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Hälfte der Jugendlichen wird festgenommen. Den Übrigen gelingt es zu entkommen. Sie fliehen mit ihren Fahnen durch die krummen Gassen, die Reiter stürmen durch bronzefarbene Staubwolken hinterdrein. Hier nun schließen sich auch die Männer von der neuformierten Bürgerwehr des Dorfes mit ihren Fahnen begeistert den Verfolgern an.

      Staubig und verschwitzt treffen die Truppen am späten Nachmittag wieder in Ju. ein. Der Ausrufer, aus dem Nachmittagsschläfchen gerissen, läuft los mit seiner Trommel und hat zweierlei zu verkünden: erstens, dass die Polizeistunde wieder eingeführt wird, und zweitens, dass für den Abend um halb acht eine Kundgebung auf dem Coburg-Platz anberaumt ist.

      Hier nun kriegen die Bürger von Ju. eine einschüchternde Rede von Major Leonkow zu hören, die geht wie folgt:

      Bürger der Stadt! Wollt ihr alle es wirklich mitansehen, dass gerade jetzt, wo die schwer genug wiederherzustellende Ruhe endlich eingekehrt ist, wo unsere Stadt sich die schrecklichen Erinnerungen an den 26. März allmählich von der Seele lädt, wo Seine Majestät höchstpersönlich uns mit seinem Erlass beglückt hat und wo die Mörder vom Bauernbund mitsamt den anderen Blutsaugern endlich in ihren Zellen schmoren und dem Urteil des hohen Gerichts und der gerechten, gnadenlosen Vergeltung entgegensehen, dass gerade jetzt diese jämmerlichen Typen, Anarchisten, Kommunisten, Komsomolzen und deren anscheinend nicht zu bändigende, schwererziehbare Partei, auch wenn die neue Macht ihr am 9. Juni aus Beweggründen der Humanität großmütig verziehen hat, dass die also jetzt wieder anfangen, uns gegen das Schienbein zu treten? Schon wieder die Ordnung stören, neue, tückische Ränke schmieden, wo man nur noch mit dem Schwert dazwischenhauen kann, wenn die den Frieden im Kreismaßstab immer wieder gefährden und dabei meinen, sie dürften sich hinter dem Schutzschild ihrer angeblichen Neutralität verstecken, die aber nur ein Mythos und als solcher immer mehr am Bröckeln ist!

      So spricht der Major Leonkow, das Volk auf dem Platz wird schon ein bisschen unruhig, da hebt er die Hand, holt nach hinten aus und lässt die Handkante zornig nach unten fahren:

      Nein und nochmals nein, das lassen wir nicht zu! Wir als Militär – und ich denke hier genauso im Namen der Herren Kollegen von der Polizei zu sprechen, der wackeren Bürgerwehr wie auch der beinharten Gendarmerie und in euer aller Namen, dem des ganzen tapferen bulgarischen Volkes – wir stehen unerschütterlich auf unserem Posten! Und meine väterliche Warnung ergeht an alle: dass wir nicht zögern werden, Versuche jeder Art zu unterbinden, die Ordnung und sozialen Anstand in unserer Gesellschaft diskreditieren wollen! Gnadenlos werde ich solche Versuche im Keim ersticken! Und dass wir von nun an gnadenlos gegen alle Aufrührer sein werden, das schwöre ich Mutter Bulgarien bei Gott! Da wird keiner geschont! Das Vertrauen in die Macht wird wiederhergestellt mit allen gesetzlich verankerten Mitteln!

      So sprach der Major, und seine Stimme donnerte über den betroffen schweigenden Platz, hinweg über die drei Kordons Soldaten mit aufgepflanztem Bajonett, die ihn vom Volke trennten.

      Welches sich dumpf rumorend zerstreute …

      Das hiesige Paarundzwanzigste Regiment formierte sich und zog ab in Richtung Bahnstation, wo es sich – jenseits der Bahnlinie in Zelten kampierend – kraft einer Geheimdepesche von der Zentralregierung in Bereitschaft zu halten hatte.

      Bis auf Widerruf!

       Freie Tribüne

      13. SEPTEMPER 1923

       Kommunisten und Bauernbündler verhaftet

      Auf Befehl der Zentralregierung vom 12.09. wurden hochrangige Führer der Kommunisten und Bauernbündler sowie aktive Funktionäre beider Organisationen aus der Stadt und dem Landkreis verhaftet, da Flugblätter mit volksverhetzendem Inhalt abgefangen wurden, die zur Verbreitung auf den Dörfern bestimmt waren.

