2-10 Der Knochenbohrkern ist eine multiple Resorptionslakune, wie sie durch Zusammenarbeit zahlloser Osteoklasten im kortikalen Knochen auftritt. Der Tunnel des Knochenbohrkerns füllt sich bei weiterem Voranschreiten der Bohrung im hinteren Teil wieder mit konzentrisch abgelagertem lamellären Knochen auf. So entsteht ein neues Osteon. Durch diesen Vorgang werden kortikale Knochentransplantate um- und eingebaut.
Abb. 2-11 Durch intravitale Markierung durch Fluoreszenzmarkierung (vgl. Abb. 2-1c) sind hier zwei Knochenbohrkerne mit zwei Osteonen im Entstehen über mehrere Wochen abgebildet. Das dunkle Material links ist die Defektwand aus kortikalem Knochen. Das Defektvolumen in beiden rechten Dritteln des Bildes hat sich zunächst mit parallel zur Wand ausgerichteten Schichten gefüllt. Der lastorientierte Umbau erfolgt senkrecht dazu (Unterkieferdefekt behandelt mit BMP-7, Labor MKG Kiel, unentkalkter Hartschliff Schwein 20fach).
Creeping Substitution
In diesen Umbau kann man nun auch Knochentransplantate einschleusen, die ebenfalls nach 3 bis 4 Jahren vollständig in Wirtsknochen umgebaut werden. Dies können freie avaskuläre autologe Transplantate sein, aber auch schonend bearbeitete allogene Transplantate, die dann ebenfalls BMP enthalten. Sogar schonend bearbeitete xenogene Knochentransplantate wirken noch osteoinduktiv, weil BMPs über Artgrenzen hinweg nur wenig Variation zeigen und über Artgrenzen hinweg an den humanen Rezeptoren aktiv sind. Selbst rein mineralische xenogene und alloplastische Knochenersatzmaterialien werden umgebaut, solange sie knöchern integriert sind und von den Knochenbohrkernen erreicht werden können, und sofern sie von Osteoklasten durch Säure aufgelöst werden, was nur für bestimmte mineralische Materialien gilt (Abb. 2-12).
Abb. 2-12 Die starke Vergrößerung zeigt, dass im Zuge des Umbaus eines Knochenregenerates auch Bio-Oss® (Geistlich, Baden-Baden) von Osteoklasten abgebaut wird, wenn es dem lastorientierten Umbau der Spongiosa im Wege steht (Labor MKG Kiel, unentkalkter Hartschliff Toluidinblau, Schwein, 400fach).
Ein freies (nicht vaskularisiertes) Knochentransplantat wird also vom Lagergewebe des Knochendefekts aus von Osteoklasten angegriffen, abgebaut und im Rahmen des Umbaus durch neuen vitalen Knochen ersetzt. Dieser Vorgang der inneren Resorption dauert 3 bis 4 Jahre und nennt sich schleichender Ersatz (Creeping Substitution). Durch den Anteil des neuen Knochens übernimmt das Transplantat mit der Zeit funktionelle Kräfte und wird danach nicht mehr abgebaut. Diesen Effekt sieht man in Nachuntersuchungen zum Remodeling an Zahnimplantaten, die in Knochenblocktransplantate gesetzt worden waren15 (Abb. 2-13). Die funktionelle Anpassung der Knochenstruktur nennt sich Wolffsches Gesetz (Julius Wolff 1892 „Gesetz der Transformation der Knochen“, Orthopäde, Berlin).
