Beeinträchtigung durch Zungendruck oder Kaubewegungen bei ungünstigen Lokalisationen des Defektes, insbesondere bei Verwendung tegumental getragener herausnehmbarer Provisorien, die deshalb möglichst bei Augmentationen zu vermeiden sind.
Allgemeine Einflussfaktoren des Organismus beinhalten zum Beispiel Rauchgewohnheiten des Patienten. Auch die Ernährung spielt eine Rolle für das Heilungspotenzial in Knochendefekten. Beispielsweise wird zur Kollagenbildung bei jeder Knochenheilung Vitamin C benötigt, um die Aminosäuren Prolin und Lysin zu hydroxylieren. Durch das Enzym Protokollagen-Hydroxylase entstehen in der Proteinkette des Kollagens die Aminosäuren Hydroxyprolin und Hydroxylysin. Das Enzym benötigt als Kofaktor Vitamin C22, was sich auch klinisch in Substitutionsversuchen bei Knochentransplantationen zeigte23. Freier Zucker in der Nahrung fördert hingegen Entzündungen24. Eine entsprechende Ernährungsumstellung konnte beispielsweise eine chronische Parodontitis abmildern25.
2.8Defektklassen und Augmentationstechniken
Die folgenden Defekttypen in der zahnärztlichen Chirurgie sind anhand ihrer klinischen Heilungstendenz sortiert (Abb. 2-20). Man unterscheidet mit ansteigendem Schwierigkeitsgrad die Einlagerungsosteoplastik, Zwischenlagerungsosteoplastik, Anlagerungsosteoplastik und Auflagerungsosteoplastik. Doch nicht nur der operative Schwierigkeitsgrad steigt an, sondern vor allem die Anforderungen an das Heilungspotential (Zellgehalt, BMP-Gehalt) des Knochentransplantats. Wie an der Reihenfolge der Präpositionen
Abb. 2-20 Defektklassen.
Einlagerung,
Zwischenlagerung,
Anlagerung,
Auflagerung,
erkennbar wird, sinkt mit jeder Stufe die Zahl der knöchernen Defektwände; die Anlagerungsflächen an den bestehenden Knochen sind der Ursprung des osteokonduktiven Wachstums. Je weniger Anlagerungsflächen bestehen, desto mehr muss die Heilung auf der Osteoinduktion des Knochentransplantats beruhen.
Angiogenese in Knochendefekten
Bei ungünstigen Defektformen und Lokalisationen oder bei mechanischer Unruhe umfasst die knöcherne Regeneration unter Umständen nur die basalen Partikel des Knochenersatzmaterials, weil die Angiogenese am Kieferkamm nicht weiter als 3–4 mm in ein Fremdmaterial vordringt. Eine Metaanalyse erbrachte als Essenz von allen relevanten publizierten Ergebnissen zur Alveolarkammaugmentation für partikuläre Materialien eine Aufbauhöhe horizontal und vertikal von maximal 3,7 mm26. Über diese Distanz hinausgehende Aufbauten mit Partikeln von Knochenersatzmaterial werden nur bindegewebig eingebaut und die knöcherne Durchbauung des Regenerationsvolumens fällt unvollständig aus (Abb. 2-21). Häufig werden dann nicht eingebaute Partikel abgestoßen. Nach den Ergebnissen dieser Metaanalyse konnte mit Knochenblöcken deutlich mehr Knochen (5,8 mm) vertikal aufgebaut werden, was an dem Einbau der Blöcke über Knochenbohrkernen liegt, die im Rahmen der Creeping Substitution weit in das Transplantat vordringen können (Abb. 2-22).
Abb. 2-21 Die Ergebnisse der Metaanalyse (Troeltzsch et al. 26) zeigen bei Aufbauten mit partikulärem Material eine Schwelle von 3,7 mm. Nur mit Blöcken ist ein höherer Aufbau möglich, da diese nicht durch Neoangiogenese, sondern durch Knochenbohrkerne vaskulär erschlossen werden.
Abb. 2-22 Schematische Zeichnung eines Knochenaufbaus durch partikuläres Material höher als 3,7 mm, abgedeckt durch eine Kollagenmembran. Bis zur Schwelle von 3,7 mm kommt es zur Integration der Partikel durch Gefäße aus der Knochenoberfläche. Jenseits von 3,7 mm werden die Partikel erst dann vaskulär erschlossen, wenn die Membran degradiert und eine Transmembranangiogenese zulässt. Die erst jetzt einwachsenden Stammzellen sind nicht mehr osteogen differenziert, sodass in diesem Anteil nur ein fibrokeramisches Regenerat entsteht.
