Christo Karastojanow

Teufelszwirn


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sich mit der Kundschaft gemein machten und soffen, anstatt die verfluchten Schnapsnasen hinauszutreiben und dafür zu sorgen, dass sie die Nachtruhe nicht länger störten! So murrte das Volk und giftete: Schlimm genug, dass die Räuber, der Teufel soll sie holen, den geplagten Landkreis heimsuchen, aber dass sie jetzt gar schon in die Kreisstadt geschlichen kommen und uns auf der Nase tanzen! Was einen aber nicht wundert, wenn die Polizei es versäumt, ihren elementarsten Pflichten nachzukommen, die Befehle der eigenen Vorgesetzten missachtet, nicht einmal die Polizeistunde respektiert! So redeten die Leute, und hinter vorgehaltener Hand wurde geraunt, diese Räuber und Terroristen hätten anscheinend Köpfe zum Denken auf den Schultern und dächten nicht übel, etwas Dümmeres als die Polizei hätte hingegen die Welt noch nicht gesehen, die trügen ihren Kopf nur für die Mützen mit sich herum! Ja, ist das denn die Möglichkeit, meine Herren, hieß es, wie lange wollen wir das noch dulden, und sollten wir am Ende nicht besser die Räuber rufen, dass sie auf uns aufpassen?!

      Und dann traf auch noch die Nachricht ein, dass der vormalige Kriminalinspektor Dimo Iwtschew aus Akadena in Stara Sagora, zuständig für Verbrechensbekämpfung mit Schwerpunkt Räuberunwesen in Südthrakien, beim versuchten Grenzübertritt in die Türkei zwischen Soudzhak und Haska eine schwere Kopfverletzung (zertrümmerter Kiefer) erlitten habe.

      Ihm wurde erste medizinische Hilfe durch einen aus Srem herbeigerufenen Veterinärfeldscher zuteil, doch die Verletzung war zu schwer, und Iwtschew verstarb.

      In der Aktentasche des Toten befanden sich wertvolle Aufzeichnungen zu vielerlei Fällen von Mord, Raub, Brandstiftung und allerlei ungeklärten Mysterien …

      Die nächsten Augusttage hindurch schien sich in K. jene geheime, gnadenlose Feder, die die ganze Zeit loszuschnellen und stürmische Ereignisse in Gang zu setzen gedroht hatte, wie von Geisterhand aus ihrer Spannung zu lösen.

      Die wenigen Bäcker, die den Einflüsterungen Noah Markows immer noch getrotzt und ihre Läden nicht verkauft hatten, brachen den Streik unverzüglich ab und machten die Türen weit auf – und das, obwohl der Brotpreis noch einmal um fünfzig Stotinki gefallen war. Der Kommandeur der berüchtigten Vierten Gendarmerie, Oberstleutnant D. (zugleich Garnisonskommandant und als solcher bislang stets immun und unbelangbar gewesen), wurde in Untersuchungshaft genommen, die Kautionssumme auf satte einhunderttausend Lewa festgesetzt. Ungefähr zur selben Zeit begrüßten die Kämpfer des legendären Siebenunddreißigsten Piriner Infanteriebataillons festlich ihren neuen Kommandeur, Major Leonkow, der an die Stelle des im Juni nach Varna oder Kardshali versetzten Oberst Stojnew beordert worden war. Kurz darauf, zu Mariä Himmelfahrt, sickerte der Beschluss des Bildungsministeriums durch, die siebten und achten Klassen am Gemischten Pädagogischen Gymnasium wiederzueröffnen. Sie waren gleich nach dem 26. März und den blutigen Ereignissen geschlossen worden, damit der Geist der Rebellion und der Zwietracht zwischen Kommunisten und Anarchisten mit allen daraus entstehenden Belastungen für die Obrigkeit und überhaupt alle anarchistisch-kommunistischen Ansteckungsherde ausgemerzt waren. Die weiblichen Schüler wurden nach Burgas versetzt, die männlichen in die Gegenrichtung nach Kasanlak. Der Direktor Christofor Milew wurde zum einfachen Lehrer degradiert und durch Maminkolew abgelöst, der nun tot im Weinberg lag.

      Die Verhaftung von Oberstleutnant D. und die Wiederherstellung der Gymnasialoberstufe riefen bei den Bürgern von K. spürbare Erleichterung hervor, man war außer sich vor Freude über diese guten Nachrichten.

      Doch auch damit noch nicht genug.

      Unmittelbar nach der Inhaftierung des Oberstleutnants tauchten fünf der ärgsten einschlägigen Anarchisten auf, um sich den Behörden zu stellen. Ihr Anteil an den Vorfällen des 26. März war aktenkundig. Doch waren sie damals, an jenem unheilvollen Frühlingstag, als die Gräuel auf dem Platz losbrachen, geflohen, ihren gnadenlosen Häschern von der Militärliga geschickt entkommen, hatten die Stadt verlassen und sich an unbekanntem Ort versteckt gehalten. So sehr man auch suchte und forschte, keiner vermochte sie auszuheben. Sie als einzige hatten ihre Haut retten können, und man munkelte, sie könnten in die Räuberbanden eingetreten oder illegal über die Grenze nach der Türkei gegangen sein. (Das taten viele in diesem 1923er Jahr.) Nichts davon hatte sich mit Sicherheit sagen lassen, doch nun, nachdem sie sich der auf Vordermann gebrachten Polizei ausgeliefert hatten, antworteten sie bereitwillig auf alle Fragen; das ausführliche, in jeder Hinsicht erschöpfende Verhör ergab freilich nur, dass die Burschen vom Aufenthaltsort des buchstäblich unfassbaren Armanassi Stojanow keine Kenntnis und zu Kurusanow oder der Gruppe Schwarzer März keinerlei Verbindungen hatten, so dass man sie getrost nach Hause schicken konnte. Die Fünf bereuten aufrichtig und reinen Herzens, weinten vor Dankbarkeit und gelobten, von nun an ehrbare Bürger zu sein. Wenn das so ist, wurde ihnen bedeutet, sollten sie das ruhig einmal schriftlich darlegen und in der Freien Tribüne veröffentlichen. Was auch geschah.

