Tessa Hofreiter

Der neue Landdoktor Paket 1 – Arztroman


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wir diesen Überraschungsbesuch zu verdanken?«, fragte Ines ihren Großvater, als sie später, nachdem sie alles aufgeräumt hatten, noch auf der Bank am Bachufer saßen und an den Nachthimmel schauten.

      »Keine Ahnung. Das letzte Mal haben wir vor einem halben Jahr zusammen gegessen. Vielleicht dachten sie, es wär mal wieder an der Zeit, es zu wiederholen.«

      »Ja, vermutlich war das der Grund. Aber sag, Großvater, hast du wirklich vor, den Dachboden ausbauen?«

      »Ja, das hab ich vor.«

      Korbinian stopfte seine Pfeife, zündete den Tabak an und rauchte genüsslich.

      »Was genau hast du vor?«, fragte Ines nach einer Weile.

      »Das, Spatzl, ist noch ein Geheimnis. Oder darf ein Mann in meinem Alter auch keine Geheimnisse mehr haben?«

      »Doch, natürlich, ich werde dich nicht mehr danach fragen, versprochen.« Wenn er ein Geheimnis daraus machen wollte, dann wollte sie ihm den Spaß nicht verderben. »Großvater, ich habe doch schon einen Ort gefunden, der für die Gemäldeausstellung infrage kommt.«

      »Um den du aber auch ein Geheimnis machst, sonst hättest du ihn Miriam vorhin verraten.«

      »Ich möchte zuerst wissen, was Marc von meiner Idee hält.«

      »Das versteh ich, schließlich kennt er sich damit aus, Gemälde richtig zu präsentieren.«

      »Ja, ich weiß, aber dir könnte ich es schon vorab sagen.«

      »Nein, sag es erst ihm, es hat etwas Besonderes, wenn am Anfang ein Geheimnis existiert.«

      »Am Anfang von was?«

      »Am Anfang einer Liebe.«

      »Großvater, ich bitte dich, Marc wird nur ein paar Tage hier sein, danach verschwindet er wieder aus meinem Leben.«

      »Geh, Kind, es wären nur ein paar Flugstunden, die euch trennen. Vor hundert Jahren wär es schwierig gewesen, sich wiederzusehen, heutzutage ist das kein Problem mehr.«

      »Ich würde dich aber nie allein lassen.«

      »Ich bin nicht allein.«

      »Tante Carola würde nicht zögern, dich in ein Altenheim zu verfrachten, sollte es dir einmal nicht gut gehen, das weißt du.«

      »Du machst dir zu viele Sorgen um mich. Ich möcht, dass du glücklich wirst, und wenn das bedeutet, dass du eines Tages von hier fortgehst, dann ist das in Ordnung für mich.«

      »Danke, Großvater, aber noch ha­be ich das gar nicht vor.«

      »Ich weiß, Kleines. Da, schau, Sternschnuppen«, machte er sie auf die feurigen Funken aufmerksam, die am Horizont über den Nachthimmel rasten. »Sie warten nur darauf, deine Wünsche zu hören.«

      »Dann sollte ich sie ihnen offenbaren.«

      »Ja, das solltest du«, sagte Korbinian und nahm seine Enkelin liebevoll in den Arm.

      *

      Ines wollte Marc vorschlagen, zu Fuß hinauf zur Burgruine zu gehen. Sie würden zwar über eine Stunde unterwegs sein, dafür war die Aussicht, die sich ihnen dort oben bot, grandios. Um auf den Ausflug vorbereitet zu sein, hatte sie ihren bequemen weißen Leinenpullover, Jeans und hellbraune Wanderstiefel angezogen und ihr Haar zu einem Zopf geflochten.

      »Was hast du denn vor? Einen zünftigen Wanderausflug mit den Landfrauen?«, fragte Miriam, die mit einem Bikini bekleidet von ihrem Dachgarten hinunterschaute, als Ines sich am Sonntag auf den Weg ins Dorf machte.

      »Ich plane einen Wanderausflug, richtig, aber nicht mit den Landfrauen.«

      »Sondern?«

      »Bis dann, Miri«, sagte Ines und winkte ihrer Cousine noch einmal zu, bevor sie weiterging. Sollte sie sich ruhig ein paar Gedanken darum machen, mit wem sie sich traf.

      »Eine Verabredung wird es wohl nicht sein, dazu taugen die Klamotten nicht«, sagte Miriam.

