FGF (Fibroblast growth factor), IGF (Insulin like growth factor) und TGF (transforming growth factor). Ein hoher Gehalt an TIMPs (Tissue Metalloproteinase Inhibitor) inaktiviert proteolytische Enzyme. Das antiinflammatorische Milieu ist mit dem natürlichen Gewebe-pH-Wert von 7,4 leicht basisch. Base gehört zur Regeneration. Eine solche Wunde sezerniert nicht mehr und heilt trocken ab.
Die Waage der Wundheilung kann sich also in beide Richtungen neigen (siehe Abb. 2-8). In beiden Milieus spielen Makrophagen die Leitungsfunktion, sie können mit ihrer Polarisierung (M1 oder M2) das weitere Schicksal der Wunde bestimmen. Die M1-Polarisierung fördert durch Sekretion von proinflammatorischen Zytokinen das entzündliche Milieu4. Die M2-polarisierten Makrophagen fördern durch Sekretion von Wachstumsfaktoren die Angiogenese, Sauerstoffversorgung und den Aufbau der Extrazellulärmatrix5.
Aus dem Gesagten wird klar, dass eine Regeneration von Gewebe und damit eine Alveolarkammaugmentation und eine Osseointegration eines Implantates an ein antiinflammatorisches Milieu gebunden ist. Alles was den pH-Wert absenkt (z. B. Zerfallsprodukte von Polylactidmaterialien), alles was die Ausschüttung von proinflammatorischen Zytokinen wie Interleukin-1-beta (IL1ß) oder Tumornekrosefaktor alpha (TNFα) stimuliert (z. B. Makrophagen bei Antigenkontakt), alles was Extrazellulärmatrix abbaut (z. B. Fibrinolyse), steht dem Knochenaufbau im Wege. Der Arzt sollte also versuchen, das Wundgleichgewicht auf die antiinflammatorische Seite zu verschieben. Ein Beispiel für die Beschwerung der Waage auf der antiinflammatorischen Seite ist die Einbringung von Extrazellulärmatrix in die Wunde in Form von Kollagenmembranen, Kollagenvliesen oder Kollagenpulver6. Dieses wirkt wie ein Magnet auf die überwertigen Proteasen des Entzündungsmilieus und bewirkt eine Substrathemmung dieses Enzyms, sodass die körpereigenen Kollagene des Bindegewebes verschont bleiben7. Dies ist eine zusätzliche Erklärung für die Wirksamkeit der Kollagenmembran bei der GBR (siehe Kapitel 6).
Im Körper junger gesunder Patienten befindet sich in der Regel kein Knochen, der älter als 3 bis 4 Jahre ist, später im Leben verlängert sich die Erneuerungsperiode auf etwa 10 Jahre8. Knochengewebe wird fortwährend ab- und wieder neu aufgebaut. Der ständige Umbau erklärt, wie einige Zeit nach einer Knochenverletzung der Knochen wieder seine anatomisch korrekte Form ohne sichtbare Narbe einnehmen kann, wie Knochentransplantate einheilen und wie der Knochen sich funktionell an die okklusalen Kräfte eines Zahnimplantats anpassen kann.
Für das Gleichgewicht zwischen den verantwortlichen Zellen, den Osteoklasten und den Osteoblasten sorgt deren molekulare Kopplung (englisch: coupling), unter anderem über die in der Knochenmatrix gespeicherten und chemisch gebundenen BMPs. Der Zellkomplex aus abbauenden und nachbildenden Zellen wird als Bone Multicellular Unit (BMU) des Knochens (Abb. 2-9) bezeichnet und ist die biologische Grundlage des Gleichgewichts, das die Knochenmasse trotz ständiger Remodellierung konstant hält. Zu jedem Zeitpunkt sind unter gesunden Bedingungen etwa 1–2 Millionen BMU im Körper tätig8.
