ein, welcher im Krieg das deutsche Luftschiff LZ-104 und seine wackere Besatzung sowie zweihundert Mann Bodenpersonal beherbergt hatte und seither ungenutzt stand. Das unter persönlicher Aufsicht des berühmten Konstrukteurs Ferdinand Graf von Zeppelin gebaute und nach seinem Tod vom nicht minder ruhmreichen Nachfolger Hugo Eckener vollendete LZ-104 war ein Riesending. Zweihundertundsiebenundzwanzig Meter lang und in der Mitte reichlich zwanzig Meter dick. Siebzehn wasserstoffgefüllte Zellen hielten es in der Luft, und die fünf Motoren sorgten für eine Geschwindigkeit von über einhundert Kilometer pro Stunde, so hatten es die Deutschen den staunenden Einwohnern von K. seinerzeit erklärt. In die Geschichte der militärischen Luftschifffahrt ging das LZ-104 vor allem mit seinem triumphalen Erkundungsflug nach Afrika im Winter 1917 ein. Der Wagemut der Besatzung – dreiundzwanzig Recken in Pelzmänteln und Pelzkappen, angeführt vom wackeren Kapitän Ludwig Bockholt – kannte keine Grenzen. Fünfundneunzig Stunden, fünf Minuten und dreißig Sekunden in der Luft – über See, Wüste und Dschungel, aus der hiesigen Kälte in die afrikanische Glut, mit drei Tonnen Waffen und achteinhalb Tonnen Munition sowie drei Tonnen Medikamenten und Verbandszeug an Bord, dazu noch Benzin, Öl, Wasser und Verpflegung, außerdem fünfzig Kilo Feldpost, ebensoviele Bücher – alles für das Fähnlein tapferer Krieger des noch tapfereren Generalmajors Paul von Lettow-Vorbeck – und nicht zuletzt eine Kiste Riesling, Mosel-Saar-Ruwer, um die Landung in Tansania gebührend zu feiern … Wo sie aber nicht ankamen. Sie kamen nur bis in die Nähe von Khartum, wo der Funkspruch sie erreichte, die Engländer hätten Deutsch-Ostafrika besetzt. Sofort umkehren! Also machte sich der Zeppelin auf den Rückweg, geriet über Kleinasien in einen schweren Sturm, entkam dem Sperrfeuer des Panzerkreuzers Agamemnon über der Ägais und landete wohlbehalten wieder in K. (nach einer zurückgelegten Strecke, von der es hieß, sie sei so weit wie von Friedrichshafen nach Chicago!) – und hier, enttäuscht und verstimmt, tat man sich denn auch an dem Weine gütlich. Nach Kriegsende wurde der Zeppelin nach Deutschland zurückgeführt, und sein Hangar, diese gewaltige Konstruktion aus Gußeisen und Stahl, mit dickem Blech verkleidet und von durchbrochenen Pylonen und Gestängen eingefasst, rostete unerbittlich vor sich hin und verdarb. Man umgab das imposante Bauwerk mit einem dicht geflochtenen Stacheldrahtzaun und vergaß es. Höchstens ein paar Kinder statteten ihm hin und wieder einen Besuch ab, krochen unter dem Stacheldraht hindurch, kletterten die Pfeiler hinauf bis auf das Blechdach und standen dort wie angewurzelt, zitternd von der ungewohnten Höhe und dem Wind, der dort oben ständig wehte. Wenn herauskam, dass sie dort gewesen waren, bezogen sie eine Tracht Prügel von den Eltern. Trotzdem gingen sie bei nächster Gelegenheit wieder hin.
Jenseits des Bahnhofs, im grauen Brachland zwischen K. und dem Hasenberg29 gelegen, nahm der Hangar eine riesige Fläche ein, so groß wie das Fußballfeld des Sportvereins Elvira, wenn nicht größer. Und gammelte vor sich hin. Nun aber kam dieser Fliegeringenieur mit seinem Vorschlag, den stählernen Bau zu einem Flughafen umzurüsten! Denn, so verkündete er mit vor Nachdruck bebender Stimme, die Eröffnung der Fluglinie London-Bombay stehe bevor, und die Engländer suchten fieberhaft nach einem geeigneten Zwischenlandeplatz, und bis jetzt suchten sie dummerweise nur in Serbien und der Türkei, dabei sei Serbien viel zu nahe und die Türkei hoffnungslos weit weg. Und bei euch ist alles Nötige schon vorhanden! Gebt mir so und so viel Geld zur Unternehmensgründung, und ich stelle euch einen Flughafen hin, der sich gewaschen hat! Von Flughäfen verstehe ich was! So sprach er und setzte im Überschwang hinzu, die Ratsversammlung könne getrost schon ihren Mann nach London entsenden, der für K. die Bewerbung anmeldet und der Königlichen Fluggesellschaft mitteilt, dass man einen praktisch fix und fertigen Flughafen zur Verfügung habe! Er werde den Gesandten mit der kompletten Dokumentation ausrüsten! Und ob die verehrten Ratsmitglieder sich eigentlich vorstellen können, was das bedeutete, einen Weltflughafen in K. zu haben? Ich bitte Sie!, rief er aus. Die große Welt hielte Einzug in Ihrer Stadt, bedenken Sie nur! Die kühnsten Piloten, berühmte Männer mit Goldzähnen und herrlichen Frauen im Arm, lustwandelten in den Straßen, weshalb die Regierung euch – ob ihr das passt oder nicht – das Pflaster erneuern muss, auf Staatskosten, versteht sich! Denn keiner in dieser Regierung wird so blöd sein und riskieren, dass die staatliche Autorität untergraben wird durch den Anblick dieser staubigen oder aber schlammigen Straßen, wo man sich fragt, wie ein Mensch da überhaupt langgehen soll! Nicht wahr? Das zum einen. Zum Zweiten: Stichwort Elektrizität! Die ganze Stadt würde mit dem Flughafen in einem Aufwasch mitelektrifiziert. Elektrische Beleuchtung! Lampen, Leuchtreklamen allerorten! Hier wird ein regelrechtes Europa aufgezogen! Zum Dritten: Der Flughafen selbst wird mit Lokalitäten ausgestattet: Cafés und große Geschäfte für Fluggäste mit Aufenthalt, und alle diese Sachen werden natürlich von euern Leuten betrieben. Dazu noch die für den Flughafenbetrieb nötigen Arbeitskräfte!
