schloss Sebastian den Raum auf, in dem die Gemälde standen. Er hatte schon vor Wochen den weißen Rauputz an den Wänden erneuern lassen, und er hatte die grauen Bodenfliesen durch hellbraune Terrakottafliesen ersetzt. Die beiden schmalen Fenster, die sich gegenüberlagen, waren gekippt und sorgten dafür, dass die Luft zirkulierte. Die in Packpapier eingehüllten Gemälde lehnten an den Wänden

      »Wie viele sind es, Marc?«, wollte Emilia wissen.

      »Sechzig.«

      »Das heißt, wir brauchen auf jeden Fall einen großen Raum, um ihnen genügend Platz zu verschaffen«, stellte Ines fest.

      »Einen mit viel freien Flächen«, sagte Marc.

      »Wer traut sich, Marc und mir beim Auspacken zu helfen?«, fragte Sebastian und schaute in die Runde.

      »Ich traue es mir zu, ich habe schon bei einigen Ausstellungen mitangepackt«, erklärte Ines.

      »Ich bin auch dabei«, schloss sich Emilia an und ging neben Ines in die Hocke.

      »Uns bleibt wohl nur das Zugucken«, seufzte Traudel.

      »Richtig, und das tun wir ganz entspannt, einen Moment«, sagte Benedikt und verließ den Raum. Gleich darauf kam er mit zwei Terrassenstühlen wieder zurück und stellte sie in die Mitte des Raumes. »Unsere Loge, Traudel«, verkündete er, wartete, bis sie einen Stuhl für sich ausgewählt hatte, und nahm dann auf dem anderen Platz.

      Nach und nach wurden nun die Gemälde ausgepackt. Wie Emilia gesagt hatte, erzählte jedes seine eigene Geschichte. Berge, Seen, wilde Flüsse, Inseln, verschneite Landschaften und Wälder im farbenprächtigen Herbst. Und auf jedem Bild war auch ein Haus oder eine Hütte zu sehen und Menschen, die dort wohnten.

      »Sebastian, sie sind wundervoll.« Für Ines war es immer ein erhebender Moment, vor einem Gemälde zu stehen, die Farben im Original zu erleben, den Pinselstrich des Malers zu verfolgen, all die Eindrücke, die ein Bild beinahe lebendig machten. »Ich werde einen ganz besonderen Ort für sie suchen, um sie dem Publikum zu zeigen«, versichert sie ihm und sah dabei auch Emilia an.

      »Ja, es muss ein besonderer Ort sein«, sagte das Mädchen, dem beim Anblick des Vermächtnisses seiner Mutter die Tränen in die Augen traten.

      »Jetzt gehen wir in die Küche und trinken den Cranberrysaft, den Marc aus Helenes Heimat mitgebracht hat«, sagte Traudel. Sie stand auch gleich auf und ging ohne ein weiteres Wort hinaus, weil auch sie um ihre Fassung rang. Ganz deutlich hatte sie Sebastians Frau gerade wieder vor sich gesehen, und das machte sie wehmütig.

      Ein paar Minuten später waren alle um den großen Esstisch in der Küche versammelt. Benedikt am Kopfende, Sebastian ihm gegenüber, rechts neben ihm Emilia und Traudel, und auf der anderen Seite Ines und Marc. Für alle gab es ein großes Glas Cranberrysaft mit einem Schuss von Traudels Prosecco, den sie immer auf Vorrat hatte, wegen des Kreislaufes, wie sie betonte. Zu Ehren Helenes hatte sie an diesem Abend kanadischen Wildlachs mit Reis und Limonensoße zubereitet und Cranberrykuchen gebacken.

      Kurz bevor der Kuchen serviert wurde, kam Anna.

      »Ich freue mich sehr, Sie kennen zu lernen.«

      Marc war aufgestanden, als Sebastian ihm Anna Bergmann vorstellte. Ein wenig verlegen reichte er der jungen Frau in der hellen Leinenhose und dem silberfarbenen Pullover die Hand.