      »Wenn es um eine Wanderung geht, schon. Oder würdest du im Minikleid und hohen Schuhen in die Berge marschieren?«, fragte Harald, der in bunten Bermudas, weißem T-Shirt und Strohhut auf dem Kopf neben ihr stand und über die Mauer schaute, die die Terrasse begrenzte.

      »Wenn ich mich mit einem Mann treffen würde, an dem mir etwas liegt, dann würde ich keine Wanderung mit ihm unternehmen, insofern erübrigt sich diese Frage.«

      »Vielleicht legt Ines mehr Wert auf die Unternehmung als auf die Zuschaustellung ihrer äußeren Reize.«

      »Lass es gut sein, Harald. Mit wem sollte Ines sich schon treffen, außer mit einer Freundin? Die Sache mit dem Kanadier scheint ja schon wieder vorbei zu sein, er soll schon seit Tagen in München sein, wie ich hörte.«

      »Die Großstadt bietet ihm sicher mehr Abwechslung als Bergmoosbach.«

      »Richtig, so bedauerlich das für meine Cousine auch sein mag«, entgegnete Miriam mit einem zufriedenen Lächeln.

      Kurz bevor Ines den Marktplatz erreichte, fragte sie sich, ob Marc dieses Treffen vielleicht nur aus einer Laune heraus angeregt und es sich inzwischen anders überlegt hatte. Umso mehr freute sie sich, als sie den Mann in der schwarzen Jeans und dem hellblauen Hemd sah, der am Brunnen lehnte und die bemalten Fassaden der Häuser betrachtete. Marc hatte ihr Treffen nicht vergessen. Als er sie bemerkte, fuhr er sich mit der Hand durch sein blondes Haar, lächelte und kam ihr entgegen.

      »Ich freue mich, dich wiederzusehen, Ines«, sagte er und umarmte sie.

      Es war nur eine freundschaftliche Geste, und doch genügte sie, um ihre Sehnsucht nach mehr Nähe zu ihm anzufachen. »Wie war es in München? Ist alles so gelaufen, wie du es dir vorgestellt hast?«, erkundigte sie sich, um sich schnell auf andere Gedanken zu bringen.

      »Ich habe einige vielversprechende Verbindungen geknüpft. Ich finde es spannend, Kunst auf Reisen zu schicken, um Menschen in einem anderen Teil der Welt an ihrer Schönheit teilhaben zu lassen.«

      »Deshalb möchte ich auch, dass die Leute sich hier bei uns Helene Seefelds Bilder ansehen, und ich habe auch schon eine Idee, wo das stattfinden könnte.«

      »Das wäre?«

      »Ich führe dich hin, du bist doch gut zu Fuß?«

      »Wohin willst du mich denn entführen?«

      »Ich sagte führen, nicht entführen.«

      »Egal, ich komme so oder so mit. Ich vertraue dir.«

      »Danke, das beruhigt mich. Ich bin übrigens sicher, dass dir der Ort gefallen wird, den ich dir zeigen will.«

      »Welche Richtung?«

      »Dort entlang«, sagte sie und deutete auf den Weg, der neben dem Rathaus in den Wald führte.

      Zuerst ging es nur leicht bergauf durch den Tannenwald, vorbei an der Jugendherberge, einem ehemaligen Bauernhof, idyllisch gelegen inmitten von Wiesen. Nach der Jugendherberge wurde der Weg steiler, der Wald lichtete sich, und es bot sich ihnen ein wundervoller Ausblick ins Tal.

      »Zu anstrengend?«, fragte Ines, als Marc plötzlich stehen blieb.

      »Für mich nicht, aber ob sich ein derart abgelegener Ort für eine Ausstellung eignet? Wir erhoffen uns doch möglichst viele Besucher.«

      »Auf der anderen Seite des Berges gibt es eine gut ausgebaute Straße, über die unsere Besucher das Ziel erreichen können. Der Fußweg bietet aber die weitaus bessere Aussicht. Oder gefällt es dir nicht, was du sie siehst?«

      »Doch, es gefällt mir, sehr sogar«, entgegnete Marc, während er Ines betrachtete. »Ich habe vorhin ein Hinweisschild gesehen, dass dieser Weg zu einer Burgruine führt. Ist sie unser Ziel?«, fragte er, als sie dem Wanderweg weiter bergauf folgten.

      »Richtig, wir gehen zur Ruine hinauf.«

      »Eine Ruine bietet aber keinen Schutz bei einem plötzlichen Unwetter.