Ganz zu schweigen davon, setzte der fremde Gast noch eins drauf, dass allein schon durch die Pacht, die die königliche Fluggesellschaft der Stadt zu zahlen hätte, das Stadtsäckel auf ewig gefüllt wäre! Auf ewig, sage ich! Wenn ihr versteht, was ich damit sagen will!
So ging das weiter. Und was er damit sagen wollte, verstand man durchaus, zögerte vielleicht anfangs noch, was man darauf erwidern sollte – doch als die Rede auf die zu erwartende königliche Pacht kam, war man alsbald bereit, einen beträchtlichen Teil der für die Anschubfinanzierung verlangten Summe bereitzustellen. Als Vorschuss, wie man eilfertig versicherte. Lässig steckte der Mann das Geld in die Tasche und ließ sich einstweilen in K. nicht mehr blicken – bis sich noch später herausstellte, dass er weder Ingenieur noch Pilot war, sondern der dringend gesuchte Hochstapler und Heiratsschwindler Kiro Raffzahn, der berüchtigte Kuppler von Plewen, dessen berückende und entzückende Mägdelein die reichen Söhne im ganzen Land kopflos und hitzig werden ließen, so dass sie ihnen hoppla-hopp die Ehe antrugen und einen Haufen Geld dazu, wodurch die Väter um ihr Kapital gebracht waren.
Kiro Raffzahn bekam von den Damen Prozente.
All das würde aber erst im Frühjahr 1924 ruchbar werden und sich zu einem Riesenskandal auswachsen, bei dem etliche Leute großen Ärger bekämen, sich dutzendweise in den Gerichtssälen Asche auf die ohnehin ergrauten Häupter zu streuen hätten und so weiter, und so weiter, aber das ist eine ganz andere Geschichte.
Jetzt, in diesen Zeiten der Besinnung und des Aufbruchs, ergriff die Obrigkeit erst einmal ein paar entschlossene Maßnahmen zur Gesundung der Moral in ihrer Stadt. Und zwar in dem Sinne, dass ein Hort geschlechtlicher Unzucht attakiert und ausgeräuchert wurde, nämlich im Hause einer gewissen Frau Shela, im Teil Zwei gelegen. Seit längerem wurde von den Bewohnern des Viertels verstärkt signalisiert, dass Shela Männer zum Zwecke der Ausübung unzüchtiger Handlungen empfing, also auf den Strich ging. Signalisiert wurde ferner, dass es sich bei den Besuchern des Hauses häufig um Zureisende aus anderen Städten, Geschäftsleute und so weiter handele, so gehe es nicht weiter! Denn diejenigen, die die genaue Adresse nicht wüssten, klopften des Nachts gern einmal an die Pforten umliegender Häuser, um sich zu erkundigen, ob hier nicht zufällig eine Frau Shela wohne. Das geschah jeden zweiten, dritten Abend, und es kam zu unerfreulichen Zwischenfällen, bei denen auch Kinder Zeuge wurden. Schon einmal Anfang August hatte die Freie Tribüne einer dieser empörten Stimmen Raum gegeben und die Obrigkeit dazu aufgerufen, gegen diesen Ausbund an Schamlosigkeit tätig zu werden und allen unguten Gerüchten den Boden zu entziehen. Die Obrigkeit – in Gestalt der erneuerten Polizei – kam dem Aufruf nach und schickte am Abend des 1. September eine verstärkte Streife zu Shelas Haus – ursprünglich nur mit der Absicht nachzusehen, was Sache war. Im Verlaufe dieser Überprüfung kam es jedoch überraschend zu einem bewaffneten Zusammenstoß, einer richtigen Schießerei. Zunächst schoss jemand aus den verdunkelten Fenstern und verletzte einen Polizisten schwer! Der nachfolgende, eine gute halbe Stunde anhaltende Schusswechsel führte zu einem weiteren Opfer auf Seiten der Polizei sowie zum Tod besagter Shela und jener bewaffneten Widerstand leistenden männlichen Person. Es handelte sich um einen Getreidehändler aus Harmanli mit Namen Mitrju Mitrew. Was die in der Freien Tribüne geäußerte Vermutung erhärtete, dass vorzugsweise Fremde diese Frau aufgesucht hatten …
Nachdem das Problem Shela gelöst war, unternahm die Obrigkeit löbliche Anstrengungen, um Schamlosigkeiten anderer Art zu unterbinden. Es betraf die Fleischer der Stadt, die in diesem Hochsommer des Jahres 1923 die empörende Gewohnheit entwickelt hatten, ihre Ware mit Hilfe obszöner Couplets und anzüglicher Reden feilzubieten. Zuerst einmal suchte man ihnen ins Gewissen