      »Unsere erfahrene Hebamme«, sagte Emilia und prustete laut los.

      »Was gibt es da zu lachen? Das trifft doch wohl auch zu, Spatzl«, entgegnete Traudel, die das Mädchen verblüfft anschaute. »Was ist denn nur mit euch los?«, fragte sie, als nun auch Ines lachen musste.

      »Klärt mich doch mal auf«, bat Anna und schaute die beiden mit ihren schönen grünen Augen überrascht an.

      »Ich denke, ich bin der Grund für diesen Lachanfall. Als Traudel Sie als erfahren beschrieb, ging ich davon aus, dass diese Erfahrung ein höheres Alter miteinschließt und ...«

      »Und?«, hakte Anna nach, als Marc innehielt.

      »Und einen größeren Körperumfang«, sprach Ines aus, was Marc sich nicht traute.

      »Ich hoffe, Sie sind jetzt nicht enttäuscht.«

      »Nein, bin ich nicht, im Gegenteil«, antwortete er mit einem charmanten Lächeln.

      »Gut, dann wäre das geklärt«, sagte Sebastian.

      »Setz dich zu Papa, Anna.« Emilia rutschte einen Stuhl weiter und deutete auf den freien Platz neben ihrem Vater.

      Sehr beruhigend, dachte Marc, als er sah, mit welch zärtlichem Blick Sebastian die junge Hebamme betrachtete.

      Eine Zeit lang hatte er schon befürchtet, dass Sebastian nach Helenes Tod nie wieder eine andere Frau auf diese Weise ansehen würde.

      »Möchtest du zuvor noch etwas von dem Lachs?«, wandte sich Traudel an Anna, als sie schon den Kuchen austeilen wollte.

      »Nein, danke, die Großmutter des kleinen Jungen, dem ich gerade auf die Welt geholfen habe, hat darauf bestanden, dass ich einen Teller von ihrem Kartoffeleintopf esse.«

      »Die Leute wissen es zu schätzen, wenn sich jemand so rührend um ihre Lieben kümmert. Sie nehmen dich sozusagen in ihre Familie auf.«

      »Richtig, Nolan, zuerst einmal gehört sie zu unserer Familie«, sagte Emilia, als Nolan aus dem Garten hereinstob und Anna freudig begrüßte.

      »Natürlich gehört sie zu uns«, stimmte Traudel dem Mädchen zu.

      »Unbedingt«, sagte Benedikt lächelnd, während Sebastian noch ein Kuchengedeck aus dem Küchenschrank holte.

      »Ines möchte Mamas Bilder in Bergmoosbach ausstellen«, erzählte Emilia Anna die Neuigkeit.

      »Das ist eine sehr schöne Idee. Wisst ihr denn schon, wo?«

      »Nein, noch nicht, aber ich werde mich gleich morgen umsehen«, sagte Ines.

      »Ich würde dich gern dabei unterstützen, aber ich werde die nächsten beiden Tage erst einmal in München sein. Ich treffe mich dort mit einigen Galeristen, die mit mir zusammenarbeiten möchten«, erzählte Marc.

      »Dann machen wir es doch so, ich sammle einige Vorschläge, und die besprechen wir dann gemeinsam, auch mit Sebastian und Emilia«, schlug Ines vor.

      »Das klingt gut.«

      »Das sehe ich auch so«, schloss sich Sebastian dem Freund an.

      »Der schmeckt köstlich, Traudel«, lobte Ines den gedeckten Cranberrykuchen, den sie gleich darauf versuchte.

      »Du hast ihn nach Mamas Rezept gebacken.« Emilia hatte den Ahornsirup herausgeschmeckt, den ihre Mutter statt Zucker zum Backen benutzt hatte. »Danke, du liebste aller adoptierten Omis der Welt.« Sie nahm Traudel in den Arm und drückte ihr einen dicken Kuss auf die Wange.

      »Schon