      Der Klub der Kommunistischen Partei war immer noch geschlossen – versiegelt und mit einem Vorhängeschloss versehen, und das aus gerichtsnotorischen Gründen, denn die Mitglieder dieser Partei hatten, das am 9. Juni erlassene Versammlungs- und Demonstrationsverbot missachtend, am 11. August eine nicht genehmigte Versammlung abgehalten. Zudem hatten die Behörden von einer Geheiminstruktion Wind bekommen, die das Bezirkskomitee dieser Partei in Burgas ausgegeben hatte und die zu neuen Unruhen und Widerstandshandlungen im Herbst anstiftete. Nicht umsonst befürwortete Minister Stojantschow23, wo immer er öffentlich auftrat, die unbarmherzige Bekämpfung der Kommunistischen Partei und ihre Delegitimierung im ganzen geplagten Königreich, restlos und dauerhaft, nicht nur die Beruhigungspille einer vorübergehenden Stilllegung und so weiter. Die Polizei hielt, ohne viel Aufhebens zu machen, ein paar örtliche Parteifunktionäre unter dem Vorwand diverser Erhebungen von Informationen auf dem Revier fest, und alle übrigen waren in Listen registriert, die laufend auf den neuesten Stand gebracht wurden. Ihnen allen war es ausdrücklich untersagt, das Stadtgebiet zu verlassen.

      Kurzum: In K. schien endlich Ruhe zu herrschen, die seit dem 9. Juni betriebene Abkühlung der Gemüter trug Früchte. Keine Explosionen mehr und keine bewaffneten Überfälle, keine Brandstiftungen, kein Raub von Vieh oder Handelsware, nichts dergleichen, die Räuber schienen, zur Besinnung gekommen, von ihren Raubzügen Abstand zu nehmen. Diese Augusttage waren so beschaulich und hoffnungsfroh, dass es nicht zu glauben war. An der Grenze wurden ein paar Grüppchen abgefangen, die anscheinend nach der Türkei abhauen wollten; einmal geschnappt, verhielten sie sich jedoch reumütig, fassten sich an die Stirn als wollten sie sagen: wie konnte es uns nur einfallen!, hielten die Hände freiwillig hin, um sie binden zu lassen, und konnten gar nicht genug Geständnisse – Treffpunkte, Verbindungsleute, Mitwisser und so weiter – loswerden.

      Baldakow hatte K. fluchtartig verlassen, und im Fall Kurusanow kam man wesentliche Schritte voran. Ruchbar wurde beispielsweise, dass der Selbstmord nicht mit den Aktivitäten der Räuberbanden im Zusammenhang stand, sondern – man hätte es sich denken können! – auf Kontakte zur geheimen militärischen Führung der Kommunistischen Partei zurückging. Das gab der Polizei Gelegenheit, noch einige Personen mehr von der KP-Liste zu arretieren und zum Fall Kurusanow in die Mangel zu nehmen. Und da man sich nach Abschluss der Verhöre außerstande sah, sie einfach wieder laufenzulassen, behielt man sie auf dem Revier, natürlich unter den gleichen schicklichen Bedingungen wie ihre zuvor in Haft genommenen Genossen.

      Zur kulturellen Bereicherung und Aufheiterung der in letzter Zeit so verbiesterten Stadt wie auch zur Befriedigung selbiger Bedürfnisse bei der Bevölkerung des Landkreises wurde ein humoristischsatirisches Blatt mit Namen Knüppel aus dem Sack ins Leben gerufen, ein Organ des gesunden Volkshumors, die Zeitung für Seelentrost und Optimismus. Die erste Nummer erschien umgehend, mit lustigen Geschichten vom Schlauen Peter und Witzen über Iwantscho und Marijka auf Seite eins, und auf Seite zwei wurde die Bibliothek Aus den Boudoiren der Welt eröffnet, auch dies eine Lektüre für Freunde der heiteren Muse, und das Motto der ganzen Zeitschrift lautete: Man lebt nur einmal, aber das bis ins Grab. Einer der abgedruckten Witze ging so: Einmal trat ein Fluss über die Ufer, und ein Arbeiter fiel ins Wasser. Weil er nicht schwimmen konnte, drohte er unterzugehen und zu ertrinken. Da ertrinkt ein Arbeiter!, riefen Leute, die in der Nähe waren und wollten ihm zu Hilfe eilen. Ein Arbeiter?, stellte ein Genosse unter ihnen die Frage. Im engeren oder im weiteren Sinne?24 Im weiteren, erwiderten die Umstehenden. Dann lasst ihn. Soll ersaufen!, sprach der Genosse und