Abb. 2-9 Bone multicellular unit. Die BMU ist das Modell der Kopplung von Osteoklasten (OCL) und Osteoblasten (OBs), sodass die Knochenmenge im Gleichgewicht bleibt und keine Osteoporose entsteht. Durch Parathormon (PTH) und andere Signale oder Signalisierung durch Osteozyten aus dem Knocheninneren lösen sich die Osteoblasten und Lining cells von der Knochenoberfläche ab und bilden einen Baldachin (englisch canopy). Unter diesem Schutzschirm verschmelzen Monozyten des Blutes (blau, Mitte) nach Stimulation mit GCSF und RANKL zu Osteoklasten und bauen Knochen in der Resorptionslakune ab. Dadurch werden Bone Morphogenetic Proteins (BMPs) an der Knochenoberfläche freigelegt, die wiederum Knochenvorläuferzellen, die von Perizyten (grün, am Blutgefäß) der Blutgefäße und von mesenchymalen Stammzellen (MSC) abstammen, zur Auffüllung der Resorptionslakune stimulieren. Die BMPs spielen also physiologisch bei der quantitativen Steuerung des Knochenwachstums eine Rolle. Therapeutisch kann man durch Anfräsen des Knochens oder Knochenchips ebenfalls BMP freilegen.
Beim Heilungsprozess eines Knochenblocks zur Augmentation ist zwischen einer Resorption von der Oberfläche, die Augmentationshöhe und -volumen kostet, und einer internen Resorption zu unterscheiden. Manchmal ist eine zu starke Oberflächenresorption des Knochens z. B. über der fazialen Implantatoberfläche oder nach Knochentransplantation unerwünscht. Eine schnelle interne Resorption mit schnellem Transplantatumbau ist dagegen erwünscht.
Die Resorptionsphase in der BMU dauert etwa 30 bis 40 Tage, gefolgt vom Wiederaufbau über etwa 150 Tage9. Nachdem der Knochen durch Osteoklasten abgebaut ist, tritt eine Ruhezeit von einigen Tagen ein, die Reversal-Phase10. Die im Knochen gebundenen Wachstums- und Differenzierungsfaktoren (BMP) liegen frei an der Oberfläche. Sogenannte Reversal cells11 reinigen die Grube und kleiden sie mit einem Proteinfilz aus. Diese Zementlinie dient den später nachrückenden Osteoblasten zur Anheftung. Die Reversal cells können die oberflächlich fransenartig aus dem Knochen herausstehenden Proteine inklusive der Wachstumsfaktoren enzymatisch durch Serinproteasen ablösen12. Man nimmt an, dass die Kopplung von Osteoklasten und Osteoblasten, also das Gleichgewicht von Abbau und Anbau unter anderem durch die matrixgebundenen Zytokine wie Insulin like growth factor (IGF) und Bone Morphogenetic Proteins (BMP) reguliert wird13,14. Nach dieser Theorie geht BMP in Lösung und kann nun die Rezeptoren der Osteoprogenitorzellen stimulieren, was eine Differenzierung der Zellen zu Osteoblasten einleitet. Diese Differenzierung läuft nur so lange, wie frisches BMP gefunden wird und limitiert sich, wenn die Howship-Lakune wieder aufgefüllt ist. Idealerweise stehen Osteoklasten und Osteoblasten durch diese molekulare Kopplung so exakt im Gleichgewicht, dass weder Osteoporose noch Osteopetrose entsteht. Analog werden vom Zahnarzt die BMP auch durch Zerkleinerung von autologen Transplantaten (z. B. durch Scraper) aus der Matrix freigelegt. So differenzieren Knochenchips Stammzellen in Osteoblasten, die neuen Knochen aufbauen.
Knochenbohrkerne in kompaktem Knochen
Der Umbau, der im trabekulären Knochen und im Geflechtknochen in zahlreichen vereinzelten Howship-Lakunen stattfindet, verläuft im kompakten Knochen konzentrierter. Hier finden sich Versammlungen vieler Osteoklasten an der Spitzen einer Blutgefäßschlinge aus Arterie und Vene. Zusammen bilden sie einen Knochenbohrkern (Abb. 2-10), der mit erstaunlicher Geschwindigkeit von 1 mm pro Tag einen Tunnel in kortikalen Knochen bohren kann (Abb. 2-11). Die Kopplung an den Wiederaufbau durch die Osteoblasten erfolgt genauso wie in der Howship-Lakune durch BMP, aber konzentrisch um die gesamte Tunnelwand. Die Osteoblasten bauen hier in gegenläufigen Windungen der Kollagenfasern Schicht für Schicht neuen Knochen auf, der den Tunnel immer weiter von innen auskleidet. Damit entsteht ein neues Osteon. Diese Umbauform ist insbesondere für den Einbau von kortikalen Blocktransplantaten wichtig. Nach einer etwas mechanistischen, aber in der Klinik bestätigten Vorstellung des Autors sollen Blocktransplantate möglichst eng an den bestehenden Knochen gefügt werden, damit die Knochenbohrkerne aus dem Lagerknochen in das Transplantat eindringen können.