Knochenbinnendefekte
Die Einlagerung, die Zwischenlagerung (Sandwich) und der Bonesplitting-Defekt zählen zu den Knochenbinnendefekten. Hier liegt bei richtiger Durchführung das Augmentationsmaterial zwischen zwei oder mehr durchbluteten Knochenwänden, sodass es von zwei oder mehr Seiten her vaskulär erschlossen werden kann. Bei An- und Auflagerungen unter Membranabdeckungen geht die Gefäßneubildung nur von einer Wand als Defektunterlage aus. Normalerweise reicht die Potenz zur Neoangiogenese des Kiefers nur, um etwa 3,7 mm eines aufgelagerten Knochenersatzmaterials vaskulär zu erschließen. Weiter entfernt vom Knochen liegendes Knochenersatzmaterial heilt dann nur fibrös in eine Narbe ein und bildet keinen neuen Knochen mehr. Wenn aber die Angiogenese von zwei Seiten her stattfindet, verdoppeln sich die Distanzen mindestens (Abb. 2-23). Wegen der guten Heilungstendenz können Binnendefekte in der Regel mit osteokonduktivem Knochenersatzmaterial behandelt werden und benötigen nicht so hochwertige Transplantate wie autologen Beckenkamm. Bei Einlagerungsdefekten wie dem Sinuslift, bei dem mehr als zwei Wände aus Knochen bestehen, ist eine Füllung mit einem Material nicht zwingend, wie die Sinusbodenaugmentation durch Eigenblutfüllung (Graftless) oder die natürliche Alveolenheilung zeigen.
Abb. 2-23 Die Kreise symbolisieren in der Schemazeichnung der Implantatdefektklassen (vgl. Kap .1) die Distanz, die ein Blutgefäß durch Neoangiogenese von der Knochenoberfläche aus zurücklegen muss, um das letzte Partikel des Knochenersatzmaterials bei einer Augmentation zu erreichen. Man sieht, dass eigentlich nur der 1/4-Defekt für einen Aufbau durch partikuläre Materialien geeignet ist, denn bei den höheren Defektklassen übersteigt die Distanz die 3,7 mm. Erst die Umformung des 4/4-Defektes durch Sandwichosteotomie ermöglicht die Behandlung mit partikulärem Knochenersatzmaterial, da sich dieses jetzt in Zwischenlage zwischen zwei vaskularisierten Knochenflächen befindet und damit von zwei Seiten erschlossen werden kann.
2.9Mechanismus der gestörten Wundheilung und der Wunddehiszenz
In einer Problemwunde, beispielsweise bei anhaltender bakterieller Kontamination durch einen Biofilm, behalten die Granulozyten die Oberhand und erzeugen ein toxisches Wundmilieu. Sie setzen aggressive Enzyme (Kollagenase) frei, die das Kollagen des Gewebes auflösen. Zusätzlich können toxische Radikale, die eigentlich Bakterien töten sollen, als Kollateralschaden auch gesunde Zellen abtöten. Dadurch verliert das Gewebe des Wundrandes an Stabilität und Vitalität, es sieht livide aus und wird zundrig, also mechanisch instabil. Bei Wundspannung z. B. durch ungenügend mobilisierte Lappen kommt noch eine Durchblutungsstörung des Lappens hinzu. Ähnlich negativ wirkt eine zu stramme Naht oder zu dichte Stiche, indem sie die Durchblutung des Wundrandes abschnüren. Aufgrund des Kollagenabbaus reißen nun die Nähte aus, und eine Wundranddehiszenz wird klinisch sichtbar, weil der Lappen sich retrahiert (Abb. 2-24). Dies alles passiert noch weit im Vorfeld einer sichtbaren Eiterung. Weil anfangs kein eitriger Infekt vorliegt, lohnt sich in der Regel bei der anfänglichen Dehiszenz noch eine Sekundärnaht nach Debridement der Wunde. Damit werden bakterielle Antigene und Gewebetrümmer als proinflammatorischer Reiz für die Granulozyten