Abb. 2-13 Einbau eines kortikalen Knochenblocktransplantats am Unterkiefer eines Patienten. a. 3/4-Knochendefekt im seitlichen Unterkiefer, Lagerpräparation durch Anschleifen und Perforation der Kortikalis. b. Ein Block von der Linea obliqua der gleichen Seite wird in vertikaler Überlappung zur vertikalen Augmentation durch drei Osteosyntheseschrauben befestigt. b. Die Konturlücken und der Raum nach lingual werden mit einem gemischten partikulären Knochentransplantat aufgefüllt (25 % autologen Knochenchips, 75 % xenogenes Knochenersatzmaterial). d. Das Transplantat wird durch eine Kollagenmembran abgedeckt (Bio-Gide®, Geistlich, Baden-Baden). e. Nach Lappenmobilisation erfolgt der Wundverschluss durch nicht zu dicht stehende Einzelknopfnähte. Der Schnitt exakt in der Spur der restlichen befestigten Gingiva erleichtert das dichte Nähen. f. Bei der Wiedereröffnung der Wunde 4 Monate später zeigt sich ein weit vorangeschrittener Einbau des Blocks und der partikulären Transplantate. Diese Re-entry-Operation ist beim Blocktransplantat normalerweise nicht notwendig, wie die Schrauben auch über Stichinzisionen entfernt werden können, wodurch man eine erneute Oberflächenresorption vermeidet. g. Der neu aufgebaute und teils vertikal augmentierte Knochen ist ausreichend breit, sodass er sich wie ein Ring um die Zahnimplantate schließt. Zusammen mit der Osseointegration der Zahnimplantate hat der Knochenblock weitere 3 Monate Zeit zum Remodellieren. h. Eine Röntgenuntersuchung nach Knochenblocktransplantation mit zeitgleicher Insertion von Zahnimplantaten zeigte, dass das Remodeling unter kaufunktioneller Belastung etwa 2–3 Jahre dauert, bevor sich ein Plateau einstellt (siehe Text; Abb. 2-13h modifiziert nach Michalczik V, Terheyden H. ZZI 2007;23:266–279).
2.5Resorptionsschutz von Knochentransplantaten
Die innere Resorption im Interesse einer schnellen Vaskularisation des Transplantats ist erwünscht und soll durch enges Fügen des Knochentransplantats an die Knochenoberfläche sowie durch Aufschließen der Knochenmarkhöhle durch Bohrungen gefördert werden (siehe Abb. 2-13).
Die Oberflächenresorption hingegen ist unerwünscht, denn sie führt zum Verlust der Augmentationshöhe, zum Verlust der geplanten Kontur und bei Zahnimplantaten zur Exposition aufgerauter oberer Implantatanteile mit Rezession der Gingiva, sichtbarer Exposition von Metallrändern und Periimplantitisgefahr.
Weil die Resorption von Knochentransplantaten stets durch Osteoklasten erfolgt, sollten diese Zellen gehemmt werden, um die Oberflächenresorption zu minimieren. Hier sind drei Prinzipien zu nennen: harte stark mineralisierte Knochentransplantate, Abschirmung der Oberfläche durch Membranen und Überschichtung mit Knochenersatzmaterialien. Weil die Osteoklasten durch Säure den Knochen abbauen, hält ein stark mineralisiertes Knochentransplantat wie z. B. Schädeldachknochen oder Linea obliqua dem Säureangriff länger stand bzw. puffert die Säuren ab16. Weil die Osteoklasten von Vorläuferzellen aus dem Blutstrom stammen, trennt eine Membran die Blutgefäße des bedeckenden Weichgewebelappens von der Knochentransplantatoberfläche17. Der Weg für die Osteoklasten wird versperrt (Abb. 2-14). Diese Zellen bekommen erst nach Wochen Zutritt zur Knochenoberfläche, wenn Blutgefäße aus der Tiefe vorgewachsen sind. Die Überschichtung mit einem leicht basischen Knochenersatzmaterial auf Kalziumphosphatbasis hat beide Wirkungen, die Abschirmung des Knochens und die Abpufferung der Säuren bzw. Erschöpfung der Osteoklastenkapazität18. Die Resorptionshemmung kann selektiv medikamentös durch Bisphosphonate geschehen, und dies wird in der orthopädischen Chirurgie für Hüftgelenkprothesen auch klinisch angewandt19. In der dentalen Implantologie sind diese Ansätze noch im Experimentalstadium20.