       Ohne Gegenwehr verhaftet

      Da die Zuführungen auf gesetzlicher Grundlage erfolgten, sahen die Delinquenten offenbar keine Gelegenheit, sich ihr zu entziehen. In der Stadt und im Landkreis herrscht nun wieder die Ruhe, wie man sie vom 9. Juni kannte. Ordnung und Sicherheit werden durch freiwillige Milizen gehütet, die Polizei und Armee zur Hand gehen.

       Verhaftungen auch in der Hauptstadt

      ( 12. September. Von unserem Sofioter Korrespondenten)

      Wie im ganzen Land, so wurden auch in der Hauptstadt zahlreiche Personen aus den Reihen des Bauernbundes und der Kommunisten verhaftet, da sie der Vorbereitung bewaffneter Rebellionen verdächtigt sind. Unter ihnen der KP-Funktionär Christo Kabaktschiew40. Aufgrund seines verschlechterten Gesundheitszustandes wurde der langjährige Kommunistenführer Dimiter Blagoew41, genannt der Alte, lediglich unter Hausarrest gestellt. Unterdessen gab der von den Kommunisten besonders verehrte Altfunktionär in einer Sofioter Zeitung eine Erklärung ab, deren Einzelheiten wir in der nächsten Ausgabe veröffentlichen werden.

      10

      BRUTALER ÜBERFALL AUF POLIZEIREVIER No 1:

       BALDAKOW VON TERRORISTEN ENTFÜHRT

      EX-REVIERVORSTEHER G. BALDAKOW VON UNBEKANNTEN PERSONEN ENTFÜHRT. BEKENNERSCHREIBEN DER TERRORISTEN LIEGT VOR!

       Baldakow ermordet! Postraub!

      POSTFAHRZEUG ÜBERFALLEN • MASSNAHMEN EINGEFORDERT

       Geheimnis des Hangars gelüftet!

      ZEPPELIN-HANGAR DIENTE ALS ILLEGALES VERSTECK

      In der Nacht vom 13. auf den 14. September, kurz nach Mitternacht, unternahmen vier unbekannte Personen den Versuch, in das Gebäude des Polizeireviers No 1 von Ju. vorzudringen.

      Ihr Vorgehen war präzise und schonungslos. Bestens organisiert und ausgerüstet, in katzenhafter Lautlosigkeit, die Gesichter durch heruntergeklappte Hutkrempen unkenntlich gemacht, schlichen sie sich an.

      Nachdem zunächst der diensthabende Straßenposten auf dem Trottoir vor dem Revier und dann auch der Wachmann im Büdchen am Eingang geräuschlos und professionell unschädlich gemacht worden waren, gelang es den Tätern, unbemerkt den dunklen Hof zu durchqueren und ebenso zügig ins Gebäudeinnere vorzudringen.

      Dort begaben sie sich zielstrebig in den Keller mit den Häftlingszellen. Erst hier wurden sie von einem Polizisten entdeckt, der zufällig gerade austreten gehen wollte. Der Polizist brüllte Alarm, die Vier kamen ohne Anzeichen von Panik zurückgerannt, zogen im Laufen ihre Waffen – vorzügliche amerikanische Revolver und deutsche Parabellums mit spargeldünnen Läufen – und eröffneten das Feuer auf die von oben herabpolternden Polizisten, die, verschlafen und überrumpelt von den genau zielenden Tätern, schreiend und ächzend auf der Betontreppe in Deckung zu gehen suchten, worauf die Vier das Glasfenster der unterdessen geschlossenen Ausgangstür einschlugen und in die Nacht flohen. Vom Hof aus wandte einer der Männer sich um und warf, begleitet von einem dreckigen Fluch, eine Handgranate in das offene Fenster des Schlafraums im ersten Stock.

      Dann preschten die Attentäter mit Riesensprüngen durch das vordere Portal und sprangen in ein wie aus dem Nichts vorfahrendes Automobil, das seinen Motor aufheulen ließ und – trotz heftigen Beschusses aus dem Revier – ins Dunkel davonraste, ehe die Detonation im Schlafraum